GRUNDstück
Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion. Ein GRUNDstück der Kirchenmusik schlechthin. Der schwedische Theologe und Erzbischof Nathan Söderblom verriet, durch Hören des Werkes einen "tieferen Einblick in das Mysterium des Leidens als je zuvor" erhalten zu haben. Da wundert es vielleicht gar nicht mehr, dass er Bachs Musik sogar als "fünftes Evangelium" charakterisiert hat.
Bachs monumentalstes Werk
Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion (BWV 244) schildert die Leidensgeschichte Jesu, wie sie in Kapitel 26 und 27 des Evangelisten Matthäus zu lesen ist. Mit einer Besetzung von sieben Solostimmen, zwei Chören und zwei Orchestern und einer Aufführungsdauer von über 170 Minuten ist die Matthäus-Passion Bachs monumentalstes Werk – nicht umsonst gilt sie als Höhepunkt (protestantischer) Kirchenmusik.
Geprägt von einem tiefen christlichen Glauben wurde die Matthäus-Passion in der Karfreitagsvesper am 11. April 1727 in der Leipziger Thomaskirche uraufgeführt – anders als heute war sie damit nicht als geistliches Konzertwerk, sondern als Andachtsmusik mit engem inhaltlichen und funktionalen Bezug zum Gottesdienst gedacht. Eine weitere Aufführung der Passion dürfte 1729 erfolgt sein.
Die Matthäus-Passion ist dem Typus der "oratorischen Passion" zuzurechnen. Kennzeichnend für diesen Typus ist die Verbindung dreier Textebenen: Die GRUNDlage bildet der Bericht vom Leiden und Sterben Jesu Christi nach einem der vier Evangelisten im Bibelwortlaut. Die zweite Ebene bilden frei gedichtete Rezitative und Arien, die das Geschehen kommentieren, reflektieren oder vertiefen. Als dritte Ebene fungieren Strophen von Kirchenliedern, die als Kommentare die zeitgenössische Reaktion aus Sicht der Gemeinde repräsentieren und so die Zeit aufheben und das Geschehen in die Gegenwart des Zuhörers transferieren – als Brücke zum Heute. Damals wurden die Choräle von der Gemeinde mitgesungen, die auf diese Weise in die Handlung integriert waren.
In Bachs Matthäus-Passion wird der Text aus dem Matthäus-Evangelium um Choräle und freie Dichtungen des Leipziger Poeten Christian Friedrich Henrici (der unter dem Pseudonym Picander dichtete) sowie Choräle – großteils von Paul Gerhardt – ergänzt. Gerhardts Choral "O Haupt voll Blut und Wunden" spielt dabei eine bedeutende Rolle: mit verschiedenen Strophen und Harmonisierungen erklingt er insgesamt fünf Mal und verleiht der Gesamtkonzeption Geschlossenheit.
Das Werk besteht insgesamt aus 78 Nummern. Es ist gegliedert in einen kürzeren ersten Teil, der von den Mordplänen des jüdischen Synhedrions, Jesu Salbung in Bethanien, dem letzten Abendmahl und der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane berichtet, sowie einen etwas umfangreicheren zweiten Teil, der vom Verhör vor dem jüdischen Rat, der Verleugnung des Petrus, der Verurteilung Jesu durch Pontius Pilatus sowie der Kreuzigung, dem Tod und der Grablegung Jesu erzählt. Den Rahmen für die beiden Teile des Werkes bilden groß angelegte Eingangs- und Schlusschöre. Ursprünglich wurde zwischen beiden Teilen eine Predigt gehalten.
Neben der bereits 1724 aufgeführten Johannes-Passion ist sie das einzige vollständig erhaltene Passionswerk des Thomaskantors. Die Lukas-Passion (1730) wurde – wie die Forschung inzwischen weiß – großteils nicht von Bach komponiert, von der Markus-Passion (1731) ist lediglich das Libretto erhalten.
Aus dem Jahr 1736 stammt Bachs saubere Reinschrift der gesamten Partitur der Matthäus-Passion – bis in sein letztes Lebensjahrzehnt hat er sich immer wieder mit ihr beschäftigt, wohl auch ein Zeichen dafür, dass er sie selbst neben der h-Moll-Messe (BWV 232) oder der "Kunst der Fuge" (BWV 1080) als wesentlichen Teil seines musikalischen Vermächtnisses gesehen hat. Mit der Wiederaufführung des in Vergessenheit geratenen Werkes läutete Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 nicht nur eine Renaissance der Matthäus-Passion, sondern eine regelrechte Bach-Renaissance ein. Heute gilt Bachs Matthäus-Passion als die herausragendste und vermutlich anspruchsvollste Vertonung der Leidensgeschichte Jesu.
Aufführungen in Linz und Wien
Das monumentale Werk ist am 26. März 2017 in Linz und am 2. April 2017 in Wien zu hören. Die Evangelische Kantorei (Leitung: Franziska Leuschner), der Wiener Motettenchor (Leitung: Andreas Peterl) sowie das Concerto Luterano führen das Werk mit den Solistinnen und Solisten Marelize Gerber, Gernot Heinrich, Matthias Helm, Andreas Lebeda, Gerda Lischka und Jan Petryka auf.
Froh und dankbar ist Andreas Peterl, dass er das Werk nun dirigieren darf, auch wenn er weiß: "Passionen zu musizieren, ist aufgrund ihrer einzigartigen Form immer eine Herausforderung, selbst (und gerade auch) schlichte Passionsvertonungen – nicht zuletzt, weil die Form nur einmal im Jahr vorkommt." Die nun auf dem Programm stehende Matthäus-Passion ist Andreas Peterls liebste: "Sie sprengt freilich alle Dimensionen. Allein die beiden rahmenden großen Chöre sind bereits von einer unglaublichen Schönheit, ganz zu schweigen von den vielen verschiedenen Arien..."
Auch die evangelische Diözesankantorin Franziska Leuschner verrät: "Bachs Matthäuspassion ist das Musikstück, das mir überhaupt am meisten bedeutet. Seine Johannespassion ist durch die kurzen, ausdrucksstarken Chöre vielleicht das packendere Stück, aber die Matthäuspassion ist für mich das noch tiefgründigere Werk." Sie weist außerdem auf den starken Bezug der Musik auf Wort und Handlung der Passionsgeschichte hin: "Die verschiedenen Rollen – Evangelist als Erzähler, Jesus, der Chor als das Volk – sowie das Hinzutreten von betrachtenden Arien und auf das eigene Leben Bezug nehmende Choräle führen zu einem abwechslungsreichen Aufbau und ermöglichen dem Zuhörer, Jesu Leidensweg und dessen Bedeutung für uns heute sehr stark mitzuempfinden."
Quellenangabe:
Hofmann, Klaus (2011): Vorwort. In: Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion. Stuttgart: Carus. S. VII-IX.
Jarlert, Andreas (1999): Bach - ein "fünftes Evangelium" mit oder ohne einen "fünften Evangelisten"? Zum Bach-Verständnis Nathan Söderbloms. In: Brusniak, Friedhelm / Steiger, Renate (1999) (Hrsg.): Hof- und Kirchenmusik der Barockzeit. Hymnologische, theologische und musikgeschichtliche Aspekte. Sinzig: Studio Verlag (= Arolser Beiträge zur Musikforschung 7). S. 51ff.
Foto: Johann Sebastian Bach: Passio secundum Matthaeum (Link zum Manuskript: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001C20900000000). © Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz - Musikabteilung/CC BY-NC-SA 3.0 DE (Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/)