Jesuit Batlogg: Papst Franziskus beendete das Schwarz-Weiß-Denken
"Franziskus hat den Boden für kirchliches Neuland bereitet. Sein Pontifikat ist das Ende des Schwarz-Weiß-Denkens." Mit diesen Worten würdigte der Theologe, Publizist und Jesuitenpater Andreas R. Batlogg in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" (16. Dezember) das Wirken von Papst Franziskus anlässlich des bevorstehenden 85. Geburtstags des Pontifex am 17. Dezember 2021. Papst Franziskus sei einer, den "theologisches Fingerhakeln oder liturgische Subtilitäten" nicht interessierten, so Batlogg. Gerade in Coronazeiten sei seine theologische Vision aber "hilf- und trostreich", denn die Botschaft laute: "Gott ist uns nahe, er will unser Heil, unser Glück."
Ein Jesuitenpapst lebe und praktiziere die "Unterscheidung der Geister". Das sei ein spiritueller Prozess, ein geistliches Abwägen. "Prozesse in Gang setzen" sei für Franziskus nach wie vor wesentlicher als "Räume besetzen", auch theologische, so Batlogg. Auch war und bleibe Franziskus "ein Sturkopf", was er auch bei seiner Reise nach Zypern und Griechenland Anfang Dezember unter Beweis stellte, die er, trotz der verschärften Corona-Lage, durchzog.
Gleichzeitig habe sich der Papst mit dem Besuch auf Lesbos abermals solidarisch mit Flüchtlingen und Migranten gezeigt. Eine Haltung, die sich seit seinem Besuch auf der Insel Lampedusa im Juli 2013, der mittlerweile als Chiffre für das Versagen der EU im Umgang mit Migranten gilt, nicht geändert hat.
Gegen die Selbstbezogenheit
Franziskus sei durch seine Art – durch Direktheit und Spontanität, den überzeugenden Lebensstil und einfaches Auftreten – als Papst für viele Menschen nahbar geworden, so Batlogg. Dienen statt befehlen laute das Motto. Dabei lasse Franziskus sich weder ausbremsen noch bevormunden. Vieles erfolge nach wie vor am Protokoll vorbei.
Oft gebe es Kritik, dieser Papst würde mit dem Amt "fremdeln", vernachlässige Strukturen und verachte gar den Apparat. Dabei habe Franziskus die Fähigkeit, sich für Fehleinschätzungen zu entschuldigen: "Er nimmt Entgleisungen zurück, räumt ein, dass er zu schnell reagiert hat oder falsch informiert war. Wer ihm vorwirft, er sei 'beratungsresistent', konnte erleben, dass er eine komplette Bischofskonferenz in den Vatikan zitierte".
Der Papst könne jedenfalls schnell und kompromisslos handeln: "Die chilenischen Bischöfe boten geschlossen ihren Rücktritt an - wegen ihres Umgangs mit Missbrauchsfällen. Der 'Kinderschutzgipfel' im Vatikan im Februar 2019 führte schon drei Monate später zu gravierenden Verschärfungen im Kirchenrecht", zählte Batlogg beispielhaft auf.
Skandale blieben auch zwischen 2013 und 2021 nicht aus. Batlogg benannte unter anderem den Fall des US-amerikanische Kardinals Theodore E. McCarrick, der wegen sexuellem Missbrauch gar aus dem Klerikerstand entlassen wurde. Kardinal George Pell wurde zwar freigesprochen, aber das mangels an Beweisen. Der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, resignierte vor der Zeit und arbeitet jetzt wieder in der Seelsorge.
Es werde weitere Skandale geben und schwierige Personalien, so Batlogg. Die Fälle von Tebartz-van Elst (Limburg), Heße (Hamburg), Woelki (Köln) seien, wie andere auch, nicht wirklich gelöst. Der Apparat habe es jedenfalls nicht leicht mit Franziskus.
Neue Streitkultur
Mit dem zweijährigen synodalen Prozess sei Franziskus eine Überraschung gelungen. Es gehe um ein neues Zuhören und um echte Beteiligung. Bis eine neue Kultur in die Kirche einziehe, die sich auch in der Organisationsstruktur und -kultur und im Kirchenrecht niederschlage, werde aber Batloggs Vermutung zufolge noch viel Zeit vergehen - Zeit die, die Kirche nicht habe.
Franziskus ließ nie Zweifel daran, dass "Synodalität" eben "kein Parlamentarismus" sei, vielmehr propagierte er unermüdlich eine andere Debatten- und Streitkultur. Widerspruch sei ausdrücklich erwünscht. Nun müsse sich zeigen, wer ihn wirklich wagt und praktiziert, "statt sich in Hinterzimmern oder über Interviews über den Papst auszulassen", so Jesuit Batlogg abschließend.
