Einfach stehen bleiben: Erstes Quartals.Gespräch zum Verhältnis von Arbeit und Muße
Univ.-Prof. Dr. Ansgar Kreutzer, Professor für Fundamentaltheologie an der KU Linz und Chefredakteur der Theologischen-praktischen Quartalschrift sowie Dr.in Gaby Pils, Kommunikationsberaterin und Vertreterin der „Citta Slow“-Bewegung in Enns diskutierten mit Mag.a Gabriele Eder-Cakl, Leiterin vom Haus der Frau unter der Leitfrage „Arbeit frisst Freizeit: Muße in Gefahr?“
Das Quartals.Gespräch ist „Wissenschaft zum Angreifen“ – so nennt sich das neue Diskussionsformat, initiiert von der Katholischen PrivatUniversität Linz (KU) / Theologisch-praktischer Quartalschrift, dem Institut Pastorale Fortbildung, dem Bildungszentrum Haus der Frau sowie der Personalentwicklung der Diözese Linz. Wissenschaft und Praxis bewusst im nicht-akademischen Rahmen ins Gespräch zu bringen, ist das Anliegen.
Nehmen wir die Arbeit so wichtig, dass Muße in Gefahr gerät?
Ja, die Erwerbsarbeit hat in unserem Lebensraum einen überhöhten Stellenwert, sagt Prof. Kreutzer. Insofern die Arbeit immer mehr in das Leben hereingetreten ist – wir können auch durch die neuen Medien immer und überall arbeiten –, fallen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. So sehr Arbeit zweifellos sinnstiftend ist, so sehr können zum Beispiel Effektivität, Zweckrationalität und ökonomisches Denken zu jenen den gesamten Lebensbereich dominierenden Faktoren werden, die Muße schlussendlich zum Verschwinden bringen können.
Prof. Kreutzer zum Nachhören 1
Einfach stehen bleiben: Einsatz für eine enkeltaugliche Zukunft
Die „Citta-Slow“ ist eine freiwillige Vereinigung von Kommunen, die sich um eine nachhaltige Gestaltung des jeweiligen Lebensraums bemüht. Maßnahmen für Nachhaltigkeit, Zusammenleben, Rationalität und Lebensqualität sind hier verbunden. In Enns wird dies seit Jahren praktiziert und zeigt Früchte, wie Dr.in Pils berichtet.
Wie ist Muße zu verstehen?
Um in den Bereich der Muße, des zweckfreien Handelns zu gelangen, bedarf es des Setzens von Grenzen: Grenzen, die wir uns selber setzen, aber auch von außen vorgegebenen, institutionell gesetzten Grenzen. In der „Citta Slow“-Bewegung geschieht dies etwa durch die Kommunen.
Prof. Kreutzer zum Nachhören 2
Auch die Kirche als gesellschaftliche Akteurin ist eine solche Institution. Religion generell heißt Unterbrechung (Jean B. Metz). Dieses Innehalten ermöglicht das Heraustreten aus dem Alltag, die je andere Perspektive. Drei Ebenen sind es, um diese angesprochenen Grenzen erneut objektiv zu ziehen:
- die ideelle Ebene: die Aufwertung einer zweckfreien Zeit. In der Schöpfungsgeschichte ist die „Krone der Schöpfung“ der Tag an dem Gott ruhte, nicht der Mensch. Somit hat das Eintreten für den arbeitsfreien Sonntag große Bedeutung.
- die habituelle Ebene: das Einlernen von Lebensformen (Kult, Brauchtum …), das Gestalten von Warten (Advent, Fastenzeit)
- die institutionelle Ebene: Kirche ist gesellschaftliche Akteurin, sie steht im Ruf, politisch aufzutreten, Allianzen zu schließen (der Sonntag etwa ist für den Menschen da).
