Mit Hochachtung und Respekt: Das Verhältnis der katholischen Kirche zum Islam
Islamismus ist nicht Islam
Einer der Hauptgründe dafür: die Gräueltaten von fundamentalistischen Gruppen wie Boko Haram, Al Kaida oder Islamischer Staat. Dabei haben diese Gruppierungen in ihrem Kern nichts mit Religion zu tun. Sie sind vielmehr Organisationen mit einer faschistischen Ideologie als Fundament. Entsprechend dieser Ideologie teilen sie die Welt in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, in Freund und Feind. Um das Fundament ihrer Ideologie zu untermauern, bedienen sie sich auch der Religion. Im Fall der oben genannten Gruppen ist das der Islam. Diesem entnehmen sie bestimmte Begriffe bzw. Glaubensinhalte und formen sie für ihre politischen Zwecke um. Moussa Al-Hassan Diaw, ein von mir sehr geschätzter muslimischer Partner im interreligiösen Dialog, stellt fest: „Bei Radikalisierung geht es weniger um Religion als um politische Ideologie. Es geht darum, andere zu zwingen, die eigenen Ideale anzunehmen. Nicht Gott steht im Mittelpunkt, sondern die Ideologie.“ Worum es Terrorgruppen wie dem IS oder Al-Kaida geht, ist also eine Art Vergötzung der eigenen Gruppe und Gruppenideologie. Alles andere hingegen wird angefeindet und aus dem Weg geräumt: in hohem Ausmaß die „normalen Gläubigen“ in der islamischen Welt (wie etwa in Syrien). Besonders deutlich zeigt das Jürgen Todenhöfer in seinem Buch „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘“. Das Fazit des Autors nach dessen Reise in das Gebiet der IS und nach intensiver Beschäftigung mit der Organisation: „Im Grunde sind – bis auf Äußerlichkeiten – die meisten Aktionen des IS antiislamisch. Ein Gegenprogramm zum Islam. Sie sollten Ihren Staat in ‚Anti-Islamischer Staat – AIS‘ umbenennen. Vier Beispiele von vielen: Im Islam gibt es keinen Zwang in Glaubensfragen … Es gilt ein klares Verbot von Angriffskriegen ... Die Tötung von Zivilisten, Frauen, Kindern und alten Menschen ist verboten, die Zerstörung religiöser Stätten untersagt (22: 40).Die Tötung von Zivilisten, Frauen, Kindern und alten Menschen ist verboten, die Zerstörung religiöser Stätten untersagt ...“ .
Keine Angst vor Muslimen
Es ist daher wichtig, „den Islam“ von solchen Gruppierungen wie IS, Boko Haram oder Al-Kaida zu unterscheiden. Wenn hier Religion überhaupt im Spiel ist, dann nur als grobe Vereinfachung bzw. als Fehlform. Auch wir Christen wissen, dass etwa die IRA (Irisch-Republikanische Armee) nichts mit dem Christentum bzw. mit dem katholischen Glauben zu tun gehabt hat. Vielmehr wurde hier Religion politisch verzweckt. Was mit Blick auf die heutige Situation häufig übersehen wird: die Hauptleidtragenden bzw. die meisten Opfer dieser radikal-„islamistischen“ (nicht islamischen) Gruppen sind Muslime selbst. Deshalb fliehen viele Muslime – so wie Christen und Mitglieder anderer Religionen (etwa die Jesiden im Irakisch-syrischen Grenzgebiet) – vor dieser Verfolgung.
Blick auf das Gemeinsame
Die beste Art, Angst abzubauen und Halbwahrheiten sowie Panikmache zu begegnen, ist der Dialog mit den Muslimen selbst, um auf diese Weise ihre Religion authentisch kennenzulernen. Die Katholische Kirche ermutigt ausdrücklich zum Dialog und zur fairen Auseinandersetzung. Weichenstellend dafür waren das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und das hier verabschiedete Dokument „Nostra Aetate“ (Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen). Dabei motivieren die Konzilsväter die Gläubigen, insbesondere das in den Blick zu nehmen, „was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“ (Kapitel 1). Nur auf diese Weise lernt man einander kennen und schätzen: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ (Kapitel 2) Entsprechend der Lehre der Kirche gehören daher Vertrauen, Respekt und Hochachtung vor anderen Religionen zum Katholisch-Sein untrennbar dazu. Fremdenfeindlichkeit, Diskreditierung, Ausgrenzung anderer Religionen, Angstmache oder Hochnäsigkeit – all das ist mit katholischer Identität nicht vereinbar.
