GRUNDgedanke
Volker Tesar. Wir haben uns auf die Spuren des unterfränkischen Autors begeben und ihn im Interview nach seinen Texten, seinen Inspirationen, seinem Bild als Autor und seiner Spiritualität befragt. Denn jüngst ist im Vier-Türme-Verlag unter dem Titel "Der gütige Meister" ein außergewöhnliches und feinsinniges Buch mit Weisheitsgeschichten des Autors erschienen. Und diesen Geschichtenband stellen wir natürlich im Buchtipp genauer vor.
Das Interview:
Warum betrachten Sie die "Der gütige Meister" als Ihr wichtigstes Buch?
Das Buch ist eine Zusammenfassung meiner geistigen, seelischen und spirituell-philosophischen Entwicklung der letzten fünf Jahre. Es gibt in Puzzlestücken Antworten auf meine kleinen und großen Fragen an das Leben. Diese Antworten führen immer wieder zu neuen Fragen und in den Fragen zu meinen Begegnungen mit dem Leben und den Menschen. Schön ist für mich, dass ich Worte gefunden habe, die aus großer Spontaneität die Tastatur meines PCs gefunden haben. Weisheit ist wie die unendliche Ausdehnung des Raumes. Nebeneinander sind viele möglich.
Ende 2016 ist Ihr erster Roman "Die drei Medaillons" erschienen – was dürfen sich die Leser von diesem Buch erwarten?
In Prosa erzähle ich hier die Geschichte einer Verwandlung. Entstanden ist das Buch, als meine Tochter Sophia vier Jahre alt war. Ich wollte ihr anfangs vermitteln, wie das mit dem Osterhasen so ist. Daraus wurde eine Fortsetzungsgeschichte, die sich darauf konzentriert, dass die menschliche Entwicklung ihre Reife nur dann erfährt, wenn ich selbst meine Entwicklung annehme. Ich habe damals einfach darauf losgeschrieben. Die Figuren purzelten in mein Bewusstsein und ich erkannte sogar alte Bekannte. So ist Schreiben aus sich heraus.
Kreatives Schreiben führt für Sie zu kreativen Begegnungen. Wie beschreiben Sie kreative Begegnungen?
Menschen treffen sich. Sie öden sich an, langweilen sich mit alten Geschichten, hundertmal erzählten Geschichten mit dem Schwerpunkt auf Negativem. Kreative Begegnungen fördern den gegenseitigen Austausch. In diesem Austausch entsteht eine neue Schöpfung, vielleicht sogar eine neue Kreatur Mensch. Das willkommen zu heißen, ist uns fremd und unangenehm. Ich kenne nichts Schöneres.
Hat Sie Ihre Beschäftigung mit Theologie, Philosophie und Sozialarbeit zu dem Buch "Der gütige Meister" inspiriert?
Die Inspiration kommt aus dem Leben. Dass dieses geprägt ist von Wissen, das aus Büchern der Philosophie und Theologie, ob christlich, jüdisch, islamisch, buddhistisch oder aus dem Zen bei mir seinen Einzug gefunden hat, ist die Folge von konsequentem Weiterdenken für die heutige Zeit und Situation. Jede dieser kleinen Geschichten hat eine eigene Ursprungsgeschichte. Die Philosophie, die Beschäftigung auch mit Quantenphysik und den anderen Weltreligionen als Saat in meiner hungrigen Seele ist in diesem Buch aufgegangen.
Schlägt ihr Herz mehr für die Prosa oder mehr für die Lyrik?
Ich schätze beide Formen. Mit beiden Formen kann ich mich ausdrücken. Dr. Jürgen Lenzen, Domkapitular in Würzburg sagte einmal zu meiner Lyrik: "Ein Roman braucht eine Weile, bis er dem Menschen das vermittelt, was sein tiefer Sinn ist. Ein Gedicht, Ihre Gedichte, schaffen das in acht Zeilen."
Sie sind mit 27 Jahren erblindet. Wie gingen Sie mit dieser alles verändernden Situation um? Und wie geht es Ihnen heute damit?