Prof. Kreutzer zum Nachhören 3
Dr.in Pils zum Nachhören 2
Erfahrungen mit Arbeit und Muße
In der gegenwärtigen Arbeitsgesellschaft hat die Arbeit das gute Gewissen auf ihrer Seite, während die Muße stets mit dem schlechten Gewissen einhergeht (Friedrich Nietzsche). Die Erfüllung des Mensch-Seins, die Erfahrung von Freiheit jedoch ist das Tun von Dingen, die entweder den Zweck in sich selbst tragen oder zwecklos sind. Hier bieten sich Kunst und Religion an, aber auch echte Freundschaft. Muße hat auch etwas mit Zeitsouveränität zu tun, mit dem Lebensrhythmus und somit mit Lebensqualität (soziale Dimension). Zeit als solche wird zum Indikator für gutes Leben. Dem Mensch steht freie Zeit zu, Zeit, die selber gestalten werden kann und soll (Gerhard Kruip: Zeit als politische Dimension – Zeitwohlstand, Bedarfsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit).
Es bedarf des gesellschaftlichen Umdenkens, insofern Zeit für Lebensqualität einzutauschen ist.
Freizeit heißt heute nicht unbedingt Muße
Ein Blick auf Arbeitslose zeigt: Weil Arbeit als eine derart hoch gesetzte Norm gilt, wird deren Leben als nicht sinnvoll erachtet. Glückliche Arbeitslose zu denken, gilt als gesellschaftlicher Tabubruch. Nicht arbeitende Pensionisten machen in den Augen unserer Gesellschaft etwas falsch … Andernteils gibt es Tätigkeiten, die nicht als Arbeit gewertet werden, obzwar sie es sind, z.B. die Familienarbeit und Gemeinwohlarbeit.
Kritisch bleibt zu fragen, ob wir mit der Arbeit als solcher so etwas wie ein goldenes Kalb geschaffen haben? Gelingt es noch, die sprichwörtliche Work-Life-Balance umzusetzen
Ausblick
Selbst in der Kirche besteht die Gefahr des Aktionismus, der zielgerichteten Zwecklichkeit. (Christian Bauer) Die Anfänge des Christentums zeigen, dass etwa Jesus relativ sorglos gelebt hat, dass Schöpfung um ihrer selbst willen ist, das Reich Gottes als Reich Gottes gedacht ist. Diese können nicht gemacht werden – sie sind aus sich heraus. Aufgabe der Kirche und anderer Institutionen wäre es demnach, wieder und je mehr Raum für die Muße zu schaffen.
Die nächsten Quartals.Gespräche
Beziehungsweisen: Zwischen Sehnsucht und Realität
22. Oktober 2015, 16.00-17.30 Uhr
Solaris, Bar/Cafe im oö Kulturquartier, OK Platz 1, Linz
Die große Sehnsucht nach einer harmonischen Familie und Beziehung bestätigen alle Umfragen. Die Realität sieht anders aus. Ist DAS Leitbild unserer Kultur am Ende? Ist die christliche Botschaft dazu heute: Mut zur Unvollkommenheit?
Kurz vor Ende der weltweiten Bischofssynode diskutieren mit Ihnen Univ. Ass. Georg Winkler, Assistent am Institut für Moraltheologie der KU Linz und Mag.a Edeltraud Artner-Papelitzky, Vorsitzende des Pastoralrates der Diözese Linz.
Polarisierungen: Denken in Schwarz-Weiß
1. Februar 2016, 16.00-17.30 Uhr
Solaris, Bar/Cafe im oö Kulturquartier, OK Platz 1, Linz
Das Schwarz-Weiß Denken ist im politischen Alltag, im aggressiven Ton in den Medien und in der Kirche präsent. Wie sehen konkrete Erfahrungen des friedlichen Umgangs mit Extremismen heute aus?
Dazu diskutieren mit Ihnen die Oberösterreicherin Dr.in Edeltraud Koller, Professorin für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt und Mag.a (FH) Brigitte Egartner von der Caritas in Oberösterreich.
Segen mit der Patchworkdecke: Neue Rituale heute
10. Mai 2016, 16.00-17.30 Uhr
Solaris, Bar/Cafe im oö Kulturquartier, OK Platz 1, Linz
Ob der wöchentliche Kaffeehausbesuch im Einkaufszentrum, das Engelbild oder die Segensfeier. Neue Rituale bewegen sich zwischen profanen und religiösen Traditionen. Das kirchliche Monopol ist seit Jahren im Umbruch. Wohin geht der rituelle Weg?
Dazu diskutieren mit Ihnen Univ. Prof.in Ulrike Bechmann, Institut für Religionswissenschaften an der Universität Graz und Pfarrassistentin Mag.a Irmgard Lehner, Pfarre Wels St. Franziskus.
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