Kirche im politischen Diskurs
Veranstaltet wurde diese vom Johannes Schasching Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz in Kooperation mit der Österreichischen Provinz der Jesuiten.
Im Zentrum der Tagung standen, wie der Provinzial der österreichischen Jesuiten, Pater Bernhard Bürgler SJ, in seiner Eröffnungsansprache skizzierte, die Auseinandersetzung mit der Relevanz und den Grenzen des katholischen sozialen Denkens sowie der Beitrag von Pater Johannes Schasching SJ.
Dessen wirtschafts- und sozialethische Positionen im politischen und gesellschaftlichen Diskurs ordnete Prof. Christian Spieß, Leiter des Linzer Schasching-Instituts, in seinem Vortrag ein. Dass in Schaschings Werk praktisch keine Rückgriffe auf die katholische Naturrechtsdoktrin vorhanden sind und bereits ab den späten 1950er Jahren – also fünf bis zehn Jahre vor den entsprechenden Beschlüssen des Zweiten Vatikanums – eine positive Haltung zum demokratischen Verfassungsstaat, zur weltanschaulich pluralen Gesellschaft und zum säkularen Wohlfahrtsstaat deutlich erkennbar ist, wertete Spieß als besonders bemerkenswert.
Jonas Hagedorn von der Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main setzte sich mit laboristischen Tendenzen der von Pater Schasching beeinflussten Enzyklika „Laborem exercens“ auseinander und bezog seine Überlegungen auf die gegenwärtigen sozialen Herausforderungen der Pflegearbeit.
Prof. Matthias Möhring Hesse, Sozialethiker an der Uni Tübingen, näherte sich kritisch und differenzierend der in der katholischen Sozialtradition und bei Johannes Schasching SJ begegnenden Konzeptionen des Wohlfahrtsstaats. Als gegenwärtig virulente Gefahr skizzierte er eine von den rechtspopulistischen Parteien in Österreich, Deutschland und weiteren europäischen Ländern forcierte „exkludierende Solidarität“, einer vor allem mit den Ziel, etwa Zuwanderer oder Menschen mit Beeinträchtigung aus der Reichweite der Solidarität auszuschließen, eng gefasste Solidarität mit bisweilen völkischen Zügen.
Dieser exkludierenden Solidarität stellte Prof. Severin Renoldner, der an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz Ethik, Moraltheologie und politische Bildung lehrt, das katholische Modell einer weit gefassten, jedenfalls über nationale Grenzen hinweg ausgreifenden Solidarität entgegen. Vor allem im Hinblick auf Europa gebiete dieses Solidaritätsverständnis eine Überwindung nationalstaatlich gefasster Sozialstaatskonzeptionen.
In seinem Abendvortrag unter dem Titel „Die Kirche im gesellschaftlichen Konflikt – der Wandel religiöser Interventionen in politische Diskurse“ ging Prof. Karl Gabriel, Seniorprofessor am Exzellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster, von einer differenzierten Darstellung des Säkularisierungsprozesses aus. Die Kirche vertrete heute als öffentliche Religion „Sensibilität für die Schwachen und Benachteiligten in der Gesellschaft, Unterstützung der Machtlosen und Gefährdeten, Solidarität statt Wettbewerb und Machtdurchsetzung als Handlungsprogramm“. Es gehöre „zu den Einsichten einer öffentlichen Theologie, dass die Kirche und ihre Botschaft auf den öffentlichen Raum angewiesen sind. Eine auf den Privatbereich beschränkte Kirche, wie viele sie gerne hätten, befände sich in einer modernen ‚babylonischen Gefangenschaft‘“, so Gabriel. Als angemessenes sozialwissenschaftliches Konzept für die Kirche schlug Gabriel die „intermediäre Organisation“ vor, für die gelte, dass sie „individuelle Mitglieder habe, aber auch selbst Mitglied ist, nämlich im Netz der um Einfluss ringenden Organisationen. Sie unterliegt gleichzeitig einer Mitgliedschaftslogik einerseits und einer Einflusslogik andererseits und muss beide Logiken zum Ausgleich bringen.“ Anders als bei anderen Organisationen, komme für die Kirche noch die „Ursprungslogik“, die Bindung an die Glaubenstradition hinzu. „Den Menschen und ihren individuellen Erfahrungen der Selbsttranszendenz überzeugende religiöse Deutungen anzubieten, für den Glauben eine öffentliche Resonanz zu sichern und die Kette der Erinnerungen nicht abreißen zu lassen, dies zusammen macht die Aufgabe der Kirche als intermediäre Organisation heute aus.“
Auf das Leben und Werk Johannes Schaschings blickte P. Alois Riedlsperger, Provinzökonom der österreichischen Jesuiten, der als einer der besten Kenner Pater Schaschings gilt. Riedlsperger hob die besondere Fähigkeit Schaschings, die Anliegen der Kirche sprachlich präzis und doch anschaulich zu formulieren, hervor. Den Wissenschafter Schasching skizzierte P. Riedlsperger vor allem als Soziologen. Auch daraus resultiere die – für die Zeit des Wirkens Schaschings eher ungewöhnliche – Zurückhaltung bei der moralischen Zuspitzung christlicher Grundprinzipien und eine entsprechende Offenheit für den Dialog mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.
Genau in diesem Sinne stellte Sebastian Thieme, der der erste Schasching-Fellow der Katholischen Sozial-Akademie Österreichs (ksoe) war, den Dialog als Methode des Sozialwissenschafters Schasching und der katholischen Sozialethik insgesamt dar. Dabei stellte er aufschlussreiche Bezüge von der katholischen Sozialtradition zur Diskurstheorie von Jürgen Habermas und zur darauf aufbauenden Integrativen Wirtschaftsethik von Peter Ulrich her.
Schließlich zog Michaela Neulinger, Universität Innsbruck, einen Bogen von der systematischen Theologie zum Dialogbegriff sowie zu „Ort und Auftrag der religiösen BürgerInnen im säkularen Verfassungsstaat“. Dieser letzte Zugang zur Kirche im politischen Diskurs war nicht zuletzt der in der Enzyklika „Centesimus annus“ (1991) relativ breit entwickelten demokratietheoretischen Position der Kirche geschuldet.
V. l.: Dr. Jonas Hagedorn, P. Alois Riedlsperger SJ, Univ.-Prof. Dr. Christian Spieß, Prof. em. DDr. Dr. h.c. Karl Gabriel, Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse, P. Dr. Bernhard Bürgler SJ. (Nicht auf dem Bild: Prof. DDr. Severin Renoldner, Dr. Sebastian Thieme, Dr. Michaela Neulinger). © KU Linz / Eder
Die Themen Wirtschaft und Arbeit, Wohlfahrtsstaat und Europa, Kirche als öffentliche Religion und intermediäre Organisation sowie säkularer Verfassungsstaat und Demokratie bildeten neben der Person und dem Werk sowie der sozialwissenschaftlichen Methode Pater Johannes Schaschings SJ das Spektrum der Fachtagung. Einiges konnte dabei angesprochen und manche weiterführende Perspektive eröffnet werden. Zugleich wurden offene Fragen erkennbar, die eine weitere Auseinandersetzung mit dem Werk von Pater Schasching und mit der Rolle der Kirche im politischen Diskurs notwendig und lohnend erscheinen lassen.
Hermine Eder | KU Linz