Bischof Manfred Scheuer: Solidaritätsbesuch im Irak
Scheuer überreichte in seiner Funktion als Präsident der Kardinal-König-Stiftung dem chaldäisch-katholischen Patriarchen Mar Louis Raphael Sako den Kardinal-König-Solidaritätspreis. Außerdem fanden Gespräche mit kurdischen Ministern statt. Besonders berührend: ein Besuch in der von IS-Terroristen verwüsteten Ninive-Ebene und die Begegnung mit geflüchteten Christen in einem Containerlager am Stadtrand von Erbil.
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„Solidarität durch Taten, nicht nur durch Worte“
„Dankeschön und Vergelt’s Gott“, sagte der chaldäisch-katholische Patriarch Mar Louis Raphael Sako sichtlich bewegt, als ihm der Linzer Bischof Manfred Scheuer in seiner Eigenschaft als Präsident der Kardinal-König-Stiftung am Sonntag, 19. Februar 2017 in Erbil, der Hauptstadt der autonomen kurdischen Region des Irak, den Kardinal-König-Solidaritätspreis überreichte. Die Zuerkennung des Preises erfolgte in Würdigung der „außerordentlichen Verdienste des Patriarchen im Hinblick auf den Schutz der Rechte der orientalischen Christen, die seit 2.000 Jahren treue Zeugen des Evangeliums Christi sind“.
Dieser Preis sei eine „Ehre für alle Irakis und für die ganze chaldäische Kirche, eine Ehre für alle, die für den Frieden arbeiten“, betonte Mar Louis Raphael Sako in seinen Dankesworten. Im Zweistromland – wo am Sonntag auch die Offensive zur Befreiung des Westteils der Millionenstadt Mosul aus der Hand der IS-Terroristen begonnen hat – gehe es darum, „Dialog und Versöhnung“ zu fördern, so der Patriarch. Er verwies darauf, dass Kardinal Franz König mit der Gründung der Stiftung „Pro Oriente“ eine große Dialogbewegung eingeleitet habe. Der Solidaritätsbesuch von Bischof Scheuer und seiner Delegation – der u. a. „Pro Oriente“-Präsident Johann Marte, der Vorsitzende der „Initiative Christlicher Orient“ (ICO), Dechant Slawomir Dadas, und die Pressesprecherin der österreichischen Sektion von „Christian Solidarity International“ (CSI), Pia de Simony, angehörten – mache den chaldäischen Christen in einer überaus schwierigen Situation Mut – ebenso wie im Vorjahr der Besuch von Kardinal Christoph Schönborn. Wörtlich sagte der Patriarch: „Es geht um Solidarität durch Taten, nicht nur durch Worte“.
Die Delegation aus Österreich beim kurdischen Außenminister (v. l.): Prof. Erich Leitenberger (Pressesprecher Pro Oriente), Hermine Schreiberhuber (APA), MMag. Georg Pulling (Kathpress), Bischof Dr. Manfred Scheuer, Falah Mustafa Bakir (Außenminister der kurdischen Regionalregierung), Christian Hauenstein (Kronen Zeitung), Dr. Johann Marte (Präsident Pro Oriente), Mag.a Pia de Simony (Pressesprecherin CSI) und Generaldechant Dr. Slawomir Dadas (Vorsitzender ICO). © Slawomir Dadas
Bischof Scheuer hatte in seiner Laudatio bei der Überreichung des Preises in der modernen Pfarrkirche „Unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe“ in Erbil daran erinnert, dass Mar Louis Raphael Sako auch der Initiator des „Jahres des Friedens“ ist, das die christlichen Kirchen im Irak heuer begehen. Schon zu Beginn des Ramadan 2009 habe Sako – damals noch Erzbischof von Kirkuk - zusammen mit anderen religiösen Führungspersönlichkeiten einen Aufruf für Frieden, Versöhnung und ein Ende der Gewalt formuliert. In diesem Aufruf, der weit über die Grenzen des Irak hinaus große Beachtung fand, habe es u. a. geheißen: „Wir sind alle Brüder, Kinder des einen Gottes, wir müssen uns gegenseitig respektieren und zusammenarbeiten für das Wohl der Menschen und das Wohl unseres Landes. Der Irak braucht Versöhnung und Dialog“.
