Schubert-Preis 2016 würdigt zwei Wegbereiterinnen des christlich-jüdischen Dialogs
Kurt Schuberts Talente und Interessen waren vielseitig. Deshalb wirkte er ungemein fruchtbar in Politik, Kunst, Religionswissenschaft und in seinem akademischen Fach Judaistik. Der Kurt-Schubert-Preis 2016 soll Schuberts lebenslangen und unbeugsamen politischer Widerstand gegen das „gottlose System des Nationalsozialismus“ – wie er es nannte – und seine tiefe Verehrung für dessen unzählige Opfer zur Geltung bringen. Irmgard Aschbauer und Ruth Steiner haben sich in diesem Bereich besondere Verdienste erworben. Das Stiftungskomitee und die Jury des „Gedächtnispreises für interreligiöse Verständigung“ sowie VertreterInnen der wichtigsten staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich hatten sie einstimmig für die Preisverleihung 2016 auserkoren.
Interreligiöse und ökumenische Vielfalt war auch im Publikum im Festsaal des Linzer Priesterseminars spürbar. Anwesend waren u. a. der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen Superintendent Lothar Pöll (Evangelisch-methodistische Kirche), der Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs Dr. Heinz Lederleitner, Landessuperintendent Mag. Thomas Hennefeld von der Evangelisch-reformierten Kirche in Österreich, der Serbisch-orthodoxe Bischof für Österreich Andrej Ćilerdžić und Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg. Von der Diözese Linz waren u. a. Bischof Dr. Manfred Scheuer, Bischof em. Dr. Maximilian Aichern, Generalvikar DDr. Severin Lederhilger, Bischofsvikar Wilhelm Vieböck sowie „Hausherr“ Regens und Bischofsvikar Dr. Johann Hintermaier gekommen.
Rektor Petrus Bsteh, Leiter des Forums für Weltreligionen, zeichnete in seinen einführenden Worten ein Profil des Menschen Kurt Schubert, dessen Leben seit der Gymnasialzeit vom unbeugsamen Widerstand gegen die „grauenhafte Pestilenz des Nationalsozialismus“ gekennzeichnet war.
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer, der den Ehrenschutz übernommen hatte, würdige in seinen Grußworten am Beginn die beiden Preisträgerinnen Dr.in Irmgard Aschbauer und Mag.a Ruth Steiner. „Beide üben den praktischen Dialog des Lebens und Handelns“, so Pühringer.
Der Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer ging in seinem Vortrag der Bedeutung des Gewissens im Widerstand gegen totalitäre Bewegungen nach. Er betonte zunächst, alle Ideologien hätten ihre Märtyrer: Nationalismus und Kommunismus, Bürgerkriege und Revolutionen, Religionen und Kirchen, Reformation und Gegenreformation. Ebenso hätten fast alle Religionen und Ideologien ihre Blutspur in der Geschichte hinterlassen und selbst Märtyrer geschaffen. Märtyrer und Zeugen zur Zeit des Nationalsozialismus hätten ihr Gewissen und ihre Verantwortung nicht infantil delegiert, „nicht an die anderen, nicht an das Volk, nicht an den Führer. Sie haben nicht der Mehrheit nach dem Mund geredet und wollten sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausreden. Sie sind ‚einsame Zeugen‘ des Gewissens, das sich nicht durch die Autorität der Obrigkeit suspendieren lässt“, so Scheuer. Er erinnerte an den Prozess gegen Adolf Eichmann von 1961 in Jerusalem. Eichmann war für die massenhafte Tötung der Juden verantwortlich war und zeigte dennoch keinerlei Schuldbewusstsein – vielmehr gab er Pflichtbewusstsein und Befehlsgehorsam als Handlungsmotive an. Er habe nicht als Mensch, sondern als bloßer Funktionär gehandelt.
Gewissenstäter der Vergangenheit wie Franz Jägerstätter hätten einen hohen Preis für die Treue zu ihrem Gewissen bezahlt, einen Preis, der das Opfer des eigenen Leben einschloss, betonte Scheuer. „Im Gewissenszeugnis strahlt die Würde der menschlichen Person auf. Das Gewissen, so verstanden und gelebt, ist kein Handlanger von Eigeninteressen. Es gibt nicht die Erlaubnis für alles und jedes, es ist nicht die Instanz der Beliebigkeit oder der Auflösung der Normen. Das Gewissen ist der Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch. Bei der Gewissensentscheidung geht es um sittliche Urteilskraft. Aus der Rückschau erinnert der Gewissensprotest gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime daran, dass die Maßstäbe von Gut und Böse unverrückbar bleiben, auch wenn sie in der damaligen pervertierten öffentlichen Moral kaum Widerhall fanden und ethische Werte auf den Kopf gestellt wurden. Das Gewissenszeugnis steht wie ein Leuchtturm gegen die Resignation in das Schicksal, es bezeugt, dass der Einzelne nicht einfach machtlos anonymen Prozessen ausgeliefert ist.“ Märtyrer seien in Situationen der Resignation vor der Unausweichlichkeit der Gewalt Zeuge der Hoffnung, dass Gewalt auch innergeschichtlich nicht das letzte Wort habe, so Scheuer.
