ICO-Tagung in Salzburg: „Umbrüche im Nahen Osten“
Scheuer: „Es ist christlich, zum Aufbau beizutragen“
In seinen Eröffnungsworten zur Tagung schilderte Bischof Manfred Scheuer Eindrücke von seiner Reise in den Irak im Februar 2017. Er verbinde das Thema der Tagung, „Umbrüche im Nahen Osten“ , mit „Zerbrechen, mit Zerstörung von Stabilität, von Heimat, von Vertrauen, Nachbarschaft und Freundschaft“ , so Scheuer. Christlich sei es, zum Aufbau beizutragen: „Alles, was dem Wachstum, der Liebe und dem Mehr an Leben dient, das ist der Beitrag zum Guten. Es ist das Reich Gottes, das Jesus angekündigt hat.“ Den chaldäischen Patriarchen Sako, der bei der Tagung den öffentlichen Abendvortrag hielt, würdigte Scheuer als „Baumeister der Versöhnung“ . Der Linzer Diözesanbischof verwies auch auf die „Aktion Heimkehr“, die von der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV), von „Christian Solidarity International (CSI), „Kirche in Not“, von der Initiative Christlicher Orient (ICO) und der „Kardinal König Stiftung“ gestartet wurde. Gemeinsam soll das christliche Dorf Baqofa, das rund 25 Kilometer nördlich von Mossul liegt und als „Österreich-Dorf“ bezeichnet wird, wieder aufgebaut werden. Scheuer: „Ich appelliere an die heimische Politik und Wirtschaft, sich den Bemühungen der heimischen Hilfsorganisationen anzuschließen.“
Eröffnungsworte von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Bischof Manfred Scheuer. © Kathpress / Georg Pulling
Patriarch Sako: Warnung vor neuer Gewalt im Nordirak
Sehr besorgt über die Zukunft der Christen im Irak hat sich der chaldäische Patriarch Louis Sako gezeigt. Er hielt am Montagabend den Hauptvortrag bei der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) in Salzburg. Nach der Befreiung des Irak von der Terrortruppe des IS habe auch unter den Christen Aufbruchsstimmung geherrscht, so Sako. Die ersten christlichen Flüchtlinge seien auch bereits in ihre befreiten Dörfer und Städte in der nordirakischen Ninive-Ebene zurückgekehrt. Durch das am Montag abgehaltene Unabhängigkeitsreferendum der Kurden stelle sich die Situation nun aber wieder höchst komplex und unsicher dar. "Wir wissen einfach nicht, was die Zukunft bringt. Die Menschen haben Angst."
Prinzipiell habe jedes Volk das Recht, über die eigene Zukunft zu entscheiden, hielt der Patriarch fest, doch der Zeitpunkt für das Referendum, mit dem ja eindeutig die Richtung hin zu einem unabhängigen kurdischen Staat vorgezeichnet ist, sei falsch. "Das kommt alles viel zu schnell, ohne entsprechenden Dialog zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Zentralregierung in Bagdad."
Aber nicht nur mit der Zentralregierung gebe es massive Spannungen, betonte Sako. Er verwies auch auf die massiv ablehnende Haltung der Nachbarstaaten Türkei, Iran und Syrien wie auch auf die ablehnende Haltung der internationalen Staatengemeinschaft. Er habe Angst vor einem neuen Krieg in der Region, so der Patriarch. Die irakische Armee sei nun auch wieder stark aufgerüstet, dazu kämen die vom Iran unterstützten schiitischen paramilitärischen Gruppen im Land. Noch einen militärischen Konflikt, bei dem die kleine christliche Minderheit zwischen die Fronten gerät, würde diese wohl nicht mehr aushalten. Dann würden die meisten Christen wohl endgültig das Land verlassen. Dabei seien sie gerade erst dabei, ihre vom IS zerstörten Häuser und Dörfer wieder aufzubauen. Damit dies gelinge und die Christen sich wieder eine Existenz schaffen könnten, brauche es zuallererst Stabilität in der Region.
Laut Patriarch Sako gibt es nicht einmal mehr 500.000 Christen im Irak. Rund 140.000 davon würden im Nordirak leben, der größere Teil noch in Bagdad. Genaue Zahlen gebe es freilich nicht. Noch seien diese christliche Gemeinden recht stark und vital.