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Die kleine Geldsumme, die mit dem Kardinal-König-Preis verbunden ist, sei als "Initialzündung" gedacht für eine größere Initiative aus Österreich, betonte Bischof Scheuer. Man wolle ein Zeichen der Solidarität setzen und beim Wiederaufbau der christlichen Städte und Dörfer in der Ninive-Ebene tatkräftig Hilfe leisten.
Laudatio von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Einander „akzeptieren und respektieren“
In Erbil traf Bischof Scheuer mit seiner Delegation sowohl mit dem Außenminister der kurdischen Regionalregierung, Falah Mustafa Bakir, als auch mit Innenminister Karim Sinjari zusammen. Bischof Scheuer betonte im Gespräch mit dem Außenminister, dass die Bemühungen um den Aufbau eines modernen, demokratischen und pluralistischen Staatswesens in der autonomen kurdischen Region, in dem alle Bewohner ohne Unterscheidung nach Religionsbekenntnis, Sprache oder Nation gleiche Rechte haben, mit großer Sympathie begleitet werde. Zugleich würdigte er die Tatsache, dass nach der Eroberung von Mosul und der Ninive-Ebene durch die IS (Daesh)-Terroristen in Erbil und anderen Städten der kurdischen Region zehntausende vertriebene Christen Aufnahme gefunden haben. Der chaldäische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, habe berichtet, dass damals im Jahr 2014 an einem einzigen Tag innerhalb von zwei Stunden 750 Flüchtlingsfamilien in seinem Bischofshaus angekommen seien. Voraussetzung für die Rückkehr der christlichen Flüchtlinge in die aus der Hand der Terroristen befreiten Gebiete sei die Garantie umfassender Sicherheit und eine Art „Marshall-Plan“ für den Wiederaufbau. Der Linzer Bischof sagte, er werde sich bemühen, im Kontakt mit kirchlichen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Stellen auch ein österreichisches Solidaritätsprojekt in Gang zu bringen. Die Verleihung des Kardinal-König-Solidaritätspreises an Patriarch Mar Louis Raphael Sako könne eine „Initialzündung“ dafür sein.
Statement von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Bischof Manfred Scheuer und der kurdische Außenminister Falah Mustafa Bakir. © Kathpress / Georg Pulling
Minister Mustafa Bakir legte seinerseits dar, dass seine Regierung auf das friedliche Zusammenleben und auf den Wert der Verschiedenheit setze. Man müsse sich bewusst sein, dass die Christen im Irak bereits vor dem Einmarsch der IS-Terroristen schwer gelitten hätten. Heute gehe es darum, den Christen im Zweistromland eine „Existenz in Würde“ zu garantieren, damit sie „unbehelligt von andersgläubigen Nachbarn“ friedlich leben können. Es seien die entsprechenden materiellen Voraussetzungen – wie Wasser- und Energieversorgung – zu schaffen, man müsse aber auch die gesellschaftlichen Beziehungen sanieren und wiederaufbauen, denn die Christen hätten vor allem auch durch ihre unmittelbaren Nachbar gelitten. Immer wieder werde von christlichen Flüchtlingen berichtet, dass die ersten Angreifer die nächsten Nachbarn waren. Man müsse einander „akzeptieren und respektieren“. In der kurdischen Region werde alles getan werden, um die Zukunft der Christen zu sichern. Zugleich appellierte der Minister an die westlichen Länder, den Christen etwa durch die Vergabe von Stipendien oder die Gründung von Wirtschaftsunternehmen zu helfen.
