Samstag 16. November 2024

Jugend und Kirche: Gemeinsam mit den Jungen lernen

Gibt es DIE Jugend von heute und welche Bedeutung haben Glaube und Kirche für Jugendliche? Dieser Frage gingen Expertinnen im Vorfeld der „Jugendsynode“ in Rom bei einer Pressekonferenz des OÖ. Journalisten-Forums nach.

Von 3. bis 28. Oktober 2018 findet in Rom eine Bischofssynode zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“ statt. Das Arbeitsdokument dieser Versammlung von über 400 Bischöfen und ExpertInnen aus aller Welt kündigt an, dass die Kirche die Lebensrealität der Jugend umfassend in den Blick nehmen will. In diesem Sinne meint „Berufung“ nicht nur den Weg ins Priesteramt oder Ordensleben, sondern zu einem gelingenden Leben. Die Kirche, so der hohe Anspruch der Bischofsversammlung, will junge Menschen bei ihren Lebensentscheidungen begleiten.

 

Doch wer sind DIE Jugendlichen und welche Bedeutung hat DER Glaube für sie? Diesen Fragen ging am 28. September 2018 eine Pressekonferenz der OÖ. Journalisten-Forums im OÖ. Presseclub in Linz nach. Als Gesprächspartnerinnen standen zwei Expertinnen zur Verfügung, die sich intensiv mit dem Thema Jugend auseinandersetzen: Dr.in Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin und stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien, und Eva Wimmer, Theologiestudierende, Engagierte in der kirchlichen Jugendarbeit und österreichische Delegierte bei der Vorsynode. Beide sind sich darin einig: Der Dialog mit der jungen Generation ist als Lernfeld für Kirche und Gesellschaft unerlässlich.

 

Eva Wimmer (l.) und Dr.in Beate Großegger blickten aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Jugend und Kirche.

Eva Wimmer (l.) und Dr.in Beate Großegger blickten aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Jugend und Kirche. © Diözese Linz / Fürlinger

 

„Interessante, aber auch widersprüchliche und schwer verunsicherte Generation“

 

Dr.in Beate Großegger, Kommunikationswissenschafterin und seit 1996 in der angewandten Sozialforschung tätig, ist wissenschaftliche Leiterin und stv. Vorsitzende des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien. Die Frage: „Wie tickt die Jugend“ wird ihr häufig gestellt. Dahinter steht das Bemühen, nachfolgende Generationen besser zu verstehen, um mit ihnen in Dialog treten zu können. Großegger erforscht ein breites Spektrum an Jugendlichen, darunter auch die „Taufschein-ChristInnen“. Die Expertin nimmt die Jugend heute als „interessante, aber auch widersprüchliche Generation“ wahr: „Sie sind in vielem greifbar, aber selbst mir, die ich mich schon lang mit Jugendforschung beschäftige, in vielem fremd.“ Klar benannt werden könne, was den Jugendlichen wichtig sei, so Großegger, nämlich in erster Linie „Harmonie in ihren kleinen sozialen Welten: in der Familie, im Freundeskreis, in der Paarbeziehung“. Ebenso von Bedeutung sind Selbstverwirklichung, Spaß und Lebensgenuss, Werte und Orientierung. „Jugendliche sagen von sich: ‚Wir sind eine schwer verunsicherte Generation.‘ Das hören wir nicht so gerne, weil wir uns Hoffnungsträger wünschen, die unsere Probleme lösen“, zeichnet Großegger ein realistisches Bild. Die Verunsicherung der Jugendlichen hat aus Sicht der Jugendforscherin drei Gründe. Da sind zunächst die ständig wachsenden Anforderungen in Ausbildung und Beruf, die Jugendliche unter Druck setzen. Zweitens sind Jugendliche von heute Bestandteil der digitalen Gesellschaft und damit „always on“, was digitalen Stress bedeutet, der ebenfalls belastet. Als dritten Punkt nennt Großegger, dass Jugendliche zunehmend weniger fixe Orientierungspunkte haben, um ihre Lebensplanung in die Hand zu nehmen – nach dem Motto: Die einzige Konstante ist: Alles verändert sich.