Der Patriarch appellierte an die Kirchen im Westen, besonders den Christen im Orient Hilfe zukommen zu lassen. "Die Sunniten in der Region bekommen Hilfe von Saudi Arabien oder Katar, die Schiiten vom Iran, die Christen von niemandem", so sein Befund.
Der chaldäische Patriarch Sako. © Kathpress / Georg Pulling
Freistetter: "Schulden Orient-Christen jede nur mögliche Hilfe"
Beeindruckt von all jenen Christen im Nahen Osten, die auch weiterhin in ihrer Heimat bleiben, hat sich Bischof Werner Freistetter gezeigt. "Wir schulden diesen Christen jede nur mögliche Hilfe", so Freistetter wörtlich in seinen Ausführungen bei der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) in Salzburg. Man müsse in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung in Österreich aber auch betonen, dass jene Menschen, die aus dem Irak oder Syrien flüchten, triftige Gründe dafür hätten. Der Militärbischof ist in der Österreichischen Bischofskonferenz u.a. für die Referate "Weltkirche" und "Weltreligionen" zuständig.
Viele Christen würden nach gelungener Flucht in den Aufnahmeländern Hürden erleben, die ein menschenwürdiges Leben mit Zukunftsperspektiven erschweren, bedauerte der Bischof. Hier seien auch die Aufnahmeländer gefordert. Zugleich sollte man aber auch eine künftige Rückkehr in die Heimatländer nicht ausschließen.
Wie zahlreiche Nahost-Kirchenvertreter räumte auch Freistetter ein, dass die internationale Staatengemeinschaft keine große Hilfe für die Christen vor Ort sei. Der Bischof ortete zudem einen deutlichen Informationsmangel im Westen. Viel zu wenigen Menschen sei bewusst, dass es etwa im Irak und in Syrien noch starke, lebendige einheimische Kirchen bzw. Christen gibt.
Auch der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer räumte ein, dass das Engagement der Kirche in Österreich für die Christen im Orient noch Luft nach oben habe. "Während wir hier über Strukturen debattieren, kämpfen manche christliche Gemeinden vor Ort um ihre Existenz", so der Weihbischof, der mit den TeilnehmerInnen der ICO-Tagung einen Gottesdienst feierte.
"Umbrüche im Nahen Osten"
Prof. Markus Ladstätter, u.a. Lehrbeauftragter für Religionswissenschaft an der Universität Graz, zeichnete ein differenziertes Bild der Situation der Christen im Iran. Die Christen seien als religiöse Minderheit toleriert, von echter Religionsfreiheit könne in der Islamischen Republik Iran freilich keine Rede sein. Die Feier der Gottesdienste und auch die persönlich private Lebensführung als Christ, was beispielsweise den Genuss von Alkohol oder Schweinefleisch betrifft, sei kein Problem, im öffentlichen Leben gebe es freilich zahlreiche Einschränkungen. So müssten etwa christliche Schüler oft auch den islamischen Religionsunterricht besuchen, es herrsche oftmals Rechtsunsicherheit. Andererseits würden auch einige Christen im Parlament vertreten sei, freilich ohne echte politische Gestaltungsmöglichkeiten.
Kritisch werde es, wenn Muslime zum Christentum konvertieren wollten. Das sei bei Strafe verboten und die Kirchen seien gezwungen, solche Bewerber strikt abzulehnen. Die Bibel dürfe im Iran nicht gedruckt werden, um Missionsbemühungen einen Riegel vorzuschieben, berichtete Ladstätter weiter. Zugleich nehme die Zahl der Muslime, die zum Christentum tendieren, aber zu.
Die Zahl der Christen im Irak liegt nach Schätzung bei rund 200.000. Den Großteil davon machen die armenischen Christen aus, dazu kommen die Angehörigen der assyrischen und chaldäischen Kirche sowie einige wenige evangelische Christen.
Türkischer Nationalismus bedroht Christen
Eher düstere Perspektiven für die christlichen Minderheiten in der Türkei zeichnete die Berliner Soziologin Tessa Hofmann. Der in der türkischen Gesellschaft und Politik tief verankerte Nationalismus - sowohl bei säkularen als auch islamischen Kräften - gestehe den Minderheiten bestenfalls eine Gastrolle im Land zu. Zudem stehe stets der Verdacht des Landesverrats im Raum. In diesem antichristlichen Sinne seien bisher auch die Lehrpläne bzw. Schulbücher in der Türkei gehalten. Und die derzeit durchgeführten Revisionen dieser Bücher dürften nichts Gutes verheißen, so Hofmann.
