Filmemacherin zeigt, wie Geld (nicht?) funktioniert
Es war der 114. Sozialstammtisch, der am 17. September im Cardijn Haus in Linz stattfand. „Too big to tell“ wurde gezeigt. Danach folgte eine Diskussion mit der Filmemacherin Johanna Tschautscher. Eine Zusammenfassung.
Wasser, das bergauf fließt
Zwei Bilder stehen am Anfang des Dokumentarfilms „Too big to tell“: Ein kleiner Bach mit klarem rasch fließendem Wasser. Und dann eine gigantische Staumauer, eine Talsperre, die hinter sich einen künstlichen See weit oben in den Bergen hält. Wasser fließt. Wasser wird aufgestaut.
Bilder, die Johanna Tschautscher in ihrem Film findet, um unser Finanzsystem zu beschreiben: Geld, das fließt; das eingesetzt wird um Lebensnotwendiges auszutauschen, Wohlstand und Gutes Leben zu schaffen. Und Geld, das zu großen, manchmal unvorstellbar großen Vermögen gestaut wird. Diese Vermögen werden bedrohlich für das Funktionieren des gesamten Systems.
Denn große Vermögen werden über Banken als Kredite vergeben. An Menschen, die weniger Geld haben als sie benötigen. Für den Kredit müssen Zinsen bezahlt werden. Und diese Zinsen sind wie Wasser, das beständig den Berg hinauf in den Stausee zufließt. Von dort, wo Mangel ist, wo Kredit gebraucht wird, dorthin wo ohnehin schon mehr da war als zum unmittelbaren Gebrauch nötig.
Und dann die Frage: Profietieren die „kleinen SparerInnen“ nicht von den Zinsen am Sparbuch? Die einfache Antwort: Nein. Neunzig Prozent der Menschen in Österreich zahlen in ihrem Leben mehr als doppelt so viele Zinsen, als sie erhalten. Bis zu welchem Punkt geht das gut?
Grundsätzliche Fragestellungen
Zwölf Jahre lang recherchierte Tschautscher für ihren Dokumentarfilm. Und beim Ansehen wird schon in den ersten Minuten klar: Hier geht es ganz grundsätzlich zu Werke: Was ist Geld eigentlich? Wie entsteht es? Was sind Zinsen? Und warum crasht dieses System so unerbittlich, so regelmäßig? Das sind einige der Ausgangsfragen. Mehr als ein Dutzend Menschen kommen in „Too big to tell“ zu Wort. FinanzexpertInnen, WissenschafterInnen, AktivistInnen in sozialen Bewegungen. Vielen der Szenen ist anzumerken, dass sie aus intensiven Gesprächen mit der Filmemacherin entstanden sind. Aus ihnen entwickelt Tschautscher einen komplexen, dabei sehr informativen und bewegenden Film.
Johanna Tschautscher recherchierte zwölf Jahre für ihren Film "To big to tell" über das Finanzsystem.
Schulden und Schuldenschnitt
ExpertInnen wie Margrit Kennedy und Wolfgang Kessler werfen im Film beispielhafte Blicke in die Geschichte. Und sie scheint sich zu wiederholen.
Kessler zeigt am Beispiel der Entwicklungsländer in den 80er-Jahren auf, wie aus großen Vermögen einerseits große Schuldenkrisen werden: Große Vermögen aus dem Erdölgeschäft und von amerikanischen Pensionsfonds suchten zu der Zeit nach Renditen, also Schuldner die Kredite benötigen und dafür Zinsen zahlen würden. „Wie Bürstenverkäufer“ – so nennt es ein damaliger Insider des Bankgeschäftes – wurden InvestmentbankerInnen durch die Welt geschickt, um Kredite anzubieten. In den damals zu großen Teilen undemokratischen bzw. korrupten Regimes der Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas fanden sie willige Kreditnehmer, was zur Überschuldung der Länder durch die hohe Zinsenlast führte. Als auch die Dikatoren abgesetzt waren, bestanden die Gläubiger natürlich auf Rückzahlung der Kredite. Wie können solche Schieflagen von Großvermögen einerseits und Überschuldung andererseits gelöst werden – wie auch derzeit in Europa?
Die Historikerin Margrit Kennedy sieht grundsätzlich drei Wege, die geschichtlich häufig gegangen wurden: Ein totaler Zusammenbruch mit Geldentwertung. Eine soziale Revolution wie die französische oder russische mit Schuldenschnitt. Und: Umverteilung oder einen Krieg.
Einen Ausgleich der Schieflage zwischen Vermögen und Schulden auf friedliche und konstruktive Weise zu schaffen wäre vor diesem Hintergrund eine Herausforderung unserer Zeit.
Eigene Handlungsmacht
„Was kann jetzt eine normaler Mensch tun?“ war eine Frage, die das Gespräch beim Sozialstammtisch mit Johanna Tschautscher über ihren Film bestimmt hat. „Eine Antwort darauf kann in demokratischen Zeiten nicht von einer Person verordnet werden“, meinte Tschautscher dazu. „Was es braucht, ist ein gemeinschaftlicher Prozess der Bewusstwerdung und darauf aufbauender Entscheidungen.“
Die Bank für Gemeinwohl befindet sich in Österreich gerade in Gründung. Eine Bank, die den genossenschaftlichen Gedanken, den BürgerInnen zu nutzen, wieder in den Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells stellt. Der Prozess dazu ist lang, aber er wird Schritt für Schritt gegangen. Die Bank für Gemeinwohl ist eine Initiative, die jederzeit für Mitwirkende offen ist.
Auch die eigene Aufklärung wurde angesprochen. Denn die Bankwirtschaft bzw. die Vermögenswirtschaft lebe davon, dass wir glauben es sei zu kompliziert zu verstehen, so ein Diskussionsteilnehmer.
In ihrem Schlusswort sprach Johanna Tschautscher noch eine einfache aber sehr nachhaltig gedachte Möglichkeit an, Alternativen in die Welt zu bringen: Kinderspiele zu finden und zu verwenden, die Zusammenarbeit, Kommunikation, Austausch, Vertrauen fördern würden, anstatt Konkurrenz, Wettbewerb und das Recht des/der Stärkeren. Damit wäre ein grundlegender Kulturwandel unterstützt, der Not tut. Denn das Bedürfnis danach, Geld anzusammeln, zu vermehren, zu halten ist ein Barometer für unser Mißtrauen in die Mitmenschen und die Zukunft.
Zeit für persönliche Gespräch mit Johanna Tschautscher beim Sozialstammtisch von mensch&arbeit.
Zur Website von Johanna Tschautscher: www.tschautscher.eu
Zur Website der Bank für Gemeinwohl: www.mitgruenden.at
Dabei sein beim nächsten Sozialstammtisch
Möchten Sie zum nächsten Sozialstammtisch eingeladen werden? Bitte senden Sie ein Mail mit Email- oder Postadresse an mensch-arbeit@dioezese-linz.at
Rathmayr, Reiner (ma)
Teaserfoto: morguefile_sfluehnsdorf
Fotos vom Sozialstammtisch: mensch&arbeit