 

Die Expertin bescheinigt Jugendlichen beim „Komplexitätsmanagement“ mehr Kompetenz und Souveränität als den Erwachsenen: „In ihrer Welt kann vieles nebeneinanderstehen. Sie können besser damit umgehen als wir, dass unterschiedliche Lebensentwürfe, Kulturen, Weltanschauungen und Glaubenssysteme nebeneinander existieren. Und sie tolerieren dieses Nebeneinander, solange sie persönlich davon nicht negativ beeinflusst sind.“ Als Beispiel nennt Großegger das Thema Familie: „Familie ist Jugendlichen sehr wichtig – aber sie verstehen etwas anderes darunter als ältere Generationen. Ob Alleinerziehende, Patchwork-, Migrations- oder Regenbogenfamilien: Mit dieser neuen Formenvielfalt gehen Jugendliche selbstverständlicher um als die meisten Erwachsenen – und um vieles selbstverständlicher als die Würdenträger der katholischen Kirche.“ Diese unterschiedliche Deutung von Begriffen stelle eine Kommunikationsbarriere zwischen den Generationen dar, obwohl das Thema Familie allen wichtig sei, unterstrich Großegger.

 

Ein zweites Beispiel: der Begriff „sozial“, den Jugendliche anders deuten als die Generationen vor ihnen. „Jugendliche von heute sind nicht asozial, aber nicht so altruistisch, wie wir uns das wünschen würden. Heute sind Jugendliche in einer Wettbewerbsgesellschaft sozialisiert. Dementsprechend ist ‚sozial‘ für sie jemand, der Eigenverantwortung für sein Leben übernimmt, sich dem Wettbewerb stellt und nicht der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegt.“ Diese neue Deutung von Jugendlichen, die Teil einer „wettbewerbsorientierten Hochgeschwindigkeitsgesellschaft“ seien, lade nicht zu einem Blick über den eigenen Tellerrand ein, mache aber Druck auf die Jugendlichen, so Großegger.

 

Dr.in Beate Großegger

Die renommierte Jugendforscherin Dr.in Beate Großegger. © Diözese Linz / Fürlinger

 

„Jugendliche wollen nicht weltanschaulich diskutieren, sondern praktisch etwas bewegen“

 

Der Jugendforscherin zufolge haben Jugendliche auch ein „unverbindlicheres Verhältnis zu Werten“: Alles geht mit allem zusammen. „Jugendliche haben ‚Wert‘ einmal definiert als ein Geländer, an dem man sich festhält, von dem man sich dann aber auch wieder entfernt. Werte müssen sich für sie im Alltag bewähren. Das sehe ich als große Herausforderung der katholischen Kirche: dass sie die Anschlussfähigkeit an junge Lebenswelten garantiert.“ Das Verständnis von Glaube sei bei jungen Menschen ein anderes, weiß Großegger: „Glaube wird privatisiert und funktionalisiert. Es herrscht ein ausgeprägtes Nutzendenken vor: Was habe ich davon, was bringt es mir?“ Eindeutig sei auch, dass Jugendliche mit der traditionellen Volksfrömmigkeit und theologischen Zugängen wie „Glaubenszweifel haben ihre Berechtigung“ nichts anfangen könnten: „Sie suchen nach Fixpunkten und Orientierung, Zweifel helfen ihnen da nicht weiter“, so Großegger.

