Sonntag 24. November 2024

„Alle hatten schon Glaubenszweifel“

Ein Gespräch über Glaubenszweifel ist keine Kampfansage an den eigenen Glauben. Im Gegenteil. Jetzt heißt es: zuhören und die Meinung des anderen gelten lassen.

Als Religionslehrerin Andrea Winter einem Kollegen erzählt, am Nachmittag ein Interview über Glaubenszweifel zu geben, sagt der: „Als Religionslehrerin hast du sowas doch nicht.“ – Ist das so? Haben gute ChristInnen keine Zweifel an dem, was sie glauben? Oder ist der Zweifel mehr als bloßes Zweifeln, vielleicht sogar Notwendigkeit?

Mag.a Andrea Winter hat nachgefragt. Die Religionslehrerin am Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium Linz, Ramsauerstraße, wollte sie von ihren SchülerInnen wissen, woran sie glauben, was zu glauben ihnen schwer fällt und ob Grenzerfahrungen – wie Todesfälle – ihren Glauben bis jetzt verändert hätten:

Benjamin (15) schrieb: „Mir persönlich fällt es schwer zu glauben, dass es Gott, so wie er in unseren Vorstellungen existiert, gibt. Mit der fortschreitenden Wissenschaft ist heutzutage schon fast alles wissenschaftlich bewiesen und dadurch ist es noch schwieriger, an Gott zu glauben.“

Alexander (16) meinte: „Nur der Tod und das, was nach dem Tod ist, beschäftigt mich auch im Sinne von Glauben.“

Philipp (16) brachte folgenden Gedanken auf das Papier: „Mir fällt schwer, an die Auferstehung zu glauben, denn bis jetzt ist noch keiner zurückgekommen.“

Tanja (16) mutmaßte: „Wahrscheinlich ist der Glaube an Gott und Jesus nur deswegen so stark in meinem Gehirn ausgeprägt, weil ich damit aufgewachsen bin. Es fällt mir schwer zu glauben, dass es vor zweitausend Jahren jemanden gab, der sich als Gottes Sohn bezeichnete und dessen Mutter von Gott schwanger gewesen sein soll. Aber irgendetwas könnte schon dran sein.“

Jenny (16) ist Muslimin, hat aber einen guten Draht zur katholischen Religionslehrerin Andrea Winter. Sie schrieb: „Verbote und Einschränkungen in Religionen verstehe ich nicht. [...]. Aber vor allem verstehe ich nicht, warum die Religion vorschreibt, wie ich an Gott glauben muss [...]. Ich glaube daran, dass Gott mein Freund und Begleiter ist.“

Victoria (16) meinte: „Glauben fällt mir manchmal ziemlich schwer. Vor allem in schwierigen Situationen möchte ich besonders fest glauben, doch genau dann überkommen mich häufig Zweifel. [...] Glaubenszweifel habe ich auch, wenn Freunde nicht wirklich glauben und beispielsweise meine Meinung in Frage stellen.“

Sophia (17) schrieb: „Ja, Zweifel begleiten mich beinahe jeden Tag. Angesichts des Elends in der Welt, der Ungerechtigkeiten und Missstände, die einem wahrscheinlich im Gegensatz zu all den positiven Aspekten unseres Planeten viel eher vor Augen geführt werden, frage ich mich des Öftern: Gibt es eine höhere Macht? Gibt es tatsächlich jemanden, der sich einen selbstlosen, gerechten, allwissenden Gott nennt? Situationen des Glücks definiere ich persönlich eher mit Schicksal als von Gott/einer höheren Macht beeinflusst. In schwierigen Zeiten [...] verfluche ich allerdings öfter den sogenannten ‚Gott‘ und schiebe die Schuld auf ihn. Auch die Kirche, deren Skandale und Missstände, tragen bei mir dazu bei, an einer göttlichen Macht zu zweifeln.“

Während des Jahres findet sich Andrea Winter oft mit Fragen und Zweifel dieser Art konfrontiert – als Statements zu Unterrichtsinhalten, in lebhaften Diskussionen oder als Zwischenrufe. Besonders als Reaktion auf das Weltgeschehen, wie beispielsweise zu Naturkatastrophen, fragen SchülerInnen schon mal: „Na, was ist jetzt mit Gott?“

 

Gesellschaft voller Glaubenszweifel?

 

Wie Andrea Winter trifft der Seelsorger Mag. Rupert Granegger immer wieder auf Menschen, die massive Zweifel am Glauben äußern. Der Pfarrer der Pfarre Auwiesen Linz-Marcel Callo hält auseinander: „Vieles wird als Glaubenszweifel tituliert, ist aber z.B. mangelndes Glaubenswissen. Eine Jungfern-Geburt glaubt heute keiner mehr. Aber wenn man erklärt, warum es so in der Bibel steht, wird den meisten klar, dass damit ausgedrückt werden sollte, dass diese Geburt etwas Besonderes war.“ Glaubenswissen zu vermitteln und Verstaubtes abzustauben, lautet dann die Devise. „Oft handelt es sich bei Glaubenszweifeln um Weltanschauungsfragen. Die Grundfrage ist: Gibt es mehr als das, was rational erklärbar ist?“, fährt Granegger fort und fügt hinzu: „Richtige fundamentale Glaubenszweifel muss man heutzutage mit Sinn- oder Lebenskrise umschreiben. Letztendlich sind es ja Vertrauensfragen. Vertraue ich mich diesem Gott an? Wage ich den Sprung in dieses Vertrauen?“ Klar ist für Granegger: „Dort, wo Glaubenszweifel thematisiert werden, ist man schon in einem tiefen Glaubensgespräch.“ Man könnte also sagen, wer Zweifel äußert, ist in irgendeiner Form gläubig.

