NGOs schlagen Maßnahmenpaket für sachlichere Asyldebatte vor
Das war der Tenor einer Pressekonferenz mit Vertretern von im Asyl-Bereich engagierten Hilfsorganisationen am Montag in Wien. Diakonie-Chef Michael Chalupka, Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter, Rotes-Kreuz-Generalsekretär Werner Kerschbaum und andere hielten fest, dass sich die Unterbringungsprobleme "mit Zelten nicht lösen" ließen; damit werde der einheimischen Bevölkerung im Gegenteil suggeriert, dass Österreich mit dem anhaltenden Flüchtlingszustrom überfordert ist.
Demgegenüber wurde mehrfach betont, dass Asyl keine Gnade, sondern ein verbindliches Menschenrecht ist und eine lösungsorientierte, weitblickende Politik erfordert. Diakonie-Direktor Chalupka sieht gerade im sonntägigen Wahlergebnis in der Steiermark - die dortigen FPÖ-Erfolge basieren nach allgemeiner Einschätzung auf Problematisierungen beim Ausländerthema - einen Anstoß zu einem "Ruck in Richtung Versachlichung" jenseits von Parteienhickhack. "Es gibt keine Flüchtlingsströme oder gar einen Tsunami", wandte sich Chalupka gegen Emotionalisierung, "aber es gibt Männer, Frauen und Kinder, die in Österreich Schutz suchen."
Chalupka ging auf die momentane dramatische Überbelegung des Asyl-Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen (Niederösterreich) ein, die wesentlich auch durch dort einquartierte 1.400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verursacht sei. Diese müssten angesichts "unerträglicher" Zustände sofort in die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe der Bundesländer übernommen werden - zu gleichen Unterbringungsstandards wie für österreichische Kinder, wie Chalupka am Internationalen Kindertag (1. Juni) betonte.
Wenn in einer österreichischen Jugendhilfe-Einrichtung Minderjährige auf Decken am Boden schlafen müssten, nicht drei warme Mahlzeiten pro Tag bekämen und ohne sozialpädagogische Betreuung blieben, würden Jugendanwaltschaft und Polizei einschreiten - und das zurecht, wie der Diakonie-Direktor betonte. Das alles müsse auch für Kinder und Jugendliche gelten, die in Österreich Schutz suchen. Für sie gebe es momentan im Vergleich zu in Österreich geborenen Jugendlichen aber nur ungefähr den halben Tagsatz; "es gibt aber keine 'halben' Kinder und Jugendliche", unterstrich Chalupka.
Grundversorgungsende - und was dann?
Bernd Wachter von der Caritas Österreich pochte auf eine angemessene Wohnversorgung für alle Asylwerber und einen Ausbau flächendeckender Integrationsmaßnahmen. Er machte auf die heikle Übergangsphase von der Grundversorgung während des laufenden Verfahrens und bis maximal vier Monate nach positivem Bescheid und der Zeit danach aufmerksam, wenn die dann anerkannten Flüchtlinge auf eigenen Füßen stehen müssen. Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, brauche es hier Übergangswohnungen und Unterstützung bei der Wohnungssuche durch "Integrationslotsen", so Wachter. Nach Beratung und Orientierungshilfen in der Muttersprache der Flüchtlinge brauche es weiters ausreichende Deutschkurse auf hohem Sprachniveau sowie Unterstützung beim Zugang zum Arbeitsmarkt.
Kritik äußerte Wachter an der Zeltunterbringung von Flüchtlingen: Die 300 Betroffenen wären bei entsprechendem politischen Willen leicht woanders unterzubringen gewesen, dann hätte man sich erspart, "Panik zu schüren", wie der Caritas-Generalsekretär sagte.
Die sofortige Anhebung der Tagsätze für Flüchtlingsquartiere von derzeit 19 auf 25 Euro und nicht nur auf die für Jänner 2016 geplanten 20,50 Euro forderte Erich Fenninger von der Volkshilfe. Dies würde deutlich mehr Quartiergeber als bisher zu Angeboten motivieren und auch zu den von der Politik gewünschten kleineren Einheiten führen. Anny Knapp von der Asylkoordination plädierte dafür, Asylsuchenden auch eigene Unterkünfte zu ermöglichen; dies würde eine Angleichung der Kostenersätze für privat Wohnhafte an jene der organisierten Quartiere ermöglichen, die Österreich laut einer ab Juli geltenden entsprechenden EU-Richtlinie ohnehin abverlangt werde.
Reinhard Hundsmüller vom Arbeiter-Samariter-Bund forderte die sofortige Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber, deren Verfahren bereits länger als ein halbes Jahr dauert. Die Abkehr vom "Bartenstein-Erlass" von 2004, wonach Asylwerber lediglich als Saisonarbeiter arbeiten dürfen, würde eine Entlastung in Mängelberufen wie Techniker oder Pflegebediensteten bringen.
Vorausschauende Politik notwendig
Bis zu 60.000 Asylwerber sind bis Jahresende in Österreich zu erwarten, 2016 könnten es sogar 100.000 werden, erklärte Werner Kerschbaum vom Roten Kreuz. Derzeit komme man auf rund 5.000 Neuaufnahmen ins Asylverfahren pro Monat, die Bundesländer hätten für den Juni rund 1.000 Quartierplätze gemeldet; 75 Prozent der Gemeinde nehmen keine Flüchtlinge auf. Wenn Quotenregelungen auf EU wie auch auf Bundesländerebene für sinnvoll erachtet werden, ist es laut Kerschbaum nicht nachvollziehbar, warum dies für die Gemeindeebene nicht auch gelten sollte.
Der dringende Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten erfordere jedenfalls entsprechende Vorkehrungen, so Kerschbaum: "Um zukünftigen Engpässen bei Unterbringung und Betreuung zu begegnen, braucht es eine vorausschauende Planung und entsprechende Reservekapazitäten sowie mehr Flexibilität bei der vorübergehenden Nutzung von Objekten, die nicht für Wohnraumzwecke gewidmet sind."
Hinter dem Maßnahmenpaket stehen neben den genannten Organisationen auch noch das das Don Bosco Flüchtlingswerk, SOS Mitmensch und das Integrationshaus Wien. Bernd Wachter wies auch auf die wachsende Unterstützung der Petition "www.gegen-unrecht.at" für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen hin. Knapp 50.000 Personen hätten die Petition bereits mit ihrer Unterschrift unterstützt.
O-Töne von der Pressekonferenz sind unter www.kathpress.at/audio abrufbar.
Teaserfoto: © FlickR CC BY 2.0 / Christian Becker. Zur Lizenz