Scheuer: TheologInnen müssen heute "Vor-DenkerInnen" sein
Die Aufgabe von TheologInnen, aber auch von Priestern und Seelsorgern besteht heute mehr denn je darin, nicht nur "auskunftsfähig" in Fragen des Glaubens zu sein, sondern auch aufrichtige Dialogpartner im Ringen um Fragen des Gemeinwohls und des Zusammenlebens zu sein: Das hat der neue Linzer Bischof Manfred Scheuer bei einem Vortrag am Donnerstag, 28. Jänner 2016 in St. Pölten betont. Theologie habe die Kraft, "Zukunft offen zu halten, wo sie verschlossen erscheint oder wo es heißt: no future", so Scheuer. Angesichts einer grassierenden "Machbarkeitseuphorie im Konzert der Wissenschaften" sei es wichtig, kritische Kompetenz zu entwickeln und den Menschen zu erschließen, um einer nurmehr technischen Rationalität die Grenzen aufzuzeigen.
Scheuer war Festredner der heurigen "Thomasakademie", die ganz im Zeichen des 225-Jahr-Jubiläums der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten stand. Unter den Gästen waren neben dem gastgebenden Bischof Klaus Küng außerdem Nuntius Peter Stephan Zurbriggen, die Weihbischöfe Anton Leichtfried (St. Pölten) und Franz Scharl (Wien), der emeritierte Militärbischof Christian Werner sowie Vertreter der Stadt St. Pölten und des Landes Niederösterreich.
Den Theologen komme heute mehr denn je die "Aufgabe des Nach-Denkens, des Mit-Denkens und des Vor-Denkens zu", so Scheuer weiter. Schließlich führe ein verkürzter Begriff von Vernunft und Wissenschaft zu einer Abdichtung gegen die Wirklichkeit in all ihrer Komplexität: "Die Verweigerung des Denkens und der Denkarbeit kennzeichnet auch gegenwärtige fundamentalistische Strömungen. Die für viele zu komplexe Wirklichkeit wird auf überschaubare, eindeutige Antworten reduziert."
Gewährsmann: Thomas von Aquin
Auch dürfe die Entscheidung darüber, "was der Mensch ist, welches Leben lebenswert ist", nicht der Naturwissenschaft überlassen werden: "Die Versuchung, den rechten Menschen zu konstruieren, die Versuchung, mit Menschen zu experimentieren, die Versuchung, Menschen als Müll anzusehen und zu beseitigen, ist kein Hirngespinst fortschrittsfeindlicher Moralisten", warnte Scheuer.
Als Gewährsmann für eine solche neue theologische Diskursbereitschaft führte Scheuer den mittelalterlichen Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274) an. An Thomas lasse sich lernen, dass "Weltverständnis und Selbstverständnis des Menschen" eng mit dem Glauben verknüpft seien.
Eine solche denkerische Vergewisserung des eigenen Glaubens sei um so wichtiger, als der Mensch "im Zeitalter des kulturellen Pluralismus" dazu neige, "die widersprüchlichsten Auffassungen auch in der Religion gelten zu lassen". Damit jedoch stehe die Gesellschaft in der Gefahr, alle großen Fragen - auch jene nach Liebe, Hass, Krieg und Frieden - letztlich der Beliebigkeit auszusetzen. Dagegen gelte es von Seiten der Theologie, immer wieder den Dialog mit den Human- und Naturwissenschaften zu suchen und so auch für den Glauben neue Sprachfähigkeit zu schaffen.
Vortrag von Bischof Dr. Manfred Scheuer zum Nachlesen