Neffe von Papst Franziskus: "Mein Onkel hat noch viel Kraft"
Papst Franziskus hat nach Aussage seines Neffen die Darm-Operation im Sommer gut überstanden. "Ich erlebe ihn mit viel Kraft; man sieht ihm sein Alter nicht an", sagte Jose Luis Narvaja in einem Interview mit der Zeitschrift "Famiglia Cristiana" (aktuelle Ausgabe). Franziskus sei kurz vor seinem 85. Geburtstag "sehr aktiv, enthusiastisch" und schalte nicht ab, so Narvaja.
"Als ich ihn nach der Operation im Juli sah, ging es ihm gut, aber er hatte noch ein wenig Schmerzen und sagte zu mir: 'Bring mich nicht zum Lachen, meine Nähte tun weh!'", so Narvaja. Zwar hätten einige erwartet, Franziskus werde stiller oder ruhiger nach dem Eingriff, aber das sei nicht der Fall. Narvaja ist der Sohn einer Schwester des Papstes und gehört wie sein Onkel dem Jesuitenorden an. Er lebt und arbeitet in Cordoba/Argentinien und in Rom.
Als zwei Leitmotive seines Onkels für das Pontifikat nannte Narvaja: "Christus ist keine Statue und der Papst kein Manager." Zudem sei der Papst der Meinung: "Das Gute muss gewählt und darf nicht aufgezwungen werden." Bergoglios Wertschätzung der einfachen Menschen ist laut Narvaja unter anderem durch die Werke des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski inspiriert.
Daher sei für den Papst die Rolle des Volkes Gottes bei der begonnenen Weltsynode so wichtig, erklärte Narvaja. Das Volk sei für Franziskus "keine Abstraktion, sie ist die Welt der einfachen Menschen, die 'Heiligkeit von nebenan'".
Papst Franziskus feiert am 17. Dezember 2021 seinen 85. Geburtstag. © Stefano Spaziani
Das Leben des Jorge Mario Bergoglio
Zu seinem 85. Geburtstag hat Kathpress die zentralen Stationen des Lebens und der bislang achteinhalbjährigen Amtszeit von Papst Franziskus nachgezeichnet:
1936: Jorge Mario Bergoglio wird am 17. Dezember als ältestes von fünf Kindern italienischer Einwanderer in Buenos Aires geboren. Sein Vater arbeitet als Eisenbahnangestellter. Bergoglio besitzt zeitlebens die Staatsangehörigkeit Argentiniens wie Italiens. Nach einem Schulabschluss als Chemietechniker entscheidet er sich für den Priesterberuf.
1957: Seit seiner Kindheit hat Bergoglio mit Lungenproblemen zu kämpfen. Mit 21 Jahren wird ihm ein Teil des rechten Lungenflügels entfernt.
1958: Noviziat bei den Jesuiten. Studium in Geisteswissenschaften, Philosophie und Theologie in Chile und Argentinien
1964-1966: Lehrer für Literatur und Psychologie
1967-1971: Theologiestudium in Argentinien und Spanien. 1969 Priesterweihe
1973: Ewige Gelübde bei den Jesuiten. Im Juli Oberer der Ordensprovinz Argentinien. In diese Amtszeit fallen auch die Jahre der Militärdiktatur (1976-1983). Im Foltergefängnis inhaftierte Ordensbrüder werfen Bergoglio Schwäche im Umgang mit dem Regime vor, weil er sich nicht vor sie gestellt habe. Später revidieren sie diese Einschätzung.
1980-1986: Rektor der Theologischen Hochschule von San Miguel. Um seine Dissertation zu beenden, kommt Bergoglio 1986 zu einem Aufenthalt nach Sankt Georgen bei Frankfurt; doch er schließt die Arbeit nicht ab.
1986: Seelsorger in Buenos Aires, später Beichtvater der Jesuiten in Cordoba.
1992: Weihbischof in Buenos Aires.
1997: Johannes Paul II. ernennt Bergoglio zum Erzbischof-Koadjutor und im Februar 1998 zum Erzbischof der Hauptstadtdiözese. Seine Markenzeichen sind Zugewandtheit zu den Armen und eine bescheidene, zurückgezogene Lebensführung. Bergoglio bezieht eine Zwei-Zimmer-Wohnung statt seiner Bischofsresidenz, bevorzugt öffentliche Verkehrsmittel.
