GRUNDmotiv
256 Seiten Leidenschaft für's Seelsorgersein, Begeisterung für den Glauben und Liebe zu seiner Kirche – so lässt sich Rainer Maria Schießlers jüngst erschienenes Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament – Auftreten statt austreten“ in aller Kürze beschreiben.
Himmel, Herrgott, Sakrament!
Wer den Buchtitel „Himmel, Herrgott, Sakrament“ als kernigen, bayrischen Fluch liest, irrt: denn die drei Begriffe Himmel, Herrgott und Sakrament beschreiben für Schießler Kirche, so erklärt er in seinem Vorwort: „Sie vermittelt ein Gefühl von dem, was HIMMEL unter uns Menschen sein kann. […] Ich bin ein so glücklicher Mensch, denn man hat mir Kirche als Himmel angeboten. Und da war immer die Rede von einem liebenden, den Menschen umsorgenden, mich behütenden HERRGOTT! Der Liebha-ber des Lebens – immer an meiner Seite! Was für ein Evangelium! Das kann einem regelrecht unter die Haut gehen, so wie man wohlriechendes, duftendes Salböl spürt, riecht und einwirken lässt, wenn man es bei den SAKRAMENTEN empfängt. Da wird Himmel und Herrgott greifbar. Da nimmt Kirche Gestalt an.“ [1] Schöner und emotionaler kann man Glauben vermutlich nicht ausdrücken.
„Menschenfischer“ Schießler füllt in Zeiten von Kirchenflucht seine beiden Münchner Kirchen – und wer sein Buch liest, weiß warum: Er ist mittendrin im Leben. Er ist nahe bei den Menschen. Und er ist wahrhaftig – denn man spürt: Er meint, was er sagt. Und so schreibt er auch. „Auftreten statt austreten“ lautet für Schießler die Devise. Und so läuft Schießler den Menschen hinterher und bemüht sich um jeden einzelnen. Und zwar nicht nur jenen, die aus der Kirche ausgetreten sind (oder es vorhaben). Denn: er will „seine“ Kirche, als deren Teil er sich empfindet, ändern.
Autobiographie trifft Analyse
Auf lebendige und erfrischende Art und Weise erzählt Rainer Maria Schießler seine Lebensgeschichte: von seiner Kindheit, vom Intermezzo als Novize im Orden der Kapuziner in Laufen, vom frühen und schmerzlichen Verlust seiner Mutter, von seinem Pastoraljahr als „Praxer“ in Bad Kohlgrub, von seiner Priesterweihe, von seiner Versetzung nach Rosenheim ohne Rücksprache, von seiner Abberufung in die damals zerstrittene Gemeinde München-St. Maximilian im Glockenbachviertel (die heute übrigens eine lebendige und aktive Pfarre ist), von seiner Installierung als Pfarrer, vom Tod seines Vaters, von der Übernahme der Pfarre München-Heilig Geist am Viktualienmarkt und von spannenden Wegen und Aktionen in seinen Pfarren.
In seine Autobiographie hinein verpackt Schießler seine Botschaft, seine Gedanken – ohne je seinen Weg als den einzig wahren zu proklamieren: für ihn persönlich ist es der Richtige. Er wünscht sich nur, „dass unsere Vorgesetzten forschend fragen, wonach ich lebe, was ich tue, dass meine Kirche voll ist – und warum sie voll ist und andere leer bleiben“ [2].
Er liebt seinen Herrgott. Er liebt die Menschen. Er liebt seine Kirche. Er liebt seine Aufgabe. Und diese übt er mit BeGEISTerung, Hingabe und Leidenschaft aus – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Dabei begann seine „kirchliche Laufbahn” etwas holprig: Gleich bei seinem ersten Ministrantendienst am dritten Adventsonntag des Jahres 1970, als er nach vielen Ministrantenstunden endlich einmal als Ersatz einspringen durfte, spielte der Magen des Zehnjährigen vor lauter Aufregung verrückt und das Frühstück landete bei der Wandlung auf den Altarstufen. Der beschämte Schießler nahm an, die kürzeste Ministrantenkarriere der gesamten Kirchengeschichte hingelegt zu haben, doch Priester Elmar Gruber reagierte anders als erwartet. Dieser nahm es ihm nicht übel, sondern war stolz auf ihn und freute sich über die völlige Hingabe des Jungen, der – im wahrsten Sinne des Wortes – „wirklich alles gegeben“ hatte. Eines der prägendsten Erlebnisse für Schießler.
Inspiriert und geprägt ist Schießler in seinem Tun von Priesterpersönlichkeiten wie Elmar Gruber, durch den Schießler so intensiv wie noch nie gespürt hat, was Nächstenliebe und bedingungslose Barmherzigkeit bedeutet, oder Axel Meulemann aus Bad Kohlgrub, von dem Schießler seine drei pastoralen Leitsätze („Du musst die Leute mögen!”, „Liturgie darf nicht wehtun!” und „Sakramente muss man spüren!”) mitgenommen hat.