 

Die Expertin ortet jedoch ein Bedürfnis nach Spiritualität, besonders bei Mädchen und jungen Frauen. Man solle aber nicht unbedingt versuchen, über Sinnfragen ins Gespräch zu kommen, denn: „Es gibt eine gewisse existentielle Indifferenz. Existentiell Indifferente sagen: ‚Mein Leben hat keinen bestimmten Sinn, aber deswegen bin ich noch lange nicht in einer Sinnkrise.‘ Das stellt natürlich eine Herausforderung für die katholische Kirche dar – auf der Dialogebene, aber auch auf der Mitmachebene.“ Jugendliche würden sich nicht engagieren, um Sinn im Leben zu finden, sondern um praktisch etwas zu bewegen. Großegger: „Jugendliche von heute sind outputorientiert, sie haben kein Interesse an einer weltanschaulichen Debatte. Deshalb funktionieren auch Projekte wie die ‚72 Stunden ohne Kompromiss‘ so gut – es geht ums Tun und Machen im Rahmen einer offenen Organisationsform.“ Es gelte in der Kirche, möglichst viel von diesen offenen Organisationsformen zu finden, als „Alternative zu einer traditionellen Funktionsästhetik“, wie Großegger betonte. Wenn etwas Erlebniswert habe und die richtige Darstellungsform („Eventisierung“) gefunden werde, dann komme es bei Jugendlichen an. Als Beispiel nannte Großegger die Weltjugendtreffen.

 

Fazit der Jugendforscherin: Eine Auseinandersetzung mit den Lebenswelten, Themen und Denkweisen der Jugendlichen lohne sich für ältere Generationen – und für die Kirche. „Wir können daran wachsen. Irritation ist die erste Stufe zur Veränderung. Gemeinsam mit den Jungen zu lernen könnte eine große Chance der katholischen Kirche sein.“

 

 

„Junge Menschen in kirchenpolitische Entscheidungen einbinden – über die Synode hinaus“

 

Erfahrungen mit Jugendarbeit in der katholischen Kirche auch abseits von großen Jugendevents hat die Oberösterreicherin Eva Wimmer (21). Die junge Frau aus Pichl bei Wels ist Theologiestudierende, war von 2015 bis 2017 ehrenamtliche Vorsitzende der Katholischen Jugend Oberösterreich und ist nach wie vor ehrenamtlich in der Jugendarbeit tätig. Wimmers Erfahrung aus der Arbeit mit und Begleitung von Jugendlichen: „Es braucht in der katholischen Kirche mehr als nur Events. Ich erlebe selbst, dass Jugendliche das Bedürfnis danach haben, auch intensive Diskussionen zu führen. Wichtig sind Formate wie Sommerwochen, wo Jugendliche einfach einmal sein dürfen, ganz ohne Leistungsdruck. Dort erfahren sie: Ich habe mit Kirche sonst nicht mehr viel am Hut, aber diese Woche ist auch Kirche, und das gefällt mir.“

 

Eva Wimmer war die einzige österreichische Delegierte bei der „Vorsynode“, die im März 2018 in Rom stattfand. Von 19. bis 25. März 2018 erarbeiteten 300 Jugendliche und junge Erwachsene aus fünf Kontinenten ein Diskussionsdokument für die Bischöfe. In insgesamt 20 Kleingruppen diskutierten sie in vier Arbeitssprachen 15 Fragen zu den Themen Lebenswelt, Kirche und persönliche Lebensentscheidungen. Daraus trugen sie Stichworte für das Abschlussdokument der Vorsynode zusammen, das am Ende der Woche bei der Palmsonntagsmesse auf dem Petersplatz an Papst Franziskus übergeben wurde. Unter ihnen: Eva Wimmer, die von der Katholischen Jugend Österreich und von der Koordinierungsstelle JAKOB für die Teilnahme an der Jugendsynode als Vertreterin Österreichs vorgeschlagen und von Jugendbischof Stephan Turnovszky nominiert worden war.