2001: Kardinalsernennung; Generalrelator der 10. Weltbischofssynode. 2002 lehnt er den Vorsitz von Argentiniens Bischofskonferenz ab.
2005: Schon im Konklave nach dem Tod Johannes Pauls II. spielt Bergoglio eine wichtige Rolle. Der damals 68-Jährige soll rund 40 Stimmen auf sich vereint haben. Doch er zieht zurück, um den Weg für Kardinaldekan Joseph Ratzinger freizumachen.
November 2005: Vorsitzender der Bischofskonferenz. Er liefert sich diverse politische Auseinandersetzungen mit den Staatspräsidenten Nestor Kirchner (bis 2007) und Cristina Fernandez de Kirchner (seit 2007), etwa über Familie, Recht und Soziales.
2007: Die Generalversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM in Aparecida/Brasilien beschließt eine "neue kontinentale Mission". Bergoglio zählt zu den prägenden Gestalten und leitet die Redaktion des Schlussdokuments. Gegen konservative und römische Widerstände setzt er sich durch.
2010: Bergoglio hat eine schwere Grippe zu überstehen.
2011: Er bietet Benedikt XVI. mit 75 Jahren seinen Rücktritt als Erzbischof von Buenos Aires an. Wie für Hauptstadtdiözesen üblich, belässt dieser ihn weiter im Amt.
März 2013: Bergoglio wird als erster Jesuit und erster Lateinamerikaner zum Papst gewählt. Er gibt sich den Papstnamen Franziskus. Seit seiner Wahl kehrte er nicht mehr in sein Heimatland Argentinien zurück. Schon in den ersten Tagen begeistert er die Öffentlichkeit durch Demutsgesten und Vorleben von Bescheidenheit. Die Rede vom "Papst für die Armen" und vom "Bergoglio-Style" geht um. Er erhält unzählige Einladungen für Auslandsreisen, ökumenische und interreligiöse Begegnungen. In Castel Gandolfo kommt es zu einer historischen Begegnung zweier Päpste.
April: Franziskus setzt eine Kardinalskommission zur Erarbeitung einer Kurienreform ein.
Juli: Viel gelobt wird seine Tagesreise zur italienischen Flüchtlingsinsel Lampedusa. Erste Auslandsreise zum Weltjugendtag in Rio mit Millionen jugendlicher Lateinamerikaner.
September: Millionen Christen weltweit folgen seinem Aufruf, für Frieden im Syrien-Konflikt zu fasten und zu beten.
September: Franziskus kündigt die Heiligsprechung seiner Vorgänger Johannes Paul II. und Johannes XXIII. an.
November: Schreiben "Evangelii gaudium", eine Art Regierungs- und Reformprogramm. Franziskus erntet dafür viel Lob, aber auch Kritik wegen seiner pauschalen Verdammung des kapitalistischen Wirtschaftssystems.
2014
Mai: Bei seiner Heilig-Land-Reise nach Jordanien, Israel und die Palästinensergebiete wirbt Franziskus für Versöhnung im Nahost-Konflikt. Er setzt spektakuläre Friedensgesten, etwa ein Gebet an Israels Sperrmauer und die symbolische Umarmung dreier Weltreligionen an der Jerusalemer Klagemauer.
Juni: Friedensgebet mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Staatspräsident Schimon Peres in den vatikanischen Gärten.
Oktober: Weltbischofssynode über Ehe und Familie. Ein zentraler Punkt der Beratungen ist die Seelsorge für wiederverheiratete Geschiedene.
Dezember: Kuba und die USA kündigen nach mehr als einem halben Jahrhundert politischer Eiszeit die Aufnahme diplomatischer Beziehungen an. Angestoßen und vermittelt wurde die Annäherung durch die Diplomatie des Vatikan.
Dezember: Franziskus macht mit einer Brandrede vor den versammelten Vatikanbehörden weltweit Schlagzeilen. Er zählt 15 "Krankheiten" auf, darunter spirituelle Vergessenheit, übertriebene Geschäftigkeit, Lästerei, Neid und Doppelmoral.
2015
Jänner: Auf den Philippinen feiert der Papst mit nach offiziellen Angaben sechs bis sieben Millionen Menschen eine Messe. Dies wäre der größte katholische Gottesdienst aller Zeiten. Eine Bemerkung über Katholiken, die sich nicht "wie Karnickel" vermehren sollten, sorgt für Aufsehen.
April: Franziskus bezeichnet die Verfolgung der Armenier im Ersten Weltkrieg in einer offiziellen Rede als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts". Die Türkei protestiert scharf.
Juni: In der Enzyklika "Laudato si" mahnt der Papst einen besseren Umgang mit der Umwelt und den Menschen an.