Berührend und bewegend gewährt er in drei Abschnitten („Morgenläuten“ – „Mittagsläuten“ – „Abendläuten“) Einblick in das – mitunter auch einsame – Leben und Wirken eines Pfarrers. Er erzählt von seiner Verzweiflung über die Einsamkeit eines Pfarrers, seinem Alleinsein in der Dienstwohnung (dem „Kerker der Einsamkeit“ [3]), aber auch seinem Mut zum Anderssein, seinem Wille zur Veränderung, seiner Kraft zum BeGEISTern.
Wo ich bin, was ich tue, was ich sage – alles ist Verkündigung...
Schießler bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die Überschrift über meinem Leben lautet daher immer: Wo ich bin, was ich tue, was ich sage – alles ist Verkündigung. Ich gehe mit meinem Glauben überall hin – vor allem dorthin, wo Kirche nicht anwesend ist.“ [4]
Es geht ihm darum, auszuschwärmen und neue Räume zu erobern, Kirche dorthin zu bringen, wo die Menschen sind: Zum Beispiel beim Bierkrügeschleppen im Schottenhammel-Zelt am Münchner Oktoberfest. Oder bei der „Viecherlmesse“ in St. Maximilian mit Frauchen, Herrchen und zahlreichen „Viecherln“. Bei der Fahrzeugsegnung rund um den Christophorustag werden schließlich alle Gefährte vom Bobbycar bis zum Motorrad gesegnet und Pfarrer Schießler selbst ist dabei zuweilen mit Inlineskates oder mit dem Messgewand am Motorrad zu sehen. Gerne ist Schießler auch am Weg über den Viktualienmarkt Richtung Heilig Geist mit den Marktleuten und Marktbesuchern im Gespräch. Und zu Heiligabend gibt’s nach der Christmette Sekt zur Feier von Jesu Geburt. Dann mischte sich der fußballbegeisterte Pfarrer bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 als freiwilliger Helfer gar unter die Fans. (Und dann gibt's da ja noch die Geschichte mit den Baustellenzäunen oder den Mülltonnen – aber alles kann hier schließlich noch nicht verraten werden...)
Denn Schießler ist sich sicher, dass bei den Menschen das Bedürfnis nach Glauben da ist, diese sich von der Kirche lediglich nicht mehr berührt fühlen. Und da setzt er an: denn die Verkündigung, von der er im Buch erzählt, ist zeitgemäß, praxisnah und vermag Menschen zu erreichen – auch weil er ihnen auf Augenhöhe begegnet. Wenn die Leute davon laufen, läuft Schießler ihnen nach – fragt nach, hört zu und redet mit ihnen.
Vielleicht hat ihn da auch das Taxifahren, mit dem er sich das Studium finanziert hat, geprägt: dort traf er auf eine völlig andere Wirklichkeit als jene, von der er im Priesterseminar gehört hatte. Taxifahren als Lebensschule, als „perfekteste Vorbereitung auf meinen Beruf als Seelsorger, ein Crashkurs in Sachen Menschenkenntnis“ [5]. Nicht umsonst ist einer seiner Lieblingssprüche: „Wenn Du Gott finden willst, geh an den Straßenrand. Sein Herz klopft knapp überm Straßenpflaster.“ Übrigens: Seinen Taxischein erneuert der Seelsorger als „Überlebensversicherung“ [6] auch alle fünf Jahre.
Kritik eines Liebenden
Sexualmoral, die sich nicht an der Realität orientiert. Sakramentenpastoral, die rigoros und weltfremd ist. Liturgie, die formalistisch und emotionslos gefeiert wird. Das sind nur einige Themen, die Schießler kritisch beleuchtet. Auch der Zölibat muss – so Schießler – auf den Prüfstand, und zwar nicht nur wegen des Priestermangels. Er selbst lebt ihn aus Überzeugung, würde anderen aber nie dazu raten, weil der Pflichtzölibat auch erheblichen Schaden anrichten kann. Schießler spricht sich daher auch für Priester ohne Zölibat als zusätzliche Möglichkeit aus: „Warum sagen wir nicht: Wir kennen den Weg des nicht verheirateten, zölibatär lebenden Priesters und wir kennen ebenso den Weg des verheirateten, mit Familie durch die Welt gehenden Priesters. Und beide sind auf ihrem Weg lautstarke, positive Verkünder des Evangeliums […].“ [7] Genauso geht Schießler der Frage nach dem Priestertum der Frauen nach: „Die Kirche kann doch heute nicht mehr einfach die Hälfte der Gläubigen – nämlich Frauen – aus der Verkündigung ausblenden! Oder sollten Mütter ihren Kindern keinen Glauben vermitteln? Zu Hause tun sie es – warum dürfen sie es nicht in den Kirchen?“ [8] Für Schießler ist die Verkündigung des Evangeliums schlichtweg geschlechtsunspezifisch.
