„Ich bin fremd und obdachlos”
In unserer Zeit tritt eine große Zahl von Menschen die gewagte Reise der Hoffnung an mit einem Gepäck voller Sehnsüchte, auf der Suche nach menschlicheren Lebensbedingungen. Nicht selten lösen jedoch diese Wanderungsbewegungen Feindseligkeiten aus. Besonders sensibel sind Sicherheitsfragen, die in der Öffentlichkeit eine große, mitunter wahlentscheidende Rolle spielen. Aber Migration ist zu komplex, als dass wir die damit verbundenen Probleme mit Zäunen lösen können.
Viele Menschen in Europa haben angesichts des Ansturms Angst. Aber Angst kann unberechenbar und sogar böse machen. Auf der Suche nach eindeutigen Wahrheiten herrschen Schemata wie: Entweder-Oder, Schwarz-Weiß, Freund-Feind. Was stellen Ängste mit uns an? Macht Angst böse? Es fühlen sich viele in der Tat bedroht. Eine mögliche Reaktion vor dem Fremden ist die Angst. Es gehört zu den Grundaufgaben der Kirche, durch die Verkündigung des Evangeliums und durch Bildung die Ängste vor den Fremden zu überwinden.
Angesichts der täglichen Nachrichten könnte das Gefühl der Resignation hochkommen. Was kann ich da schon tun? Mit unserem Engagement können wir als MitarbeiterInnen am Reich Gottes Dämonen austreiben, Zäune des Egoismus überwinden und Brücken bauen.
Die EU und Österreich sind wohlhabend genug, um Flüchtlingen zu helfen: mit Notquartieren, mit Grundversorgung, mit Integrationsbegleitung, mit einem Bildungsangebot, auch mit Beschäftigungsmöglichkeiten.
Ich hoffe, dass Österreich ein Vorbild für Planung, Logistik und Solidarität sein wird. Die Tatsache, dass flüchtende Menschen viele Risiken auf sich nehmen, um in Europa Schutz zu suchen, ist eine positive Aussage über Europa. Der Umgang mit den Flüchtlingen ist der Testfall, wie ernst es unser Kontinent wirklich mit den Menschenrechten nimmt.
Als ChristInnen müssen wir den Flüchtlingen mit Offenheit und Wertschätzung begegnen, es braucht zudem aber auch eine Kultur der Integration. Wichtig ist der persönliche Kontakt mit AsylwerberInnen. Dadurch wird die Erkenntnis möglich, dass „Flüchtlinge Menschen sind wie wir”. Eigentlich haben wir keine Angst vor MigrantInnen, sondern wir haben Angst vor der Armut, die durch sie sichtbar wird. Angela Merkel: „Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Gesellschaften, die von Angst geprägt sind, werden die Zukunft nicht meistern.” Dann aber sagt sie ein deutliches Wort an die Adresse derer, die immer vor dem Islam warnen: „Wenn ich etwas vermisse, dann ist es, dass auch wir den Mut haben, zu bekennen, dass wir Christen sind. Haben wir doch den Mut, in den Dialog einzutreten. Aber auch mal wieder in den Gottesdienst zu gehen oder ein bisschen bibelfest zu sein.”
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Lande lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.” (Lev 19,33-34) Für Jesus ist der Umgang mit Fremden und Obdachlosen entscheidend über Heil oder Unheil: „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.” (Mt 25,35)
Ich bitte Sie, Botschafterinnen und Botschafter der Solidarität zu sein, die Mut zusprechen und Vertrauen schaffen.
(Kurszeitung Bildungshaus Schloss Puchberg, Mai 2016, 26. Jg., Nr. 9)