GRUNDriss
Ein GRUNDriss ist eine abstrahierte Abbildung einer räumlichen Gegebenheit. Wer sich darauf versteht ihn zu lesen, vor dessen Augen beginnt sich ein Gebäude, ein Monument oder was auch immer zu verlebendigen.
Die Liturgie des Karfreitags zeigt einen "GRUNDriss" ganz eigener Art: Beim Sterben Jesu zerreißt der Vorhang des Tempels. Die sinnliche Schranke vor dem Allerheiligsten, die bisher nur der Hohepriester zu bestimmten Zeitpunkten überwinden durfte, verliert ihre Bedeutung – ja mehr noch: im Leben und Sterben Jesu enthüllt sich das Geheimnis Gottes allen Menschen.
Die bleibende Gegenwart dessen, der sterbend ins unzerstörbare Leben fällt, lässt sich nicht mehr an einen Ort binden. Sie öffnet sich hinein in die ganze Welt, in jedes Menschenherz.
Der Riss, der sich vom Kreuz her auftut, zeigt so den "GRUNDriss" der neuen Schöpfung. Wer sich darauf versteht ihn zu lesen wird an allen Ecken des Lebens den Auferstandenen erahnen als tragenden GRUND.
Freilich ist und bleibt auch dieses Ahnen noch eine Art Schleier, solange wir leben. Erst wenn wir den Augenblick des Todes mit Jesus teilen werden, wird endgültig zerreißen, was uns trotz seiner Verheißung ängstigte und zweifeln ließ.
Bis dahin soll uns jeder Karfreitag zum Augenblick der Hoffnung werden, zum Durchblick auf den letzten GRUND unseres Lebens.
(Josef Keplinger)