Univ.-Prof. Dr. Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien führte in seinem Vortrag über „Einzugsgebiet, Verzweigungen und Auswirkungen eines Vernichtungsplans“ in die Gefährdung menschlicher Gesinnungen hinein. Perz ging unter anderem auf die Frage ein, warum im Nationalsozialismus Täter zu Tätern geworden sind. Ein Drittel der Lagerinsassen in Mauthausen und dessen Außenlagern sei durch aktive Gewalthandlungen des Aufsichtspersonals umgekommen. Die Recherchen der Täterforschung hätten ergeben, dass nur ein geringer Teil dieser Wächter aus Überzeugungstätern bestanden habe. Der Großteil des SS-Personals sei aber aus allen Teilen der Gesellschaft gekommen und habe „normale“ Biografien. Es könne also de facto keine bestimmte Sozialisation ausgemacht werden, die auf „Täterkarrieren“ hinweise, so Perz. Die SS-Wachmannschaft sei gut in die Bevölkerung integriert gewesen; dieser Umstand habe es diesen Tätern leicht gemacht, in der Nachkriegszeit problemlos zu verschwinden. Man müsse sich weiterhin die Frage stellen, was Menschen bewogen habe, solche Gewalttaten auszuüben. Die Verleugnung vergangener Verbrechen sei selbst ein Verbrechung und die Saat für neue Gewalt, so Perz.
Preisträgerin Irmgard Aschbauer: Mitinitiatorin der „Begegnung in der Synagoge“
Die oberösterreichische Historikerin Irmgard Aschbauer trat 1973 als Bildungsreferentin des Katholischen Akademikerverbandes (KAV) in den Dienst der Diözese Linz. In dieser Funktion war sie Mitinitiatorin der „Begegnung in der Synagoge“, einer Gemeinschaftsveranstaltung mit der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, die sie wie andere Initiativen des christlich-jüdischen Dialogs mitorganisierte und inhaltlich mitgestaltete. 1989 trat sie als Vertreterin der Katholischen Aktion OÖ in den Vorstand der Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen. Nach dem Ausscheiden der letzten Zeitzeugen übernahm sie 2009 den Vorsitz. Sie wurde Mitbegründerin der Nachfolgeorganisation Mauthausen Komitee Österreich.
Aschbauer bemühte sich um ein würdiges Gedenken der unzähligen Opfer des menschenverachtenden NS-Regimes, um die Aufarbeitung der historischen Fakten und deren Vermittlung in Erwachsenenbildungs- und Jugendprogrammen und um die Weckung von Widerstand gegen rassistische, nationalistische und andere demokratiegefährdende Tendenzen sowie gegen alle Verletzungen der Menschenrechte.
Die Laudatio für Irmgard Aschbauer hielt Bischof em. Dr. Maximilian Aichern. Besonders hob Aichern die von Aschbauer bestens vorbereiteten ökumenischen Wortgottesfeiern für die jährlichen Gedenkfeiern in Mauthausen hervor. Aichern unterstrich das Wirken von Irmgard Aschbauer unter den Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen und würdigte zugleich ihren unermüdlichen Versuch, Kirche und Synagoge wieder in ein Vertrauensverhältnis zu führen.
Univ.-Prof.in Dr.in Sigrid Jalkozy-Deger überreicht Dr.in Irmgard Aschbauer (r.) den Schubert-Preis. © Wallner / KirchenZeitung
Preisträgerin Ruth Steiner: Stimme des christlich-jüdischen Dialogs
Ruth Steiner entstammt einer Wiener jüdischen Emigrantenfamilie. Sie wurde 1944 im damals japanisch besetzten Manila als Tochter des Kunsthistorikers Prof. Hans Steiner (1908-1980) und der Botanikerin Prof. Monica Lise Steiner (1915-2000) geboren. Steiner besuchte 1952-59 in Manila die American School. Dann kehrte sie nach Wien zurück, wo sie von 1959-63 die Neulandschule besuchte. Nach ihrer Rückkehr fand sie Aufnahme bei der Katholischen Hochschulgemeinde in Wien unter Karl Strobl und seiner Gruppe junger Intellektueller. 1969 schloss sie das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien ab. 1963 trat sie in Wien zum katholischen Glauben über.
