Sonntag 6. Oktober 2024

Wie politisch ist Kirche?

Wie politisch ist Kirche?

Die Kirche ist politisch, aber nicht parteipolitisch. So formulierte es der christliche Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Christian Spieß. Er lehrt an der Katholischen Privat-Universität Linz. Auch bei der Vollversammlung des Pastoralrates am 3. März 2017 war das Verhältnis von Politik und Kirche Thema.

Die Bundespräsidentenwahl im Herbst 2016 stellte nicht nur die Zivilgesellschaft vor eine Herausforderung. Auch die Katholische Kirche bekam ihr Fett ab. Menschen verschiedener politischer Richtungen meldeten sich per Telefon, E-Mail, Facebook oder in Zeitungsforen und verlangten von „der Kirche“, für die eigene politische Anschauung öffentlich Stellung zu beziehen. Andere wetterten in einem Aufwischen gegen Glaube, Religion und „die Kirche“. Das alles sei privat zu halten. Religions­gemein­schaften hätten keine Berechtigung, sich politisch zu äußern – schon gar nicht öffentlich. Als zwei Priester in Oberösterreich eine gegenteilige Wahlempfehlung im Gottesdienst abgaben, folgten die Aufschreie auf dem Fuß – zuerst klagten die Anhänger der politisch Geschmähten; nach Maßnahmen der Diözese drehte sich der Wind und das Heulen tönte aus den jeweiligen Gegen­richtungen. Resümee: Es ist den Menschen nicht egal, ob oder wie Religionsgemeinschaften politisch Stellung beziehen. Die Kirche ist Teil des politischen Diskurses der Gegenwart, ob sie das will oder nicht. Aber warum eigentlich?

 

Stadtpanorama von Linz: Kirche als Teil des öffentlichen Raums.

Stadtpanorama von Linz: Kirche als Teil des öffentlichen Raums. © Fotolia.com/Dieter Hawlan

 

Wo Menschen sind, wird es politisch

 

„Kirche ist im Allgemeinen keine Privatsache. Sie ist Akteurin im öffentlichen Raum. Insofern ist Kirche politisch“, analysiert der Sozialethiker Spieß, der an der Katholischen Privat-Universität das Johannes-Schasching-SJ-Institut leitet, das im Jänner 2017 gegründet worden ist. Zwar wirbt die Kirche getrennt vom Staat für ihre Ideen, gleichzeitig überträgt der Staat aber Aufgaben an die Kirche – meistens in sozialer Hinsicht. Auch in puncto Schule und Bildung ist es Religionsgemeinschaften möglich, mitzumischen, was die Katholische Kirche in Österreich mit einem ausgeprägten Bildungswesen tut. Abgesehen von diesen praktischen Aspekten ergibt sich für Christian Spieß das politische Wesen von Religionsgemeinschaften aus der Gemeinschaft, denn üblicherweise frönt man seinem Glauben nicht alleine im stillen Kämmerlein. „Religionen sind auf eine Gemeinschaft bezogen und eine Gemeinschaft bildet in der Regel auch eine Öffentlichkeit“, meint er. Bereits in der Bibel zeige sich die politische Dimension des Christentums. „Die Bibel ist voll von öffentlichen Auf­tritten. Predigten richten sich an die Öffentlichkeit.“ Dass das kein Freibrief für ungehemmte Parteipolitik sein kann, zeigen die unterschiedlichen Erwartungen der Menschen an die Kirche im Bundespräsidentschafts-Wahlkampf 2016. Die politische Verantwortung der Katholischen Kirche als größte Religionsgemeinschaft in Oberösterreich für ein friedliches Zusammenleben ist groß.

 

Ein Quäntchen Fingerspitzengefühl

 

Verschiedene Erwartungen können zu Auseinandersetzungen führen. Sie zeigen, wie vielfältig die Gesellschaft ist, und erfordern Fingerspitzengefühl. Das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, ist eine der politischen Aufgaben der Kirche. Einfach ist das nicht, denn dazu ist Empathie nötig. Etwas, das Bischof Dr. Manfred Scheuer manchmal vermisst, wie er vor dem Pastoralrat einräumte: „Die Fähigkeit, sich in andere hineinzudenken, ist beschränkt gegeben. Das hat Auswirkungen auf das Leben in Kirche und Gesellschaft.“ Ähnlich sieht es Professor Spieß, wenn er von der Pluralität des Katholizismus’ spricht: „Die Kirche ist nicht wie eine Partei, in der alle in dieselbe Richtung marschieren.“ Seit jeher gibt es innerhalb der Kirche verschiedene Ansichten – genau wie in der Gesellschaft. Für wichtig hält Spieß, dass man trotz Unterschieden respektvoll miteinander reden kann und die anderen samt ihren Bedürfnissen anerkennt.