Auch Innenminister Sinjari betonte das Prinzip des gleichberechtigten Zusammenlebens. Entscheidend sei es, das Vertrauen zwischen den Gemeinschaften wiederherzustellen: „Versöhnung ist ein Schlüsselwort“. In der kurdischen Region gelte das Wort von Präsident Barzani, dass es hier keine „Minderheiten“ gebe, sondern alle Gemeinschaften miteinander das Gemeinwesen tragen. Auch Sinjari betonte die Mitverantwortung der westlichen Länder für die Rückkehr der von den IS-Terroristen vertriebenen Christen in ihre Heimstätten. Im Hinblick auf die politische Zukunft der Ninive-Ebene, Mosuls und des Sinjar-Gebirges betonten die beiden Minister übereinstimmend, dass man in Erbil „aufmerksam verfolgen und unterstützen“ werde, „was die Leute wollen“. Der Innenminister überreichte Bischof Scheuer als Geschenk für Kardinal Schönborn einen Bildband, der eindrucksvoll zeigt, wie Peschmerga-Offiziere und -Soldaten (unter ihnen auch etliche Christen) bei der Befreiung von Orten der Ninive-Ebene die Kreuze auf den Kirchen wieder aufrichteten und die unter der Terrorherrschaft verstummten Glocken wieder läuteten.
Bischof Manfred Scheuer und der kurdische Innenminister Karim Sinjari. © Kathpress / Georg Pulling
„Wir hoffen und leiden mit euch“
Die Realität der von den IS(Daesh)-Terroristen verwüsteten Ninive-Ebene wurde Bischof Scheuer und seiner Delegation in den beiden Kleinstädten Batnaya und Telskof vor Augen geführt. Batnaya ist völlig zerstört; in der geschändeten St. Kyriakos-Pfarrkirche zeugen an den Wänden blasphemische Sprüche in deutscher Sprache von der Anwesenheit aus Mitteleuropa stammender IS-Terroristen. Niemand wohnt mehr in dem Städtchen, in den Hausruinen gibt es noch Sprengfallen. In Telskof, wo nur weniger zerstört wurde, sind mittlerweile 40 Familien zurückgekehrt, 500 weitere Familien bereiten sich auf die Rückkehr vor. Mar Louis Raphael Sako feierte in Konzelebration mit Bischof Scheuer in der provisorisch wiederhergestellten Pfarrkirche von Telskof einen festlichen Gottesdienst, zu dem viele frühere BewohnerInnen gekommen waren. Der Linzer Bischof würdigte in seiner Ansprache die „Kraft des Glaubens und der Hoffnung“, die unter den chaldäischen Christen spürbar sei. Er könne verstehen, dass sich die Chaldäer angesichts der politisch-ökonomischen Interessen der westlichen Welt oft „vergessen fühlen“. Umso mehr sei die Verleihung des Kardinal-König-Preises ein „Ausdruck des Respekts und der Dankbarkeit“ gegenüber der ganzen chaldäischen Kirche mit ihrem Patriarchen an der Spitze: „Wir hoffen und leiden mit euch“.
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Nach der Messfeier wurde auf dem Hügel über Telskof von Mar Louis Raphael Sako ein großes Metallkreuz gesegnet, das in der Nacht beleuchtet ist. Für die Bewohner von Telskof ist es ein Zeichen ihrer Entschlossenheit, von Neuem zu beginnen und ihren christlichen Glauben, ihre Kultur und ihre Sprache zu bewahren.
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Geflüchtete Christen in Container-Lager besucht
Ebenso bewegend wie die Exkursion in die Ninive-Ebene war für Bischof Scheuer und seine Delegation die Begegnung mit geflüchteten Christen, die in Containern am Stadtrand von Erbil leben. In den Containern haben 1.200 Familien – rund 5.000 Personen – Unterkunft gefunden. Aufgebaut wurde die Containersiedlung von einer Arbeitsgemeinschaft der örtlichen christlichen Kirchen, die jetzt auch gemeinsam für den Unterhalt Sorge tragen. Manche der Vertriebenen waren Staatsangestellte aus Mosul, die noch weiter ein Gehalt beziehen, andere haben alles verloren. Eine der Hauptsorgen gilt der Beschaffung von Treibstoff für die Generatoren zur Stromerzeugung.