Unter der türkischen AKP-Partei habe diese Situation in den vergangenen 15 Jahren nicht geändert. Auch Präsident Recep Tayyip Erdogan bediene sich stets anti-christlicher bzw. anti-armenischer Stereotype, wenn dies in seine politische Strategie passe. Dazu kämen gelegentlich "Gunsterweise" für die Kirchen, als etwa die evangelisch-armenische Kirche 2015 ein 1982 enteignetes Waisenhaus zurückbekam. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios durfte von 2011 bis 2015 jeweils einen Gottesdienst zum Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August im historischen Kloster der Gottesmutter von Sumela in der Region von Trapezunt feiern. Seit 2016 sei es jedoch erneut nicht möglich. Hofmann sprach von "willkürlichen Gnadenerweisen ohne rechtliche Absicherung". Brisant sei zudem auch die Situation in der Region Tur Abdin, wo mehr als 50 Kirchen, Klöster und Friedhöfe demnächst enteignet werden könnten.
Hofmann zeichnete u.a. auch die zahlenmäßige Entwicklung der autochtonen christlichen Gemeinschaften in der Türkei bzw. im Osmanischen Reich nach: Um das Jahr 1800 betrug der Anteil der nichtmuslimischen Bevölkerung im Osmanischen Reich noch 68 Prozent, 1890 betrug das Verhältnis zwischen muslimischer und nichtmuslimischer Bevölkerung ungefähr 50:50. Viele Pogrome und den Völkermord von 1915-18 später gab es nur mehr zwei Prozent religiöse Minderheiten im Land, und der Anteil sei seit 1937 nochmals auf nunmehr 0,1 bis 0,2 Prozent geschrumpft.
"Wir haben zusammen die Schulbank gedrückt"
Die aus Syrien stammende Christin Dalia Al-Frihat berichtete über die Situation in ihrem Heimatland. Vor dem Krieg habe es zwischen Christen und Muslimen ein gutes Auskommen gegeben. "Wir haben zusammen die Schulbank gedrückt, Christen und Muslime, Buben und Mädchen." Unter dem Vorwand, für die Freiheit zu kämpfen, hätten die verschiedenen islamistischen Terrorgruppen das Land zerstört. "Und der Westen tut nichts", so die junge Syrerin.
Von den islamistischen Rebellen wurden viele Christen ermordet oder vertrieben, in der syrischen Armee hätten sie auf der anderen Seite auch nur geringe Überlebenschancen. So sei vielen jungen Männern nur die Flucht geblieben.
Auch im Libanon, wohin sich viele syrische Christen geflüchtet haben, gebe es bereits Probleme. Flüchtlinge würden von der libanesischen Bevölkerung attackiert, weil sie der einheimischen Bevölkerung Lebenschancen nehmen würden. Die Christen hätten vor dem Krieg zwischen acht und zehn Prozent der syrischen Bevölkerung ausgemacht, in absoluten Zahlen bis zu 1,5 Millionen; nicht einmal die Hälfte sei noch im Land, so die Schätzung Al-Frihats.
Hilfe für den Orient
Die "Initiative Christlicher Orient" unterstützt seit vielen Jahren die Christen in Syrien, im Irak, im Libanon oder auch im anatolischen Tur Abdin. Die Arbeit der von Prof. Hans Hollerweger gegründeten ICO begann 1989 mit dem Einsatz für die bedrängten christlichen Gemeinden in der Südosttürkei ("Tur Abdin"), später wurde die Hilfe auf den gesamten Orient ausgeweitet.
Prof. Hollerweger, inzwischen 87 Jahre alt, zeigte sich bei der ICO-Tagung trotz aller aktueller Probleme zuversichtlich: Er habe bei seinen vielen Begegnungen im Orient immer wieder erleben dürfen, welche Glaubenskraft und Standhaftigkeit die einheimischen Christen aufbringen. Und deshalb sei er überzeugt, dass sie in ihrer Heimat eine Zukunft haben.
Infos: www.christlicher-orient.at