Mit seiner Kritik provoziert er und rüttelt er auf, jedoch ohne anderen etwas vorzuschreiben oder sie zu beleidigen. Denn: Seine Kirche liegt ihm am Herzen. Darum ereilt den Leser oder die Leserin trotz aller Kritik auch nie das Gefühl, dass Schießler jammert, nein, man spürt: er leidet wegen der unzähligen verpassten Möglichkeiten und Gelegenheiten, Menschen zu vermitteln, dass Kirche etwas für ihr Leben zu bieten hat, dass Kirche ihnen etwas geben kann. Wenig anfangen kann Schießler darum mit inspirationslosen Zelebranten, die „emotionslos wie auf Autopilot geschaltet Sonntag für Sonntag über die Köpfe der Gläubigen hinweg ihr Predigt-Soll runterspulen – bis das ganze Gemeindeleben selig entschlafen ist“ [9].
Seine Kritik an kirchlichen Strukturen oder dem Zustand der Institution Kirche ist demnach dem Wunsch nach Weiterentwicklung, dem Wunsch nach einem „Reset“ geschuldet: „Denn das bin ich selbst, den ich da anklage. Ich bin diese Kirche. Mit jeder Faser meines Herzens. Nicht nur ein Teil von mir.“ [10] Seine Kritik ist die eines Liebenden.
Lange war die Beziehung zum Ordinariat des Erzdiözese München und Freising nicht unbedingt konfliktfrei. Das begann bereits, als Schießler ohne Rücksprache nach Rosenheim versetzt wurde und sich von seiner Kirche „umgestellt wie ein Möbelstück“ [11] fühlte. Heute lässt sich diese Beziehung hingegen etwas anders beschreiben, so meint Schießler im Epilog seines Buches: „Ich danke meiner Kirche, meiner Heimatdiözese München und Freising, die mich als ihr ganz besonderes Pferd im Stall so sein lassen, wie ich bin, und mich spüren lassen, was ich ihnen bedeute.“ [12]
Drei Jahre Hartnäckigkeit haben sich gelohnt!
Wie gut, dass der Münchner Kösel-Verlag drei Jahre lang hartnäckig geblieben ist und ihn davon überzeugt hat, ein Buch zu schreiben. Ein Buch, mit dem er die Menschen zu erreichen vermag, mit dem er bewegen kann: mutig und mutmachend, glaubhaft und glaubwürdig, wahr und wahrhaftig, begeistert und begeisternd, lebendig und nahe am Leben, nachdenklich und zum Nachdenken anregend, humorvoll und zum Schmunzeln bringend.
„Himmel, Herrgott, Sakrament, wie schön, dass einer den Herrgott, die Menschen und seine Kirche so liebt“, möchte man nach dem Lesen des Buches ausrufen. So weltoffen und aufgeschlossen, so fröhlich und humorvoll, so spirituell und authentisch macht Kirche einfach Freude.
Fazit: Absolute Leseempfehlung für dieses kluge, lebensnahe und engagierte Buch, das – um es in Anlehnung an Pfarrer Schießler zu sagen – „eine besonders kräftige Farbe in diesem bunten Blütenmeer” [13] ist!
Zum Autor:
Rainer Maria Schießler, 1960 geboren und nach Dichter Rainer Maria Rilke benannt, wuchs in München-Laim auf. Erst „alles gebender“ Ministrant, dann Abiturient und Theologiestudent mit einer Diplomarbeit über Arbeiterseelsorge. Nach seiner Priesterweihe 1987 verbrachte er seine ersten Jahre als Priester in Bad Kohlgrub und Rosenheim. Zwei Kaplansjahre auf Giesings Höhen folgten, bevor er 1993 als Stadtpfarrer nach St. Maximilian im Münchner Glockenbachviertel kam und 1995 die Pfarre „per kanonischer Instituierung” übertragen bekan. 2011 übernahm er außerdem auch die Pfarre Heilig Geist am Viktualienmarkt. Daneben arbeitet er auch für „Wir in Bayern“, wo er Stellung nimmt zu Fragen des Glaubens und Zusammenlebens. Daraus entwickelte sich auch eine eigene Talksendung („Pfarrer Schießler – Gäste & Geschichten“), die in unregelmäßigen Abständen vom Bayerischen Rundfunk produziert und ausgestrahlt wird. Heute gilt Schießler als „einer der bekanntesten Kirchenmänner“ Bayerns und wird gerne als „Münchens bekanntester Pfarrer“ bezeichnet.
Schießler ist nicht nur leidenschaftlich gerne Pfarrer und Seelsorger – voller Hingabe und das oft auch auf unkonventionelle Weise - sondern man kann ihn auch am Motorrad oder am Fahrrad durch München zu einer Taufe, Hochzeit oder einer Beerdigung düsen sehen. Er ist vermutlich auch der einzige katholische Pfarrer, der in seinem Urlaub als Bedienung auf dem Münchner Oktoberfest arbeitet und das verdiente Geld für einen wohltätigen Zweck spendet.
Buchtipp:
Rainer Maria Schießler (2016): Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten statt austreten. München: Kösel-Verlag. 256 Seiten. ISBN: 978-3-46637-147-1.
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Anmerkungen:
[1] Schießler, Rainer Maria (2016): Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten stat austreten. München: Kösel-Verlag. S. 7f.