September: Auf Kuba und in den USA vertieft der Papst seine Versöhnungsbotschaft an die einstigen Feindstaaten. Vor der UNO-Vollversammlung fordert er eine gerechtere Machtverteilung in der internationalen Gemeinschaft.
Dezember: Franziskus bekommt den Internationalen Karlspreis 2016 zugesprochen.
2016
Februar: Franziskus trifft auf Kuba den Moskauer Patriarchen Kyrill I.: die historisch erste Begegnung überhaupt zwischen den Oberhäuptern der römisch-katholischen Kirche und der russischen Orthodoxie.
April: Das Abschlusspapier zur Familiensynode, "Amoris laetitia", löst eine lebhafte Debatte über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen aus. Sie gipfelt im November in einem Brief von vier Kardinälen, die Zweifel ("dubia") äußern und vom Papst eine Klarstellung verlangen.
2018
Jänner: Der Papstbesuch in Chile wird vom dortigen Missbrauchsskandal überschattet. Später räumt Franziskus "schwere Fehler" bei der Bewertung der Lage ein. Für Mai ruft er die chilenischen Bischöfe in den Vatikan und macht ihnen schwere Vorwürfe. Fast alle bieten ihren Amtsverzicht an; der Papst nimmt acht davon an.
August: Franziskus schreibt einen vier Seiten langen Brief zum Missbrauchsskandal an die Bischöfe der Weltkirche. Für Februar 2019 beruft er einen Krisengipfel der nationalen Bischofskonferenzen weltweit sowie mit Ordensoberen ein.
September: Der Vatikan und China legen einen 70-jährigen Streit über Bischofsernennungen bei - trotz drastischer Warnungen des Hongkonger Kardinals Joseph Zen Ze-kiun und der Sorgen Taiwans, nun den Vatikan als Verbündeten zu verlieren.
2019
Februar: Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten besucht Franziskus als erster Papst die Arabische Halbinsel. In Abu Dhabi nimmt er an einer internationalen interreligiösen Begegnung teil und feiert einen öffentlichen Gottesdienst. Mit dem Scheich der Kairoer Al-Azhar-Universität unterzeichnet er eine gemeinsame Erklärung.
Der mit hohen Erwartungen befrachtete Anti-Missbrauchs-Gipfel bringt nach Meinung von Kritikern wenig Zählbares. Experten verweisen darauf, dass nun ein weltweites Bewusstsein unter den Bischöfen hergestellt sei.
Juni: Der Papst schreibt den deutschen Katholiken und lobt ihr Engagement und ihre Reformanstrengungen. Zugleich mahnt er Einheit mit der Weltkirche an. Der Brief stößt auf geteiltes Echo und sehr unterschiedliche Interpretationen.
Oktober: Die mit Spannung erwartete Amazonas-Synode bringt Warnungen vor der Zerstörung von Menschenrechten und Umwelt; eine Aufweichung des Pflichtzölibats für Priester bringt sie nicht.
November: In Nagasaki und Hiroshima, den Orten der US-Atombombenabwürfe von 1945, verurteilt der Papst jeden "Gebrauch von Atomenergie zu Kriegszwecken", der "heute mehr denn je ein Verbrechen" sei. "Unmoralisch" seien der Erwerb von spaltbarem Material, die Entwicklung, Konstruktion und die Drohung mit ihnen - mithin schon der Besitz von Atomwaffen.
2020
März-Juni: Die weltweite Corona-Pandemie erfasst die gesamte katholische Kirche und auch den Vatikan. Franziskus muss Ostern auf dem menschenleeren Petersplatz und im menschenleeren Petersdom feiern; die Bilder gehen um die Welt. Alle Großveranstaltungen wie Papstreisen, Eucharistischer Weltkongress, Weltfamilientreffen und Weltjugendtag werden verschoben.
Oktober: Franziskus veröffentlicht die Enzyklika "Fratelli tutti", die Visionen für eine Menschheit entwirft, die gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen könnte.
2021
März: Eine viertägige Friedensreise in den Irak findet weltweite Beachtung.
Juli: Eine geplante Darm-OP verläuft ernster als gedacht. "Ein Krankenpfleger hat mir das Leben gerettet", berichtet der Papst später.
Juli: Franziskus schränkt die Feier der sogenannten Alten Messe ein. Der von Benedikt XVI. 2007 in größerem Umfang erlaubte außerordentliche Ritus darf nur noch unter engen Auflagen gefeiert werden. Die Ankündigung sorgt für einen Aufschrei in konservativen Kirchenkreisen.