Justizminister: Schutz religiöser Lehren "muss unbedingt bleiben"
Anlass war eine Veranstaltung der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten über Blasphemie. Sie fand unter starkem Polizeischutz im Bischöflichen Sommerrefektorium der Landeshauptstadt statt.
Zuletzt lösten die Ereignisse um die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" eine hitzige Debatte aus. In Österreich wird derzeit über die Berechtigung des Paragrafen 188 StGB (Strafgesetzbuch), der den Tatbestand der Herabwürdigung religiöser Lehren zum Inhalt hat, debattiert.
Brandstetter, der per Videoschaltung zu Wort kam, betonte, das Thema sei hochaktuell und brisant. Einer ersatzlosen Streichung des Paragrafen 188 könne er "absolut nichts abgewinnen". Das Grundrecht auf Freiheit der Kunst verbiete zwar einen Eingriff in den Kunstbereich, sei aber kein Freibrief für Straftaten und das Hinwegsetzen über einfache Gesetze.
Der Minister appellierte, dass es ein Mindestmaß an Toleranz brauche. Darauf würden ja auch Künstler pochen. Wenn religiöse Gefühle verletzt werden, könne das nicht so einfach hingenommen werden.
Die Kontroversen um das Thema der Blasphemie erheben sich in der Öffentlichkeit immer häufiger, wenn provozierende Darstellungen von Religion und religiöse Wertevorstellungen aufeinanderprallen, erklärte Theologe und Jurist Burkhard Berkmann, der das Impulsreferat zur Veranstaltung hielt. Dabei sei es sehr verschieden, was Religionen unter Gotteslästerung verstehen und wie sie diese sanktionieren. "Das zeigt schon ein Blick in die internen Rechtsordnungen christlicher, jüdischer und islamischer Gemeinschaften."
Berkmann wies darauf hin, dass Blasphemie im engeren Sinn - als "Gotteslästerung" - im österreichischen Recht und in den Rechtsordnungen der meisten westlichen Staaten nicht mehr unter Strafe stehe. Vielmehr gehe es um Diffamierung von Religionen. Sie richte sich gegen Personen, Gegenstände oder Lehren, die mit einer Religion verbunden sind. Wenn der moderne Staat deren Herabwürdigung unter Strafe stelle, wolle er nicht Gott schützen, sondern die religiösen Gefühle der Gläubigen oder den religiösen Frieden. Man könne hier von Blasphemie im weiteren Sinn sprechen.
Berkmann verwies außerdem auf die Aufstachelung zu religiösem Hass. Diese richte sich gegen Menschen, die einer Religion angehören. Sie bestehe in einem Aufruf zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Hier sei eigentlich nicht mehr von Blasphemie zu sprechen. Wegen verschiedener Berührungspunkte sei es dennoch wichtig, auch diesen Aspekt im Kontext der Blasphemie zu behandeln.
Berkmann zeigte sich überzeugt, dass in unserer Zeit der Friede zwischen den Religion und Kultur das herausragende Schutzgut darstellen müsse. Damit erhalte der "Blasphemie-Paragraf" eine neue Bedeutung.
Der Friede als Schutzgut bedeute aber nicht, dass Blasphemie zu einem Straftatbestand gemacht werde, weil es Furcht vor religiösen Extremisten gebe, die ansonsten Terroranschläge verübten und damit den Frieden störten. "Damit würden wir denen Recht geben, die Gewalt anwenden, und diejenigen benachteiligen, die aus religiöser Überzeugung gerade nicht zurückschlagen", so der Jurist.
Der Friede als Schutzgut bedeute vielmehr, dass gerade der neutrale Staat, der sich als Heimstatt aller Bürger und Bürgerinnen ungeachtet ihrer glaubensmäßigen oder weltanschaulichen Ausrichtung verstehe, aufgerufen sei, einer Entwicklung entgegenzutreten, in der Glaubensüberzeugungen öffentlich verächtlich gemacht werden und dadurch das geistige Klima vergiftet werde. Es dürfe nicht die Auffassung um sich greifen, dass das, was Teilen der Bevölkerung heilig sei, einfach dem Spott preisgegeben werden könne. Die Strafnorm habe dann eine Zukunft, wenn sie nicht zum Verstärker für Konflikte werde, sondern zum Verstärker für ein friedliches Zusammenleben.