Dass es einen Ort gibt, an dem Jugendliche über Glauben und damit verbundene Zweifel reden können, hält Religionslehrerin Andrea Winter für wichtig: „Meine Erfahrung ist, dass sie wenige Menschen haben, mit denen sie über dieses Thema reden können. Aber die Fragen und Zweifel sind deswegen nicht weniger.“

 

Ein Gespräch über Glaubenszweifel ist keine Kampfansage an den eigenen Glauben. Im Gegenteil. Jetzt heißt es: zuhören und die Meinung des anderen gelten lassen. © shutterstock.com/View Apart


Dass kein Mensch ohne Zweifel davon kommt, beschrieb im Jahr 1968 Joseph Ratzinger: „So, wie also der Gläubige sich fortwährend durch den Unglauben bedroht weiß, ihn als eine beständige Versuchung empfinden muss, so bleibt dem Ungläubigen der Glaube Bedrohung und Versuchung seiner scheinbar ein für alle Mal geschlossenen Welt. Mit einem Wort – es gibt keine Flucht aus dem Dilemma des Menschseins. Wer der Ungewissheit des Glaubens entfliehen will, wird die Ungewissheit des Unglaubens erfahren müssen, der seinerseits doch nie endgültig gewiss sagen kann, ob nicht doch der Glaube die Wahrheit sei.“ (Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968, 22f.)

 

Welchen Sinn hat der Glaubenszweifel?

 

Rupert Granegger definiert Glaubenszweifel als notwendiges Hinterfragen dessen, was sich im Herzen anbahnt. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Zweifel etwas Wichtiges ist. Auch in Beziehungen – und Glaube ist eine Form von Beziehung – ist es richtig, sich immer wieder rational zu vergewissern.“ Ähnlich sieht es Andrea Winter: „Der Zweifel hat die Funktion, den eigenen Glauben zu überprüfen, um dann zu einer neuen Gewissheit zu gelangen. Zweifel zeigen, dass eine Auseinandersetzung passiert.“ Ein Zitat des im Jahr 2010 selig gesprochenen John Henry Newman, Theologe des 19. Jahrhunderts, bringt es auf den Punkt: „Der Glaube muss sich auf Einsicht und Vernunft zurückführen lassen, wenn wir es nicht mit den Phantasten halten wollen.“ So gesehen schützt der Zweifel vor Parallelwelten, aber auch vor kriegerischer Intoleranz. Granegger: „Ich habe sogar Angst vor denen, die nie gezweifelt haben, weil ich diese oft als selbstsichere Fundamentalisten erlebe. Wobei es verschiedene Ebenen gibt: Es gibt Menschen, die sagen, sie hätten ihr Leben lang nie an der Grundhaltung gezweifelt, dass es einen Gott gibt. Andere wieder­um fragen sich, wie diese Macht wirkt. Und solange jemand zwar keine Zweifel besitzt, aber nicht militant auftritt, ist das ja in Ordnung. Letztendlich geht es ja darum, dass der einzelne Mensch leben kann. “

 

Glaubenszweifel als Teil des Lebens

 

Allgemein über Glaubenszweifel zu reden, ist eine Sache. Über die persönlichen Zweifel zu sprechen, eine andere. Dennoch beantworteten Andrea Winter und Rupert Granegger die Frage, ob sie denn eigene Zweifel hätten, mit „Ja“. „Das Gute ist, dass ich als Priester zum regelmäßigen Gebet verpflichtet bin“, meinte Granegger schmunzelnd, „denn beten hilft.“ Und Andrea Winter merkte an, dass sich ihre Zweifel vor allem bei Grenzerfahrungen bemerkbar machen – wie bei ihren SchülerInnen auch. Ob sie sich deswegen als schlechte ChristInnen fühlen? Beide waren sich einig: „Nein.“ Sie befinden sich in guter Gesellschaft, denn nicht nur Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., thematisierte Glaubenszweifel. Im Oktober 2013 erklärte Papst Franziskus: „Wer von uns hat denn nicht schon Unsicherheit, Enttäuschung und auch Zweifel auf dem Weg des Glaubens erlebt? Alle, alle haben wir das erlebt – ich auch. Alle! Das gehört zum Weg des Glaubens, es ist Teil unseres Lebens.“



Dieser Text erschien in der Juli/August-Ausgabe des „informiert“, der MitarbeiterInnen-Zeitung der Diözese Linz. Verfasserin ist Maria Appenzeller. Sie führte die Interviews und Recherchen.

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