 

Prof. Dr. Christian Spieß

Christian Spieß, christlicher Sozialwissenschaftler und Leiter des Johannes-Schasching-SJ-Instituts der Katholischen Privat-Universität Linz. © Diözese Linz/Appenzeller

 

Die Anerkennung des anderen

 

Damit Pluralität gelingt – ob in Kirche oder Gesellschaft – braucht es die Anerkennung des anderen. „Wir haben aber vor unterschiedlichen Menschen unterschiedlich Respekt“, stellt Christian Spieß fest und erzählt vom Kinderspielplatz: „Wir regen uns auf, wenn eine Zigarettenkippe im Sandkasten liegt. Doch wir kaufen billige T-Shirts, die anders­wo ein Kind mit giftigen Chemikalien färben musste.“ Es ist eine eigentümliche „Fähigkeit“ des Menschen, die Aufmerksamkeit auf die eigenen Bedürfnisse zu richten und die Augen zu verschließen, sobald es um die Bedürfnisse der anderen geht. So kommt es, dass manche Dinge nur für einige Bevölkerungsgruppen der Erde oder eines Staates verfügbar sind. Der Rest ist von der Teilhabe ausgeschlossen. Für Spieß ist dieses An-den-Rand-Drängen ein zentrales Problem der Gegenwart. „Die VerkäuferInnen der Kupfermuckn sieht man. Somit sind sie noch Teil der Gesellschaft“, meinte er: „Aber es gibt auch Menschen, deren Interessen nirgends mehr aufscheinen – oder wie Papst Franziskus in ‚Evangelii gaudium‘ schreibt: Die soziale Ungerechtigkeit ist so groß, dass manche nicht einmal mehr Ausgebeutete sind, sie sind Müll.“ Das Phänomen der Ausgrenzung tritt weltweit auf, auch im Rechtsstaat Österreich; beispielsweise bei Langzeit-Arbeitslosigkeit oder der heftig debattierten Mindestsicherung. Auf Ausgrenzung hinzuweisen, sieht Spieß als politische Aufgabe der Kirche und bezieht sich auf die katholische Soziallehre: „Es gehört zum Kern der christlichen Tradition, auf der Seite der Schwachen zu stehen.“ Es mag ausgelutscht klingen: Die Option für die Armen, Schwachen und Bedrängten ist und bleibt die Aufgabe der Kirche. Eine Selbstverständlichkeit? – Leider nein. „Interessant ist, dass etwas, das bislang positiv gesehen wurde, mit der Bezeichnung ‚Gutmenschentum‘ einen negativen Beigeschmack bekommen hat“, spielt Spieß auf die politische Situation der Gegenwart an. Hilfsbereitschaft ist nicht mehr ausschließlich en vogue.

 

Der Verfassungsstaat unter Druck

 

Vieles, was vor zehn Jahren in Europa als völlig sicher galt, steht heute auf dem Prüfstand. So auch der Verfassungsstaat, in dem die Ausübung der Staatsgewalt an die Rechtsschranken einer Staatsverfassung gebunden ist, Gewaltenteilung vorliegt und Rechtsschutz für alle Menschen gegeben ist. Dass rechtspopulistische Kräfte seit den 1970er Jahren versuchen, zugunsten bevorzugter Gruppen an den Säulen eines Verfassungsstaates zu rütteln, ist nichts Neues. Nicht absehbar war, dass sie in Mitteleuropa und den USA solchen Aufschwung erleben würden. Christian Spieß: „Es ist eine neue Erfahrung, dass Grundlagen plötzlich in Frage gestellt werden. Plötzlich muss man auf Selbstverständliches hinweisen.“ Den Rechtspopulismus sieht er als Heraus­forderung der Gegenwart, räumt aber ein, dass es, wie überall, auch hierbei viele Schattierungen gibt: „Nicht jede rechtsorientierte Bewegung ist gleich eine rechtsradikale Chaostruppe.“ Was bleibt, ist der schale Geschmack der Unsicherheit, der aber nicht nur RechtspopulistInnen zugute kommen kann. „In unsicheren Zeiten tendieren die Menschen nicht nur zum rechtspopulistischen Experiment. Auch das konservative Sicherheitsversprechen gewinnt an Reiz“, meint Spieß.

 

Wie politisch ist Kirche?

Darf sich Kirche politisch positionieren? Wenn ja, wie? © wellphoto – Fotolia, Mihajlo Maricic

 

Kirche auf dem politischen Parkett

 

Was braucht das politische Gefüge von der Kirche, um wieder Stabilität zu bekommen? Für Christian Spieß ist die Antwort klar: „Die Kirche muss sich positionieren – mit einer positiven Haltung zum säkularen Rechtsstaat. Das Zweite Vatikanum hat den Maßstab gesetzt. Dahinter darf man nicht zurück.“ Der Platz der Kirche ist in der Zivilgesellschaft, im politischen Diskurs, in der Öffentlichkeit – nicht aber in der staatlichen Politik. Die Caritas hält Spieß für ein gutes Beispiel, um das politische Auftreten der Kirche zu versinnbildlichen. „Caritas ist Dienstleistung und Anwaltschaft. Man hilft den Menschen praktisch, aber als die Mindestsicherung gekürzt wurde, ließ man das nicht unkommentiert. Beides ist – in unterschiedlicher Weise – politisch.“ Innerhalb der Kirche bemerkt Spieß eine politische Arbeits­teilung. „Manche Gruppierungen agieren politisch durch ihren praktischen Einsatz für die Menschen, andere kommentieren die Tagespolitik.“ Diese Arbeitsteilung hält er für gut. In seinem Abschlussstatement vor dem Pastoralrat formulierte es Professor Spieß so: „Die wichtigste Aufgabe der Kirche bzw. des Katholizismus ist es, auf Ausgrenzungsphänomene hinzuweisen und selbst im Sinne der Anerkennung anderer zu handeln. Sei es als Caritas, als Pfarre, als kategoriale Seelsorge und in vielen anderen Bereichen.“

 

Dieser Artikel erschien im „informiert “ , der MitarbeiterInnen-Zeitung der Diözese Linz, Ausgabe 5/2017. Verfasserin ist Maria Appenzeller.

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