„Arbeitslos zu sein, heißt arbeiten, um Arbeit zu finden“
53.172 Menschen waren Ende März 2016 in Oberösterreich ohne Arbeit. Ihnen gegenüber stehen nur 10.000 freie Jobs. Erfolge sind im Bereich der Jugendbeschäftigung zu verzeichnen, aber gerade bei älteren Arbeitslosen verfestigt sich das Problem. Bischof Scheuer, ÖGB-Landesvorsitzender Kalliauer und Karl Osterberger von der Volkshilfe waren sich einig: Um die Arbeitslosigkeit zu verringern, muss nicht nur neue Arbeit geschaffen werden. Arbeit muss auch anders verteilt werden.
Arbeit(slosigkeit) macht krank?!
„Arbeit macht krank.“ In vielen Teilen der Gesellschaft und in den Medien sei dies der Tenor, so Bischof Manfred Scheuer. Arbeit kann tatsächlich krank machen. Dann, wenn sie zu viel ist, wenn es persönliche Konflikte in der Arbeit gibt, wie Mobbing, wenn ständiger Leistungsdruck herrscht, Schichtarbeit zu leisten ist, das Gefühl besteht, dass der Arbeitsplatz nicht sicher ist und vieles mehr. Scheuer: „Aber Arbeit schützt auch vor psychischen Erkrankungen. Arbeit stiftet Sinn im Leben, gibt den Menschen einen Rahmen, man fühlt sich gebraucht. Arbeit ist eine wichtige Voraussetzung für das seelische Wohlbefinden.“ Keine Arbeit zu haben verursache Armut. „Arbeitslosigkeit kappt Sicherheitsnetze und führt an die Ränder der Gesellschaft – ja für die meisten bedeutet es, dass ihnen ein Stück Menschenwürde abgesprochen wird“, so Scheuer und wies darauf hin, dass die Schuld bei Arbeitslosigkeit oft vorschnell bei den arbeitslosen Menschen gesehen wird. „Sie werden als arbeitsunwillig betrachtet. Aber die Ursachen sind viel komplexer.“
Viele Fragen stellen sich: Wie kann die vorhandene Arbeit gerechter verteilt werden – auch in Hinblick auf die Flüchtlinge, die arbeiten wollen und nicht dürfen? Welchen Wert besitzt Arbeit? Wie bewerten wir Arbeit jenseits der Erwerbsarbeit wie Pflege- oder Kinderbetreuungszeiten? Bei Arbeit und Arbeitslosigkeit gehe es nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. „Das Thema Arbeitslosigkeit geht uns Christinnen und Christen, aber auch unsere Gesellschaft und somit die politischen Verantwortungsträger etwas an.“ Er sei sich bewusst, dass man den Bereich Arbeit nicht wie einen Kuchen verteilen könne. „Welche Arbeit gesucht wird und welche Arbeit nicht, ist, glaube ich, immer auch ein Ausdruck davon, welche Arbeit in der Gesellschaft etwas wert ist und welche nicht“, so Bischof Scheuer.
Arbeitslosigkeit schadet der gesamten Gesellschaft
„Ich kann es schon nicht mehr hören, wenn jemand sagt: Die wollen ja nicht arbeiten. Jeder der Arbeit sucht, findet welche“, sagte ÖGB-Landesvorsitzender Johann Kalliauer. Man müsse sich gegen die Aussage wehren, dass arbeitslos zu sein ein individuelles Versagen sei. „Arbeitslosigkeit ist nicht ein individuelles Problem einer Organisation. Dieses Thema geht viele Organisationen etwas an.“ Denn hohe Arbeitslosigkeit ist ein Problem für die gesamte Gesellschaft. Zu den Kosten für das Arbeitslosengeld kommen weniger Steuereinnahmen und weniger Einnahmen für die Sozialversicherung.
Zwei Wege nennt Kalliauer, um dem Problem der hohen Arbeitslosigkeit zu begegnen: Erstens müsse Arbeit anders verteilt werden, zweitens zusätzliche Arbeit geschaffen werden. Nicht nur im klassischen Sinne von Konjunkturprogrammen, sondern auch in Arbeitsfeldern wie dem Pflegebereich, wo tatsächlich Bedarf besteht. „Man muss auch bereit sein, die Diskussion zu führen, wer dies zahlen soll“, so Kalliauer weiter. „Uns muss klar sein, dass sich mit kleineren Maßnahmen zwar die Lage der individuellen Menschen verbessert, aber das Gesamtproblem bestehen bleibt. Nämlich, dass 53.000 Menschen arbeitslos sind und es derzeit 10.000 freie Jobs gibt.“
Kalliauer räumte aber auch ein, dass der große Wurf in der Verteilung der Arbeit noch nicht gelungen sei. Weniger Überstunden, dafür mehr Jobs, könnten aber eine Lösung sein. Österreichweit gebe es 3 Millionen Überstunden jährlich. „Wenn nur ein Viertel der Überstünden in zusätzliche Jobs umgelegt werden würde, wäre das eine deutliche Entlastung im Bereich fehlender Jobs.“
Johann Kalliauer © Diözese Linz/Appenzeller
Bestehen in der Arbeitswelt ist für viele wie ein Tanz auf dem Seil
Karl Osterberger, Geschäftsführer der Volkshilfe Oberösterreich, erklärte: „Am 1. Mai wird die Arbeit gefeiert. Aber es gibt viele Menschen, die nichts zu feiern haben. Darum ist der 30. April der ‚Tag der Arbeitslosen‘.“ Das Bestehen am Arbeitsmarkt sei für viele Menschen ein Drahtseilakt. „Das Wichtigste ist, die Balance zu halten zwischen den Anforderungen im Beruf und den privaten Interessen, zwischen dem, was man in der Arbeit verdient und dem, was man zum Leben braucht.“
Karl Osterberger © Diözese Linz/Appenzeller
Ihr größtes Handicap ist das Alter
Renate H. stellte sich vor: „Ich bin 57 Jahre alt, pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin mit Matura und habe unter anderem auch als Buchhalterin gearbeitet. Bei einem Berufswechsel ist etwas schief gegangen. Am ersten Arbeitstag sagte man mir: Wir haben es uns anders überlegt. Wir brauchen Sie nicht.“ Seitdem hat sie dreihundert Bewerbungen geschrieben. Denn wer arbeitslos ist, ist nicht faul. Arbeitslos zu sein, heißt arbeiten, um Arbeit zu finden. Aber immer wieder sagt man ihr: „Wie alt sind Sie? 57? Wie oft waren Sie schon auf Kur? Wir werden Sie auf die Warteliste setzen.“ Momentan ist Renate H. in einem Qualifizierungsprogramm der Volkshilfe beschäftigt.
Renate H. © Diözese Linz/Appenzeller