Sie war von 1969 bis 1973 Leiterin des Internationalen Studentenclubs Wien, arbeitete von 1973 bis 1983 im Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg (IIASA), und von 1983 bis 1986 in der „Citibank“ in Wien. Von 1986 bis zu ihrem Übertritt in den Ruhestand im Jahr 2000 war sie Generalsekretärin der Katholischen Aktion Österreichs (KAÖ).
Ihr Lebenswerk galt schon früh vornehmlich dem Dialog zwischen Judentum und Christentum, den sie gleichsam leibhaftig verkörpern wollte. Mutig setzte sie sich etwa auch 1993 für das „Lichtermeer“ am Heldenplatz ein, jenes denkwürdige Ereignis, das Gelegenheit bot, ein öffentliches Bekenntnis zur Würde aller in Österreich lebenden Menschen abzulegen.
Bei zahlreichen Bildungsveranstaltungen tritt Ruth Steiner bis heute auf, in vielen Schulen sucht sie Kinder und Jugendliche zu erreichen. Für sie kann es keine kollektive Schuld geben, wohl aber eine gemeinsame Verantwortung und vor allem ein persönliches Gedächtnis: Alle Nachgeborenen müssten sagen können: „Nie wieder!“, so ihr Credo.
Die Laudatio für Ruth Steiner hielt Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg aus Wien. Er nahm in seinen Worten auf „Nostra aetate“ als Durchbruch für das Verhältnis von Christen und Juden Bezug. Diese „Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“, die 1965 beim Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedet worden war, klärt das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Es ist das erste offizielle Dokument der römisch-katholischen Kirche, in der die anderen Religionen positiv anerkannt werden. Mit einer klaren Absage an den traditionellen Antijudaismus und der Anerkennung der Wurzeln ihres Glaubens begann eine umfassende Aussöhnung der Kirche mit dem Judentum. Eisenberg betonte, „Nostra aetate“ habe sicherlich viele Christen verwirrt. „Es braucht Menschen, die diese wunderbaren Gedanken, die in Rom in der Theorie so einfach ausgesprochen wurden, erklären. Beide Preisträgerinnen haben das gemacht“, so Eisenberg. Und dies sei wichtig, weil eine solche Gesinnesänderung unter den Christen nicht von allein passiere: „Niemand dreht sich von allein um hundertachzig Grad“, so der Oberrabbiner wörtlich. Ruth Steiner habe versucht, so gut wie möglich Brücken zwischen ihrer jüdischen Herkunft und ihrem christlichen Bekenntnis zu schlagen. Sie habe ihr ganzes Leben beispielhaft diesem Anliegen gewidmet, betonte Eisenberg.
Eisenberg dankte auch Irmgard Aschbauer ausdrücklich für die Initiierung der „Begegnung in der Synagoge“ und überbrachte Grüße von George Wozasek, dem ehemaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, an beide Preisträgerinnen.
Univ.-Prof.in Dr.in Sigrid Jalkozy-Deger überreicht Mag.a Ruth Steiner (r.) den Schubert-Preis. © Wallner / KirchenZeitung
Dank und Hoffnung der Preisträgerinnen
Irmgard Aschbauer blickte in ihren Dankesworten auf prägende WegbegleiterInnen ihres Lebens zurück. Besonders hob sie Prälat Josef Wiener hervor, den sie während seiner Kaplanszeit in Gmunden kennenlernt hatte und dem sie bei ihrem Dienst in der Diözese in seinen leitenden Funktionen wieder begegnet war.
Ruth Steiner äußerte als Wunsch für eine gute Zukunft, „dass Sicherheitsmaßnahmen vor der Synagoge einmal nicht mehr notwendig sind, dass die Nachfahren des Holocaust in Österreich willkommen sind und dass die Humanität mit Minderheiten und Fremden auf der Flucht zum Prinzip der Demokratie in Österreich wird“.
V. l.: Rektor Petrus Bsteh (Forum für Weltreligionen), Preisträgerin Irmgard Aschbauer, Preisträgerin Ruth Steiner, Bischof Manfred Scheuer. © Forum für Weltreligionen
Der Abend wurde vom Giocoso Streich-Quartett aus Wien musikalisch berührend gestaltet. Zu Gehör gebracht wurden Werke von Erwin Schulhoff (+1894 in Prag, + 1942 in einem deutschen Internierungslager in Bayern) und Ernst Krenek (*1900 in Wien, + 1991 in Palm Springs, emigrierte rechtzeitig nach Amerika).
Berührend musizierte das Giocoso Streich-Quartett aus Wien. © Wallner / KirchenZeitung