GRUNDmelodie
Melodie unseres Lebens
Die Welt ist übervoll von sound, aber immer weniger Menschen singen. Was Kirchenchöre machen, ist gegen den Trend. Sie sind wichtige Biotope des Gesangs, denn Singen ist gut für uns Menschen und unverzichtbar für den Glauben.
Singen ist gut:
Denn wir üben dabei das Atmen; und im Atemrhythmus spielt sich der Grundvorgang des Lebens ein. Beim Abspannen des Zwerchfells fällt uns immer neu Atem ein, und zwar im Loslassen und Sich-Öffnen, nicht durch „Luft holen“; im langsam strömenden Abgeben bringt der Odem uns dann zum Klingen. Unbewusst spüren wir dabei, dass alles Leben Geschenk ist.
Singen tut gut:
Denn es ist die Sprache des Herzens und öffnet die Seele. Singen löst und drückt Gefühle aus. Im Jubellied oder Klageschrei nehmen sie musikalische Form an, sie verwandeln sich. Aus meiner Freude ist etwas Größeres, aus meinem Schmerz etwas Schönes geworden. Singend kann ich ganz bei mir sein und zugleich über mich hinaus gehen. Wir spüren Lösung beim Singen, wir kosten den Geschmack von Erlösung.
Im Singen üben wir spielend Zusammen-Leben:
Was wir beim Chorsingen intuitiv tun, ist einstimmen, sich abstimmen, aufeinander hören; ein Training sozialer Schlüsselqualifikationen. Spielerisch üben wir Haltungen, die zum Du und zum Wir aufschließen. Wir ringen miteinander um das gemeinsame Werk als ein alle verbindendes Ziel; das meint ja Konzertieren. Daraus entsteht ein Klangbild des Lebens, wie es so spielt in Dissonanz und Konsonanz, mit Spannungen, Konflikten und Lösungen. Und es zählt jede Stimme, weil sie eine unverwechselbare Klangfarbe in das Ganze einbringt.
Singen gibt Durchblicke:
Denn beim Singen gehen wir spielend mit der Zeit um. Wir retardieren und accelerieren ihr Fließen; wir erleben sie im Verklingen als Vergangenheit, im Erklingen als Gegenwart und im Erwarten des folgenden Klanges als Zukunft. Und wenn wir mit jedem Schlussakkord auch die Endlichkeit berühren, wenn das Aufhören uns Aufhorchen lässt, haben wir musikalisch jedes Ende als Vollendung verspürt.
Singen spielt in und mit der Zeit:
Im spielerischen Darstellen der Zeit treten wir ein Stück aus ihr heraus, überschreiten sie, greifen aus auf Zukunft. Wir sind in der Musik ganz da und gleichzeitig ganz weg – verzaubert von Anklängen des Unerhörten.
Singen ist gut:
Zum Singen anstiften und anleiten, das muss bildungspolitisch als „Kulturtechnik” ernst genommen werden. Die Kirche und ihre Chöre sind wertvolle Biotope des Gesangs. Denn wir Christen haben einen dreifachen Grund zum Singen, der in uns selbst wohnt. Die Israeliten haben ihn nach erfahrener Rettung aus dem Sklavenhaus Ägypten bündig so formuliert: „Der Herr ist mein Lied.”
Das bedeutet in dreifacher Sinnrichtung: Ich singe von ihm, ich singe zu ihm und ich singe durch ihn. Sein Geist in mir stiftet mich begeisternd dazu an.
Das wünsche ich allen Chorsängerinnen und Chorsängern: Dass die Freude an Gott sie beflügelt, gut, beherzt und begeisternd zu singen von ihm, zu ihm und durch ihn, der die Melodie unseres Lebens ist.
(Markus Eham)
Quellenangabe:
Eham, Markus (2003): Grußwort zum 125-jährigen Jubiläum des Diözesan-Cäcilien-Verbandes der Erzdiözese Freiburg, 12. Oktober 2003 im Freiburger Münster.