"Staat soll Freiheit sichern"
Die frühere Justizministerin Beatrix Karl betonte, es gehe hier um das Thema des religiösen Friedens, und das sei wichtig für die Sicherheit. Den Befürwortern und Gegnern des Blasphemie-Paragrafen ginge es aus ihrer Sicht um das Gleiche: um Toleranz. Freiheit sei nie etwas Absolutes, sie ende dort, wo die Freiheit des anderen verletzt werde. Aufgabe des Staates sei es, Freiheit zu sichern.
Menschenrechtsanwalt Alfred Noll meinte, alle Werte, nicht nur solche der Religionen, seien in den letzten Jahren von der Gesellschaft "zum Abschuss freigegeben". Permanent sei der "Common sense" in Veränderung begriffen, alle seien "zur Freiheit verdammt". Vor allem Religionsgemeinschaften müssten sich permanent rechtfertigen bei Fragen wie "Was glauben wir?" oder "Was tun wir eigentlich?"
Karikaturen seien in Europa lange ein Mittel der Schwachen gegen die Mächtigen - früher also auch gegen die katholische Kirche - gewesen, so Noll. Die Gefahr sei, dass sich dies umdrehe.
Timna Brauer, israelisch-jemenitisch-österreichische Künstlerin, fragte, ob es Kunstschaffenden um Provokation oder um inhaltliche Auseiandersetzung gehe. Wenn letzteres der Fall sei, könnten Karikaturen ein sinnvoller Beitrag für die Gesellschaft sein. Doch sei wichtig, sich vorher in andere hineinzuversetzen: "Wenn man in das orientalische Leben eintaucht, wird man bei diesem Thema sensibler."
"Haderer-Buch half letztlich auch der Kirche"
Die Freiheit sei höchstes Gut der Demokratie, so Carl Aigner, Direktor des NÖ. Landesmuseums. Beim Karikaturenbuch über Jesus von Gerhard Haderer vor einigen Jahren habe er sich gefragt, ob das wirklich Blasphemie sei. Er halte positiv fest, dass dieses Buch mehr für die Diskussion über Religion gebracht habe "als so manche Predigt". Aber es gebe Grenzen der Provokation, etwa bei der Darstellung von gekreuzigten Frauen.
Zu den Mohammed-Karikaturen meinte er, dass diese keine Kunstwerke wären. Religion werde heute kritisiert wegen der Konstruktion eines angeblich Absoluten. Das sei für die Gesellschaft ungeheuer herausfordernd.
Almer Albayati, irakischer Film- und Theaterwissenschaftler, Filmemacher, Journalist und Präsident der Initiative liberaler Muslime in Österreich, forderte Respekt vor anderen ein, um gemeinsam in Freiheit leben zu können. Im Islam seien Änderungen oft schwierig, autoritäre Strömungen würden das Ankommen in der Moderne erschweren. Wichtig sei es, eine gemeinsame friedliche Zukunft zu denken, in der Religiöse und Nichtreligiöse miteinander auskommen.
Gott brauche unseren Rechtsschutz nicht, meinte Ludger Müller, Theologe, Philosoph und Kanonist an der Universität Wien. Staatliches Recht könne nur Richtlinien geben. Beim katholischen Kirchenrecht gehe es darum, Gläubige darauf hinzuweisen, dass sie Grenzen überschreiten, die die Beziehung zu Gott treffe. Eine innerkirchliche Rechtsordnung sei notwendig, weil sie aufzeige: "So weit kannst du gehen."
Müller kündigte dazu einen Lehrgang über "Vergleichendes Kanonisches Recht" an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten an. Dieser endet mit dem akademischen Grad "Master im Vergleichenden Recht". Den Teilnehmenden soll eine vielseitige wissenschaftliche Bildung im Kirchenrecht, im Staatskirchenrecht und vergleichenden Religionsrecht geboten werden, die dazu qualifiziert, interkulturelle und interreligiöse Probleme der heutigen Gesellschaft zu analysieren. Mit dem Master könnten aber auch kirchliche Ämter im Bereich der Rechtspflege und der Verwaltung übernommen werden.
Teaserfoto: © Markus Daams / FlickR CC BY 2.0. Zur Lizenz
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