GRUNDsäule
Rainer Maria Schießlers Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten statt austreten.“ wurde bereits letzte Woche im Rahmen des Fastenkalenders vorgestellt. Besonders spannend sind die drei GRUNDsäulen, mit denen er eine Pastoraltheologie beschreibt, wie er sie im Rahmen seines Pastoraljahres 1986/1987 in Bad Kohlgrub bei Pfarrer Axel Meulemann kennengelernt hatte.
Der junge Weihebewerber Schießler hat sich damals „handwerkliche“ Fertigkeiten „abgeschaut“, die für ihn heute Grundlage der Vermittlung spiritueller Tiefe sind. Und die drei GRUNDsäulen, auf denen diese Fertigkeiten basieren, gibt's nun zu entdecken...
„Du muasst die Leut mögen!“
Das war die Grundvoraussetzung, mit deinem Wissen gutumzugehen und es zum Nutzen, nicht zum Schaden der Dörfler einzusetzen. Denn am Ende würden sie alle wieder in seinen Kirchenbänken zusammenrutschen und die hl. Messe mitfeiern. Nirgendwo – das lernst du in keinem Priesterseminar – habe ich besser begriffen, wie verletzlich, filigran und wie unglaublich wichtig die Pflege der Gemeinschaft ist. Dass du die Menschen lieben musst, um immer wieder auf sie zuzugehen. Dass die Gemeinschaft auch den Pfarrer trägt. Lieben und geliebt werden – über alle Konflikte hinweg, die unweigerlich auftauchen. [1]
Die Menschen wollen auch einen Pfarrer zum Anfassen, bei allem Respekt – er muss sichtbar bleiben im Gemeindeleben. Und dazu musst du die Leute mögen, mit denen du lebst, und wissen, wie du sie am besten ansprichst – egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Wie du das machst, erfährst du wiederum nur, wenn dich die Menschen interessieren – und sie interessieren dich nur, wenn du sie magst. [2]
„Liturgie darf nicht wehtun!“
Sein zweiter Sinnspruch war die logische Folge des ersten: „Du musst die Leute mögen!“ Damit definierte Meulemann Wunsch und Willen, dass die Menschen gerne in seinen Gottesdienst kommen sollen, weil sie sich bereichert fühlen, weil sie sich in der Gemeinschaft der Gläubigen wieder aufgehoben fühlen, in ihren Sorgen wahrgenommen, dass ihnen ihre Last mitgetragen wird und dass sie Freude empfinden und Erlösung von allen Übeln. Freiwilligkeit und Freude waren seien obersten Gebote. Und das entsteht – und das kann kein Mensch der Welt befehlen oder sonst wie erzwingen. Aus eigenem Wunsch sollten sie ihm zuströmen. Und nicht aus Angst vor Strafe. [3]
Es entsprach seiner tiefen Überzeugung, dass er mit dem Evangelium etwas unglaublich Spannendes und Wertvolles für den Alltag der Menschen zu verkünden hatte. Er wünschte sich, dass über seine Predigten danach zu Hause am Mittagstisch oder am Stammtisch weitergeredet und diskutiert wurde. Mit „Liturgie darf nicht weh tun!“ warnte er davor, wie er mal sagte, dass sich die Gläubigen aus Angst, vor Langeweile einzuschlafen, in den Oberschenkel kniffen oder die Nägel blutig bissen, jede Sekunde zählten und Stoßgebete gen Himmel schickten, damit es endlich vorüber wäre. [4]
Meine ganze Art, wie ich heute predige, wie ich versuche, die Menschen jedes Mal neu zu packen und für das Evangelium zu interessieren, sie zu öffnen, dass sie in die Entspannung kommen und damit zum Nachdenken, heraus aus ihrem anstrengenden Alltag, habe ich von ihm abgeschaut. [5]
Kein[] Gebet[] ist eine leere Formel – sondern es hat seinen tiefen Grund, warum es Teil des Gottesdienstes ist. Solche Bitten werden leer und sinnlos, wenn ich als Pfarrer nicht verstehe, dass ich es bin, der sie mit Leben und mit Liebe – mit Intensität –, füllen muss. Wenn ich es nicht schaffe, in diesen Flow zu kommen, der mich mit Himmel und Erde verbindet und mich eins werden lässt mit meiner Gemeinde, dann habe ich versagt, so empfinde ich das. Das aber schaffe ich nur, wenn ich wirklich an das glaube, was ich da erbitte. Es ist alles ganz einfach – und doch so schwer: Glaube ist Empathie. Empathie bedeutet Intensität. Intensität ist so mitreißend, dass die Liturgie nicht wehtut. [6]
„Sakramente musst du spüren!“
Damit meinte Meulemann, dass Glauben nichts Abstraktes ist. Genauso wenig wie Sakramente. Aber dass wir beides mit Leben füllen müssen. Ein Sakrament zum Beispiel ist wie eine Bedienungsanleitung – jeder kann nachlesen, was zu tun ist. Das Sakrament bleibt eine Bedienungsanleitung und in der Wirkung völlig sinnentleert, wenn wir ihm nicht mit unserer Kraft zu glauben Leben einhauchen. Sakramente verbinden das Jenseitige und das Diesseitige und lassen damit etwas sehr Konkretes entstehen, in dir, in deinem Herzen – und genau da muss es hin. Sonst perlt es an dir ab wie ein Ei auf der Teflonpfanne. „Sakramente musst du spüren“ – und wenn du es spürst, dann ist es in deinem Herzen angekommen und nur da kann es wirken. [7]
Glauben kann man nicht vorlesen, er kommt aus dem Herzen und diese Liebe geht von innen nach außen. Was nur von außen kommt und das Herz nicht erreicht, bleibt formal und funktional wie eine Raufasertapete im Finanzamt. Ich möchte nicht, dass ein Priester ein Buch braucht, um einen Segen zu sprechen – sondern ich möchte, dass die heiligen Sakramente leben und aus sich heraus Kraft spenden. Und weil man ein Sakrament nicht nur mit dem Herzen, sondern auch hautnah spüren muss, salbe ich bei jeder Taufe den ganzen Kopf des Kindes mit heiligem Chrisam-Öl ein, ordentlich – nicht zaghaft tupfen – sondern wirklich großflächig einsalben. [8]
Diese drei pastoralen GRUNDsäulen lebt der inzwischen in ganz Deutschland bekannte Münchner Pfarrer in seinen beiden Pfarren St. Maximilian und Heilig Geist und gilt so heute als unkonventioneller Seelsorger, der Kirche genau dorthin bringen möchte, wo die Menschen sind. Mit Mut zu Offenheit und Veränderung, mit Lebendigkeit und Kreativität sowie einer großen Leidenschaft für’s Pfarrersein gelingt es ihm, dass seine Pfarrgemeinde wächst – und das ganz gegen den bundesdeutschen Trend.
Der Auszug aus dem Buch ist der freundlichen Genehmigung des Kösel-Verlags zu verdanken:
Rainer Maria Schießler (2016): Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten statt austreten. München: Kösel-Verlag. 256 Seiten. ISBN: 978-3-46637-147-1.
Bestellmöglichkeit beim Kösel-Verlag
Anmerkungen:
[1] Schießler, Rainer Maria (2016): Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten stat austreten. München: Kösel-Verlag. S. 126.
[2] Ebd. S. 130.
[3] Ebd. S. 133.
[4] Ebd. S. 134f.
[5] Ebd. S. 131.
[6] Ebd. S. 135f.
[7] Ebd. S. 139f.
[8] Ebd. S. 141.