Samstag 18. Januar 2025

Scheidung und Wiederheirat: Zulehner sieht "pastorale Wende"

Prof. Paul M. Zulehner

Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner würdigt das Papstschreiben "Amoris laetitia": Der Papst respektiere die Gewissensentscheidung und erachte Gläubige als fähig zur geistlichen Unterscheidung ihrer persönlichen Lage.

Das nachsynodale Papstschreiben "Amoris laetitia" stellt eine "wahrhaft pastorale Wende" und "Neuausrichtung der Seelsorge im Umkreis von Scheidung und Wiederheirat" dar. Mit diesen Worten hat der Wiener Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner am Freitag gegenüber "Kathpress" das am selben Tag veröffentlichte Dokument gewürdigt. Wenn Papst Franziskus beim Kommunionempfang von Geschiedenen nun die Gewissensentscheidung der betroffenen Menschen im "forum internum" in die Mitte stellt, sieht dies laut Zulehner der ostkirchlichen Praxis - die eine kirchliche Wiederverheiratung unter bestimmten Bedingungen ermöglicht - nur auf den ersten Blick ähnlich. Der Ansatz von Papst Franziskus sei "letztlich weitaus moderner".

Denn in der Ostkirche entscheide ein Bischof "paternalistisch" über die Stichhaltigkeit der Argumente für eine Zweitehe; die im Papstdokument eröffnete römisch-katholische Möglichkeit hingegen sei "personalistisch", so Zulehner: Franziskus vertraue darauf, "dass Menschen, die auf dem Weg des Evangeliums ernsthaft Suchende sind, in ihrer Einsamkeit vor Gott zur geistlichen Unterscheidung ihrer persönlichen Lage fähig sind und dabei auch durch Verantwortliche der Kirche nicht ersetzt werden können". Zulehner untermauert diese Interpretation mit dem Papstzitat: "Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen."

Zulehner erwähnt Gläubige, deren Ehe "aus einem nicht zu entflechtendem Gemenge von Schuld und Tragik" zu Ende ging und in vielen Fällen tiefe Wunden bei den Beteiligten hinterließ. Auf dem Weg der Klärung und Heilung könne es hilfreich sein, wenn Betroffene kompetente seelsorgliche Begleitung haben. Deren Ziel sei nach den Vorgaben des Papstes "nicht Verurteilung, sondern Heilung, nicht bleibender Ausschluss, sondern schrittweise die volle Integration ins kirchliche Leben". Der Papst wolle Integration und Inklusion, und dies nach einem guten Weg der geistlichen Unterscheidung - "was immer nur im konkreten Einzelfall möglich ist", so Zulehner. "Ermutigend" nannte der Theologe die Aussage des Papstes, "dass manchmal eine Trennung unvermeidlich, ja moralisch geradezu notwendig sein kann".



"Wie Österreichs Bischöfe schon 1980 lehrten"

 

Diese "pastorale Neuausrichtung" bestätige kirchliche Richtlinien im deutschsprachigen Raum, erinnerte der Wiener Theologe: "Der Papst hätte schreiben können: 'Wie die Österreichischen Bischöfe schon 1980 gelehrt haben'"; auch die oberrheinischen Bischöfe hätten 1994 sinngemäß festgehalten, dass Sakramente den Heilungsweg nach Scheidung im konkreten Einzelfall sogar begünstigen können. Denn - so die "Barmherzigkeitslogik" des Papstes - Sakramente sind nicht eine Belohnung der Vollkommenen und Würdigen, sondern ein Heilungsmittel. Dass Franziskus "diese wichtige Möglichkeit" in einer Fußnote "gleichsam versteckt", kann Zulehner nachvollziehen: Der Zugang zu den Sakramenten sei gemessen an den vielen gewaltigen Überlebensproblemen von Familien in aller Welt "in der Tat nachrangig".

Zulehners Fazit: Das Papstdokument baue auf der Wahrheit auf; betont werde aber, dass "die Barmherzigkeit die Fülle der Gerechtigkeit und die leuchtendste Bekundung der Wahrheit Gottes ist". Die Kirche stehe somit unter dem Anspruch, dieses Erbarmen Gottes in ihrem pastoralen Tun erfahrbar zu machen, erklärte Zulehner. "Es widerspricht dem Wesen der Kirche, wenn Menschen nach reiflicher Prüfung und mit geheiltem Herzen sagen: 'Gott vergibt mir. Aber die Kirche vergibt mir nicht'."



"Von pastoralgeschichtlicher Bedeutung"

 

Der Papst sage über sein Schreiben zu Ehe und Familie, er habe davor vielen aufmerksam zugehört - den Betroffenen, den Bischöfen, vielen von ihm seelsorglich Begleitete. "Das alles ist Teil des gemeinsamen Weges, was ja 'syn' (gemeinsam) und 'odos' (Weg) bedeutet, den er in der Weltkirche ausgelöst hat", sieht Zulehner den kollegialen Stil von Franziskus erneut bestätigt. "Das beachtliche Ergebnis des Weges ist eine Apostolische Ermahnung von hohem Rang und pastoralgeschichtlicher Bedeutung."

In manchem gehe sein Schreiben über die Beratungen bei der Synode vom Herbst 2014 und 2015 hinaus. Zulehner nannte hier "die starken spirituellen Texte des Papstes über die Liebe, die Leidenschaft, die erotisch sexuelle Lust". Liebende in den unterschiedlichsten Phasen ihrer gemeinsamen Geschichte könnten "viele Passagen mit Gewinn meditieren". Weite Abschnitte des Dokuments lesen sich - so der Eindruck Zulehners - "wie ein Handbuch der Ehepastoral und der Eheberatung".

Freilich zeige sich der Papst auch "gewohnt leidsensibel", wenn er z.B. Migranten-Familien erwähnt, aber auch Familien, in denen Menschen mit Behinderung leben und alte Menschen gepflegt werden.

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