Sonntag 22. Dezember 2024

Wiener Dogmatiker Tück: Auschwitz spielt in Theologie kaum mehr eine Rolle

Auschwitz Birkenau

Die Erinnerung an die mit dem Namen Auschwitz verbundene Judenvernichtung spielt in der christlichen Theologie kaum mehr eine nennenswerte Rolle. Zu diesem nüchternen Befund kam der Wiener Theologie Jan-Heiner Tück im Gespräch mit "Kathpress" aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des nationalsozialistischen Vernichtungslagers am 27. Jänner 2015.


Zwar sei es seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zu einer Sensibilisierung in der Theologie für Fragen des Judentums gekommen, auch habe es etwa mit der "Neuen Politischen Theologie" eine theologische Schule gegeben, die eine dezidierte "Theologie nach Auschwitz" betrieben habe - spätestens mit "09/11" habe sich jedoch die Debattenlage dahingehend verändert, dass nun andere Fragen in den Vordergrund gerückt seien.

Zugleich plädierte Tück für eine neue Würdigung der "Theologie nach Auschwitz": "Die Lektion, die Auschwitz der Theologie ins Stammbuch schreibt, ist jene, nicht allzu 'gottprotzig' daher zu kommen und vorschnelle Antworten auf geschichtliche Leidenserfahrungen zu geben."

Eine der Lehren aus der Shoah müsse etwa sein, dass es keine geschichtsunsensible Theologie mehr geben dürfe - eine Tendenz, die er gerade in seinem eigenen Fach, der Dogmatik, mit Sorge feststelle. Eine geschichtssensible Gottesrede sei stets eine Gottesrede, die die "Leerstellen der Gottesferne zur Sprache bringt, die abgründigen Erfahrungen von Trauer und Verlust, die Erfahrungen der Gebrochenheit des Gottesbildes angesichts realer Leidenserfahrungen", so Tück.

Auch Klagen und Verstummen ist Gebet

Konkret sieht Tück fünf Anstöße für eine heutige "anamnetische Christologie nach Auschwitz": Zum einen sei es notwendig, in der christlichen Gebetssprache wieder neu die Tradition der Klage, des Schreis und des Verstummens vor der Erfahrung der Gottferne in der Geschichte in Erinnerung zu rufen. "Ein Gebet, in dem der Betende seine Wirklichkeit uneingeschränkt vor Gott zu bringen versucht, würde letztlich halbiert und ausgehöhlt, wenn Zweifel und Fragen in ihm keinen Ort haben dürften."

Ein weiterer Anstoß liege darin, "dem Schrei nach Gott und dem Verstummen der Opfer in der Christologie mehr Raum zu geben". Jesus selber habe sich schließlich mit den Opfern solidarisiert, indem er die eigene Gottverlassenheit am Kreuz herausgeschrieen habe.

In diesem Sinne gelte es weiters auch das Jude-Sein Jesu theologisch zu würdigen und zugleich die kirchliche "sündentheologische Engführung" zu revidieren: So müsse sich die Theologie von einer Fokussierung auf die "Erlösung aus den Abgründen von Sünde und Schuld" lösen und stärker die Frage nach der "Rettung der unschuldig leidenden Opfer" in den Mittelpunkt rücken.

Antijudaistische Hypothek aufarbeiten

Schließlich sei es eine bleibende Aufgabe christlicher Theologie nach Auschwitz, die eigenen Traditionsbestände von den "antijudaistischen Hypotheken" aufzuarbeiten: "Ohne Reinigung des Gedächtnisses, ohne den Schmerz der Reue über soviel Hass und Verachtung der Juden im Namen Jesu Christi, des Messias Israels, lässt sich die Glaubwürdigkeit im christologischen Diskurs nicht wiederherstellen."

Gerade im Blick auf diesen Punkt müsse auch die Erklärung "Nostra Aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils gewürdigt werden, so Tück, die erstmals in der Kirchengeschichte den Blick vom historischen Judentum auf das reale, zum Christentum koexistente Judentum gelenkt hatte. Die Erschütterung über Auschwitz habe maßgeblich dazu beigetragen, dass es zu dieser Erklärung gekommen ist.

Holocaust-Opfer bewegte Johannes XXIII.

Dabei sei aber zu beachten, dass eine solche Erklärung nicht etwa von den Bischöfen im Vorfeld des Konzils dem Papst empfohlen wurde, sondern umgekehrt sie erst auf Betreiben von Papst Johannes XXIII. zustande kam.