Bischof Manfred Scheuer und ICO-Obmann Slawomir Dadas bei einer Begegnung mit christlichen Flüchtlingen in einem Containerlager am Stadtrand von Erbil. © Kathpress / Georg Pulling
Kardinal-König-Stiftung
Die Kardinal-König-Stiftung wurde von Kardinal Franz König (1905-2004) - damals noch unter dem Namen "Communio et Progressio" - im März 1991 ins Leben gerufen. Zweck der Stiftung war und ist die "Bildung eines Handlungsbündnisses von Wissenschaft, Religion, Wirtschaft und Medien, um einen Beitrag zu leisten zur Bewältigung der weltweiten Probleme auf dem Gebiet der Meinungs- und Gewissensfreiheit, der Gerechtigkeit, des Friedens, der Bewahrung der Schöpfung und der allgemeinen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft". Nach dem Tod von Kardinal König wurde die Stiftung im Juni 2008 in Kardinal-König-Stiftung umbenannt.
Bisherige Preisträger des "Kardinal-König-Preises" waren u.a. der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I., der inzwischen verstorbene koptische Papst-Patriarch Shenuda III., Caritas und Diakonie oder der tschechische Priester und Religionsphilosoph Tomas Halik.
"Zeichen des Todes und der Hoffnung"
"Wir haben so viele Zeichen des Todes und der Zerstörung gesehen, aber auch viele Zeichen der Hoffnung und der Auferstehung." Das betonte Bischof Manfred Scheuer rückblickend im "Kathpress"-Gespräch. Scheuer hatte u. a. gemeinsam mit dem chaldäischen Patriarchen Louis Sako und einer kleinen Delegation aus Österreich vom IS befreite Dörfer in der Ninive-Ebene besucht. Einige sind so zerstört, dass bis auf weiteres an keine Rückkehr der christlichen Flüchtlinge zu denken ist. Bei anderen hingegen bestehe durchaus Hoffnung, so Scheuer. Dazu brauche es freilich Hilfe aus dem Ausland.
Der Blick auf die Ruinen der Kleinstadt Batnaya, in der die Terrormiliz IS mehr als zwei Jahre wütete, stehe symbolisch auch für die zerstörten zwischenmenschlichen Beziehungen im Irak, so Bischof Scheuer. In Mosul wie in der gesamten Ninive-Ebene seien die Christen noch vor dem Eintreffen des IS von muslimischen Nachbarn ausgeraubt und vertrieben worden. Das Vertrauen der Christen sei nachhaltig zerstört. "Wer früher Nachbar, Partner oder gar Freund war, wurde zum Feind oder sogar Mörder", so Scheuer. Was sich hier in der Seele der Menschen abspielt, sei wohl unvorstellbar. Umso mehr brauche es im Sinne des christlichen Glaubens Versöhnung.
Bischof Manfred Scheuer blickt auf die zerstörte Christenstadt Batnaya (Ninive-Ebene, Nordirak). © Kathpress / Georg Pulling
Einstige BewohnerInnen bestätigten dem Linzer Bischof bei seinem Besuch, dass sie in ihre Heimatstadt zurückkehren wollen. Dazu bräuchten sie aber Hilfe. Patriarch Sako kündigte den Menschen an, dass die chaldäische Kirche 400.000 Euro Soforthilfe für Rückkehrer bereitstellen kann. Doch es sei noch mehr Hilfe notwendig. Telskof solle wieder aufgebaut und damit ein Zeichen der Hoffnung für alle Christen im Irak werden, so Sako.
Bischof Scheuer unterstrich gegenüber "Kathpress" vor Ort, dass die Christen in ihrer Heimat im Irak bleiben sollten. Ohne die Christen sei es kaum denkbar, dass sich die orientalische Gesellschaft in Richtung Demokratie und Menschenrechte entwickeln könne.
Sein Besuch im Irak sei ein Zeichen dafür, "dass die Christen hier nicht vergessen sind". Es sei auch Aufgabe der Kirche in Österreich, im Irak zeichenhaft tätig zu werden: "Durch das Gebet, Solidaritätsbesuche vor Ort und materielle Hilfe; etwa beim Wiederaufbau der zerstörten Häuser oder auch bei der Renovierung von Kirchen."
Erich Leitenberger / Pro Oriente | Kathpress