Was uns verbindet
Zwischen Christentum und Islam gibt es – trotz gewichtiger Unterschiede – viele Gemeinsamkeiten. Was Christen und Muslime beispielsweise verbindet, ist der Glaube, dass hinter unserer Welt, hinter dem Universum kein blindes Schicksal oder ein kalter Zufall steht, sondern ein wohlwollender Schöpfergott. Gemeinsam ist uns auch die Überzeugung, dass der Glaube an den barmherzigen Gott sich positiv auswirken muss – in unseren Beziehungen, in der Gesellschaft. Glaube an Gott und verantwortliches Handeln im Privatbereich wie in der Öffentlichkeit – das bedingt einander. Gemeinsam ist ebenso die Überzeugung, dass der Mensch nicht im Tod bleibt, sondern auferweckt wird. Wenn der Mensch vor Gott tritt, hat er sein Leben zu verantworten. In beiden Religionen gibt es schließlich das Wissen um ein Grundethos, um wichtige Normen und Werte, die zum Gelingen des Lebens beitragen. Die Gemeinsamkeiten hängen damit zusammen, dass sowohl das Christentum wie der Islam aus demselben nahöstlich-prophetisch-monotheistischen „Religionssystem“ abstammen. Die sie verbindende Wurzel ist das Judentum. Während die Juden für uns Christen wie die älteren Schwestern und Brüder sind, dürfen wir in den Muslimen durchaus unsere jüngeren Cousins und Cousinen sehen.
Seit 15 Jahren eine sehr gute Kooperation zwischen katholischer Kirche und Islam
In Oberösterreich bemühen sich die Diözese Linz und die Islamische Religionsgemeinschaft seit über 15 Jahren, durch gemeinsame Veranstaltungen gegenseitiges Vertrauen sowie Wissen voneinander aufzubauen – und auf diese Weise Feindbildern entgegenzuwirken. So gibt es beispielsweise im Rahmen des Katholischen Bildungswerkes gemeinsame Abendvorträge, die auf dialogische Art und Weise die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Christentum und Islam zugänglich machen. Zu nennen wäre auch die gemeinsamen Workshops in Schulen, um Jugendlichen vor den Gefahren einer Radikalisierung zu schützen. Sehr gut angenommen wird auch das gemeinsam mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft organisierte Interreligiöse Fußballturnier.
Instruktion des Päpstlichen Rates für die Seelsorge von Migranten und Menschen unterwegs
Viele Pfarren engagieren sich mittlerweile in der Betreuung von Flüchtlingen bzw. Asylwerbern. Auch meine Pfarre (Pichl bei Wels) hat neun syrischen Muslimen seit November 2014 Unterkunft gegeben. Die Ängste im Vorfeld sind längst gegenseitigem Vertrauen und einem respektvoll-freundlichen Miteinander gewichen. Aus „den Flüchtlingen“ sind „unsere Syrer“ geworden, deren Namen, Gesichter und Geschichten wir kennen. Ganz in diesem Sinn ermutigt die „Instruktion des Päpstlichen Rates für die Seelsorge von Migranten und Menschen unterwegs“ (Erga migrantes caritas Christi) aus dem Jahr 2004: „Deshalb muss die gesamte Kirche des Aufnahmelandes sich gegenüber den Migranten betroffen und bewegt fühlen. … Es ist notwendig … den Einheimischen die komplexen Probleme der Migration zur Kenntnis zu bringen und unbegründeten Verdächtigungen und beleidigenden Vorurteilen gegen die Fremden entgegenzutreten.“ Ja – mehr noch: Wir Christinnen und Christen sind im Namen Jesu herausgefordert, all jenen tatkräftig zu helfen, die in Not geraten sind – unabhängig von ihrer Religion oder ihrer Herkunft. Ganz in diesem Sinn begegnen in der berühmten Rede vom Weltgericht folgende Sätze: „Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,34-35).
Handeln wir daher heute so, dass wir einmal stolz auf uns sein können, wie wir mit den anstehenden Herausforderung umgegangen sind: stolz auf unsere Großherzigkeit, stolz auf unsere Mitmenschlichkeit und stolz auf unsere Solidarität mit den Schwächsten.
Dr. Stefan Schlager
Leiter des Referates Theologische Erwachsenenbildung der Diözese Linz
Dieser Text wurde für die Pfarrzeitung der Pfarre Mondsee verfasst.