 

Wimmer im Rückblick: „In den Arbeitsgruppen bei der Vorsynode haben gläubige Jugendliche unterschiedlichster Religionszugehörigkeiten, kirchenkritische junge Leute und junge AtheistInnen miteinander diskutiert. Was wir dort gelernt haben: Es war nicht möglich, einen echten Konsens zu finden. Man kann gegenteilige Meinungen auch stehenlassen. Diese Vielfalt der oft gegensätzlichen Ansichten ist auch im Schlussdokument abgebildet.“ Vieldiskutiert: die Themen Familie („Es war schwer, einen gemeinsamen Begriff von Familie zu finden“), Frauen in der Kirche („Es fehlt an Vorbildern, an Frauen in Führungspositionen, unabhängig vom Weiheamt“) und der dringende Wunsch nach einer Partizipationsmöglichkeit junger Menschen über die Synode hinaus. So war etwa eine Forderung der jungen Delegierten, dass in der Kurie eine Kommission aus Jugendlichen eingerichtet werden soll, die zu allen kirchenpolitischen Themen – nicht nur zum Thema „Jugend in der Kirche“ – befragt wird.

 

Eva Wimmer

Die Theologiestudierende Eva Wimmer verbringt den Oktober in Rom. © Diözese Linz / Fürlinger

 

„Wünsche mir einen offenen Umgang und Haltung des ehrlichen Zuhörens“

 

Die Vorbereitung auf die Bischofssynode zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“, die von 3. bis 28. Oktober 2018 in Rom stattfindet, erlebt Eva Wimmer als „nicht ganz einfach – viele Informationen sind bis jetzt noch nicht da. Die Sommerpause im Vatikan dürfte eine sehr lange sein …“ Eva Wimmer wird gemeinsam mit Matthias Zauner von der Katholischen Jugend Österreich den ganzen Oktober lang in Rom sein und dort Jugendbischof Stephan Turnovszky unterstützen. Außerdem ist es Eva Wimmer ein Anliegen, „dass es besonders für junge Menschen in Österreich viele Infos direkt von uns gibt, damit man auch in Österreich mitbekommt, dass die Synode stattfindet und was gerade passiert“. So wird es unter dem Titel „Eva und …“ Videos mit Jugendbischof Stephan Turnovszky und Thomas Andonie geben. Andonie ist der Vorsitzendes des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und der einzige der 50 vom Papst ernannten „AuditorInnen“, der aus dem deutschsprachigen Raum kommt. Die AuditorInnen haben das Recht, bei der Synode zu sprechen, nehmen aber ohne Stimmrecht teil.

 

Eva Wimmer zu ihren Erwartungen an die bevorstehende Bischofssynode: „Ich erwarte mir, dass die Bischöfe in der Synode einen offenen Umgang pflegen und alle Themen ansprechen. In der Vorsynode hat dies gut funktioniert, da sich alle gegenseitig wertgeschätzt und wahrgenommen haben. Außerdem wünsche ich mir, dass es noch mehr Möglichkeiten für jene jungen Menschen gibt, die nicht als AuditorInnen in der Synode sitzen, besser gehört und ernstgenommen zu werden.“

 

Den Bischöfen bei der Synode wünscht die Oberösterreicherin, „dass sie genügend freie Zeiten haben, in denen sie mit jungen Menschen direkt in Kontakt treten können“. Den genauen Ablauf der „Jugendsynode“ kennt Wimmer noch nicht. Sie wird aber fix beim Eröffnungstreffen am 3. Oktober und beim außerordentlichen Treffen am 6. Oktober in der Synodenaula dabei sein, bei dem Papst Franziskus die Erfahrungen und Vorschläge der Jugendlichen anhören möchte. Beim Papst hat Wimmer bei der Vorsynode erlebt, „dass er es ernst damit meint, Jugendliche einzubinden und in Dialog mit ihnen zu kommen.“ Wimmer hofft nun, dass diese Haltung des ehrlichen Zuhörens auch bei der Bischofssynode im Oktober spürbar wird.

 

 

Lesenswert:

 

Abschlussdokument der Vorsynode

 

Oberösterreicherin bei Jugend-Vorsynode in Rom: „Die Kirche muss im Dialog mit jungen Menschen bleiben“

 

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