Gedenken zur Pogromnacht 1938 in der Linzer Synagoge
Mag. Dr. Martin Kamrat LL.M, Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, würdigte dies in seiner Begrüßung als einen Ehrerweis gegenüber den jüdischen Linzer Bürgerinnen und Bürgern, die dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer fielen. Unter den Ehrengästen: Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer, Vizebürgermeisterin Karin Hörzing, Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, Bischof em. Dr. Maximilian Aichern und der evangelische Superintendent Dr. Gerold Lehner.
© Land OÖ / Schauer
In den Morgenstunden des 10. November 1938 hatten Angehörige der SA und SS bei der Synagoge Feuer gelegt. Die Polizei hatte alles penibel dokumentiert, aber nicht eingegriffen. Das 60 Jahre zuvor errichtete Gebetshaus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Mit der Synagoge wurde auch die jüdische Gemeinde völlig vernichtet. Linz war das Zentrum jüdischen Lebens in Oberösterreich. Bei der Volkszählung 1934 hatten sich 966 Personen zum jüdischen Glauben bekannt. Der Großteil von ihnen wohnt in Linz, wo es neben der Synagoge, eine "Jüdische Bildungsstelle" und jüdische Sport- und Jugendvereine gab. Seit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verging aber keine Woche, in der nicht Wohnungen und Geschäfte jüdischer Familien "arisiert" - also enteignet oder zwangsweise verkauft - wurden und immer neue Schikanen das Leben der Gemeinde einschnürten, bis es im November 1938 völlig zum Erliegen kam.
Die Präsidentin der IKG Linz Dr.in Charlotte Herman zeigte beim Gedenken an diese Ereignisse in ihrer sehr persönlichen Rede den wachsenden Antisemitismus in der heutigen Zeit anhand vieler Beispiele auf und berichtete von Fällen der Holocaust-Leugnung. Sie legte auch die Bedeutung des Staates Israel dar, der Rückgrat und Sicherheit der Jüdinnen und Juden weltweit darstelle. Sie sieht auch die Politik in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass Jüdinnen und Juden und andere Minderheiten in Sicherheit in Europa leben können. „Denn hier ist unsere Heimat, hier wollen wir leben und uns sicher fühlen“, schloss Herman ihre Rede.
Auch Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer unterstrich das Land Oberösterreich als gemeinsame Heimat, in der es gelte, das jüdische Erbe hochzuhalten und jüdische Kultur, Traditionen und Religiosität wertzuschätzen und zu fördern. „Ein bewusster Blick auf die Vergangenheit ist sehr wichtig und unser Gedenken an die Reichspogromnacht gibt uns viele Aufgaben mit. Es warnt uns, gegenüber allem, was totalitärer Herrschaft den Weg bereiten könnte, wachsam zu sein und gibt uns den Auftrag, alles zu tun, damit solche Gräueltaten nie wieder möglich werden“, so Stelzer.
Vizebürgermeisterin Karin Hörzing überbrachte die Grüße von Bürgermeister MMag. Klaus Luger und wies in ihrer Ansprache auf Faktoren wie etwa jahrzehntelange Propaganda hin, die in die Katastrophe der Reichspogromnacht und letztlich zum Holocaust geführt hätten. Hörzing: „Solche Ereignisse dürfen sich nie mehr wiederholen. Sie zeigen uns auf, dass unsere demokratischen Strukturen und unser Werteverständnis nichts Selbstverständliches sind, sondern eine Aufgabe, an der wir kontinuierlich arbeiten müssen. Die Frage ist nicht: was kann der Staat dafür tun?, sondern: Was können wir dafür tun?“ Hörzing versprach, dass die Stadt Linz statt des Projektes der Stolpersteine gemeinsam mit der IKG ein eigenes Projekt entwickeln werde, das einem angemessenen Gedenken der jüdischen Opfer in Linz Rechnung trägt.
Dr.in Anna Mitgutsch las aus dem Buch „Der SS-Staat“ des Holocaust-Überlebenden Eugen Kogon, der in einem Kapitel in beklemmender und ungeschönter Weise von der Folter, Demütigung und Ermordung von holländischen Juden im KZ Buchenwald berichtet.
Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer betrachtete in seiner Rede das Gedenken an die jüdischen Opfer als ein Bewusstsein von dem, was und wer fehlt. „Die Shoa hat tiefe Risse hinterlassen. Bis heute fehlen die Menschen, die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen. Wir Christen erkennen heute beschämt, dass mit der Zerstörung der Synagogen der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele unserer Vorfahren im Glauben dies gespürt hätten. Insgesamt müssen wir 80 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen von 1938 einbekennen, dass es in unserem Land damals ‚zu wenig Gerechte’ gegeben hat. Die katholische Kirche in Oberösterreich stellte keine Ausnahme im Kontext dieser schmerzhaften Verstrickung dar“, so das Bekenntnis des Diözesanbischofs. Das Gedenken lasse aber auch heute fragen: „Sind die ‚Brandherde des Hasses‘ von damals gelöscht? Herrscht inzwischen ein Sinn für Menschlichkeit, für die Achtung des Lebens, für moralische und zivile Werte, aber auch Gottesfurcht, aus der heraus wir die Würde eines jeden Menschen anerkennen?“ Bischof Scheuer betonte, durch eine „Kultur der Begegnung, der Kenntnis der Gegenwart und der Erinnerung an die Vergangenheit“ müsse der Einsatz verstärkt werden, um allem Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten.
Ansprache von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Der Superintendent der Evangelischen Kirche A. B. in Oberösterreich Dr. Gerold Lehner deutete die Einladung zu einer solchen Gedenkfeier als eine ausgestreckte Hand der jüdischen Geschwister: zum Gedenken an die Verbrechen der Vergangenheit und gleichzeitig auch zur Stärkung der gegenseitigen Verbundenheit in Gegenwart und Zukunft. Er bedauerte die Selbstbezüglichkeit, das Schweigen und die schuldhafte Verwobenheit seiner Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Lehner schloss mit einem Wunsch an die jüdischen Geschwister: „Lebt eure Berufung mit Mut, Freude und Hoffnung. Und der Segen des Ewigen, er komme über euch und durch euch mögen auch wir gesegnet sein!“
© Land OÖ / Schauer
Ehrung einer verdienten Historikerin, Enthüllung einer Gedenktafel
Einen berührenden und beklemmenden Höhepunkt gestaltete die evangelische Theologin und Historikerin Mag.a Verena Wagner. Sie ließ in der Lesung aus ihrem jüngst erschienenen Werk „Linz 1918/1938 – Jüdische Biographien“ ZeitzeugInnen der Reichspogromnacht in Linz selbst zu Wort kommen. In vielen direkten Zitaten erzählten sie von den schrecklichen Stunden der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Sie berichteten von Todesangst, Demütigungen, lachenden Zuschauern, verwehrter Hilfe und blankem Entsetzen genau an dem Ort, an dem 80 Jahre danach Menschen zum Gedenken versammelt waren.
© Land OÖ / Schauer
Seitens der Israelitischen Kultusgemeinde wurde Mag.a Verena Wagner ein großer Dank ausgesprochen. Sie hat sich seit fast zwei Jahrzehnten der Erforschung der jüdischen Lokalgeschichte verschrieben. In dieser Zeit entwickelte sie Ausstellung (mit), war beteiligt an der Errichtung des Museums in der Synagoge Linz und brachte vier Publikationen heraus. Die engagierten Recherchen führten sie um die ganze Welt bis nach Australien, um mit überlebenden jüdischen LinzerInnen oder deren Nachkommen zu sprechen. Wagner kam in ihren Forschungen auch auf die Spur von 43 weiteren jüdischen Opfern der NS-Zeit, die bislang nicht bekannt waren. Eine zusätzliche Gedenktafel mit deren Namen wurde am Ende der Feier im Vorraum der Synagoge durch Landeshauptmann Stelzer, Vizebürgermeisterin Hörzing, Bischof Scheuer, Superintendent Lehner, Präsidentin Herman, Vizepräsident Kamrat und Kantor Lignell enthüllt.
Die Verlesung der insgesamt beinahe 200 Namen der jüdischen Opfer war eingebettet in Kaddish-Gebete im Gedenken an die Verstorbenen, die von Kantor Ville Lignell vorgetragen und vorgebetet wurden.
© Land OÖ / Schauer
Gudrun Becker | Referat für Ökumene und Judentum