Brauchen Kinder den Religionsunterricht?
Im anglo-amerikanischen Raum wird schon lange Zeit von diesem Menschenbild ausgegangen: Männer, Frauen und Kinder haben neben physischen, emotionalen und kognitiven auch spirituelle Bedürfnisse und Entwicklungsbedarfe (vgl. etwa das britische Schulgesetz 1984). Im Gegensatz dazu scheint es in österreichischen Bildungsdiskussionen mancherorts eine gewisse Hemmschwelle zu geben, die spirituell-religiöse Dimension menschlicher Verfasstheit zu bejahen. Das ist bedauerlich, denn die Kinder gehen Tag für Tag mit existenziellen, großen und manchmal auch schweren Fragen in ihre Schulen.
Philosophieren und Theologisieren mit Kindern
„Warum gibt es Ebola? Warum gibt es den Tod überhaupt? Wieso gibt es reiche und arme Menschen? Gibt es wirklich Engel? Wieso streiten sich Menschen und machen Krieg? Wie ist Gott entstanden? Habt ihr schon mal Gott gesehen? Ist Gott erfunden? Ich will wissen, wieso Eltern sich immer streiten! Soll alles so sein?“ (originale Fragen von Kindern aus Oberösterreich). Der konfessionelle Religionsunterricht ist ein Ort, wo Kinder genau diese Fragen stellen können. Gute ReligionslehrerInnen sind heute ausgebildet im offenen Philosophieren und Theologisieren mit Kindern. Es geht ihnen nicht darum, die richtige Antwort vorzugeben, sondern die Kinder zu ermutigen, eigene Gedanken zu äußern und eigene Vorstellungen in den Unterricht einzubringen. Es geht ihnen darum, die Kinder in ihrer spirituellen, religiösen und ethischen Entwicklung zu begleiten: so, dass sich die Kinder eines Tages frei entscheiden können, wonach sie ihr Leben ausrichten wollen und was ihnen wirklich heilig ist. Das ist auch ein Grund, warum immer mehr Eltern ohne religiöses Bekenntnis ihre Kinder im Religionsunterricht anmelden.
Religionsunterricht begleitet Kinder in ihrer spirituellen, religiösen sowie ethischen Entwicklung und stärkt sie in einer Zeit zunehmender Orientierungslosigkeit. © fotolia.com/Robert Kneschke
Prophetische Korrektur
Im Lehrplan des katholischen Religionsunterrichts finden sich Themen zur Stärkung der Klassengemeinschaft: „Freunde haben“, „Verzeihen können“, „Gemeinschaft erleben“. Im Kontext unserer individualisierten, auf Einzelinteressen und -förderung bedachten Gesellschaft bringt der Religionsunterricht damit eine prophetische Korrektur in das schulische Miteinander ein: Unsere Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Verbundenheit kann in der bewussten Gestaltung, im Erleben und Feiern von Gemeinschaft gestillt werden.
Bestärkung fürs Leben
Im Religionsunterricht geht es um das Leben der Kinder und darum, wie sie es gut bewältigen können. Dazu werden starke Geschichten herangezogen – solche aus dem Alten und Neuen Testament: Geschichten, welche die Grenzen sprengen, die Mut machen und Hoffnung geben. Etwa die Geschichte vom kleinen David, der erfolgreich gegen den Riesen Goliath kämpfte. Oder die Geschichte vom schweren Stein, der plötzlich weggewälzt war. Die Resilienzforschung (die Forschung von der Lebens- und Problembewältigungsfähigkeit) belegt, dass Kinder, die sich in einem größeren Ganzen geborgen wissen, bessere Chancen haben, schwere Probleme und Schicksalsschläge in ihrem Leben zu meistern. Wenn der Religionsunterricht den Kindern die Tür für dieses Glauben-Können öffnet und offenhält, dann hat er gerade in einer Zeit der zunehmenden Orientierungslosigkeit und Zukunftsängste eine wichtige, lebensförderliche Funktion.
Die Autorin, Hochschulprofessorin Dr. in Silvia Habringer-Hagleitner, ist Leiterin des Instituts Ausbildung für ReligionslehrerInnen an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz. Dieser Artikel erschien in der MitarbeiterInnen-Zeitung "informiert", Ausgabe 10/01-2014/2015. Bearbeitender Redakteur war Andreas Kaltseis. (ma)