Ausschlag gab dabei laut Tück eine Begegnung des Papstes mit dem jüdischen Historiker Jules Isaac, der selbst der Shoah nur knapp entkommen war. Isaac habe dem Roncalli-Papst drei Punkte mit auf den Weg ins Konzil gegeben: Zum einen möge die Kirche mit den antijüdischen Klischees in ihrer Verkündigung aufräumen; zum zweiten solle man christlicherseits aufhören, die jüdische Diaspora als Strafe für den "Gottesmord" zu betrachten und schließlich solle man christlicherseits nicht länger das Judentum für den Tod Jesu verantwortlich machen. "Diese Begegnung mit dem Juden Isaac hat den Papst so beeindruckt, dass 'Nostra Aetate' auf den Weg gebracht wurde - ein bis heute zentraler Markstein im christlich-jüdischen Dialog", so Tück.

 

 

Auschwitz Birkenau

Auschwitz Birkenau. © www.morguefile.com. Autor: western4uk. Link zum Foto

 

Präsident des Internationalen Rates der Christen und Juden: "Braucht beständigen Ruf zu Reue"

 

Beständige Reue und Umkehr aller Christen angesichts der "schweren Last der Schuld an der Ermordung der Juden", hat der Präsident des Internationalen Rates der Christen und Juden (ICCJ), Philip Cunningham, eingemahnt. "Ich bin überzeugt, dass das geradezu unaussprechlich Böse des Holocaust nichts weniger als einer fest verwurzelten und profunden religiösen Antwort bedarf", so der katholische Theologe am Dienstagabend bei einer Gedenkveranstaltung zum Internationalen Holocaust-Gedenktag am Wiener Heldenplatz. Gleichzeitig warnte Cunningham mit Worten Johannes Pauls II. vor einer "erdrückenden, selbst-quälerischen Schuld", die jeden "reuevollen Wandel des Herzens" unmöglich mache.

Der ICCJ sei nur eine mögliche Antwort auf den Holocaust, habe aber seit seiner Gründung den Weg für neue Beziehungen zwischen Juden und Christen geebnet und dazu beigetragen jede Form des Antisemitismus zu überwinden. Pionieren, wie jenen Juden und Christen, die sich 1947 zu einer "Notstandkonferenz zum Thema Antisemitismus" versammelten und maßgebend für die Gründung des Rates waren, "verdanken wir, dass uns heute eine Zeit gegeben ist, die beispiellos in der Geschichte der Religion ist", so der Theologe.

Cunningham: "Hetzrede ist durch Dialog ersetzt worden. Bischöfe und Pfarrer lernen in  jüdischen Lehrhäusern und Synagogen, Rabbiner feiern die Einsetzung eines neuen Papstes; Professoren kooperieren bei interdisziplinären und interreligiösen Forschungsprojekten und Publikationen, und überall auf der Welt betreiben Juden und Christen Dialog im privaten Rahmen und in den Gotteshäusern." Das sei einzigartig in der Geschichte.

Eine Aufforderung zum Ausruhen sieht der Theologe darin aber nicht. "Es ist noch viel Arbeit zu leisten. Die Gewohnheiten aus Jahrhunderten lassen sich nicht in einigen Jahrzehnten ablegen", betonte Cunningham, und legte die Verantwortung, die "wundervollen Möglichkeiten, die diese Gelegenheiten präsentieren, zu entdecken", in die Verantwortung "unserer Generation".

Gleichzeitig sei der jüdisch-christliche Dialog auch ein positives Beispiel und gebe Hoffnung für "interreligiöse Konflikte, die unseren Planten heimsuchen". Es sei die Aufgabe des ICCJ und seiner nationalen Mitgliedsorganisationen in vierzig Ländern, "Argwohn in Freundschaft zu wandeln". Für den ICCJ bedeute dies beispielsweise auch, "die bereichernden Beziehungen zu Moslems durch unser Internationales Abrahamisches Forum weiterzuentwickeln".

Der Internationale Rat der Christen und Juden (ICCJ) ist der internationale Dachverband von 40 nationalen christlich-jüdischen und interreligiösen Dialogorganisationen. Der ICCJ und viele seiner Mitgliedsorganisationen engagieren sich im abrahamitischen Dialog, der Begegnung von Juden, Christen und Muslimen. Der Sitz des ICCJ befindet sich im Martin-Buber-Haus in Heppenheim. Österreichische Mitgliedorganisation des ICCJ ist der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

 

Kathpress

 

Foto: www.morguefile.com. Titel: Auschwitz Birkenau. Autor: western4uk.

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(be)

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