Tja, das, mein Leben hat immer ein paar Überraschungen für mich parat. Meine Erblindung war ein entscheidender Einschnitt in mein Leben. Alles musste neu organisiert und gestaltet werden. Oft hatte ich dazu keine Lust. Der Blick nach innen allerdings wurde geschärft und nach und nach stellte sich auch das Bedürfnis ein, die Welt ein wenig anders zu sehen. Ich denke aber, das wäre ein abendfüllendes Programm, darüber zu reden.
Spielt die Tatsache, dass Sie erblindet sind, in Ihren Büchern eine Rolle? "Erleben" Sie intensiver? "Sehen" Sie anders? "Hören" Sie genauer hin? "Fühlen" Sie feiner? "Spüren" Sie das Leben deutlicher?
Klar, alles ist anders, aber es gibt keinen Grund, das zu glorifizieren. Blindsein ist eine Menge Arbeit mit dem Ziel, wieder sehend in der Welt zu landen.
Sie sind ein Autor, bei dem man seine Spiritualität spürt: Was bedeutet Ihnen Spiritualität? Und wie würden Sie diese beschreiben?
Der Mensch hat fünf Sinne: Hören, Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken. Der sechste Sinn ist seine Spiritualität. Das ist die Verbindung zur Welt dessen, der mich unbedingt angeht (Paul Tillich). Spiritualität ist eine Kleinigkeit, ist aber auch die einzige Möglichkeit, die Welt vor einem Desaster zu bewahren.
Wenn Sie sich als Autor mit fünf Eigenschaftswörtern beschreiben würden – welche wären das?
Sinnlich, einfühlsam, kreativ, phantasievoll, liebevoll!
Wie darf man sich Sie als Schreibenden vorstellen? Was inspiriert Sie zum Schreiben? Und in welcher Umgebung schreiben Sie?
Ich schreibe, wo mich mein Geist einholt. Das kann in unserem Garten, in meiner Küche oder einfach in meinem Büro sein. Mein Schreiben ist unabhängig von seinen Orten. In mir entsteht ein Gedanke und dann …
Der Autor:
Volker Tesar wurde 1959 in Kahl am Main (Unterfranken) geboren. Einer turbulenten Schulzeit, einem Abitur mit einem Sehrest von rund fünf Prozent, einem abgebrochenen fast vollendeten Theologiestudium sowie einer intensiven Beschäftigung mit Philosophie folgte schließlich die Hinwendung zur Sozialarbeit. Dieses Studium schloss er 1989 mit einem Diplom ab, bevor er als Lehrer in der Erwachsenenbildung tätig war. Als Tesar im selben Jahr gänzlich erblindete, versanken auch seine Vorstellungen von Farben und Formen in der Dunkelheit, die er versuchte, durch das Schreiben wieder in seinen Alltag zu holen: "Manchmal stolperte ich über die Frage 'Wie sieht das denn eigentlich aus?'. Manchmal war dieses Darüberstolpern eher ein Darüberspringen, denn ich wollte von diesem Verlust nicht mehr berührt werden. Eines Tages wurde mir bewusst, dass ich ja noch träume und dass diese Träume Farben und Formen haben. Ich habe versucht, diese Erfahrungen festzuhalten, und schrieb so manches auf. Ich wollte schreiben, um zu verstehen und um eine neue Ausdrucksform zu finden, in der ich meine innere – sehr optische – Welt darstelle." Seit 2013 arbeitet er als Autor und Publizist. 2013 erschien sein erster Lyrikband "Lebensfunken", 2014 folgte der Lyrikband "Sternfunken", die beide erahnen lassen, wie bunt und erfahrungsreich Tesars Welt ist und gleichzeitig ermutigen, sich auf die Suche nach den eigenen Stern- und Lebensfunken zu machen. Mit "Die drei Medaillons" (2016) und "Der gütige Meister. Weisheitsgeschichten" (2017) erschienen jüngst nun auch seine ersten Prosawerke. Spiritualität spielt für ihn als Autor dabei eine wesentliche Rolle. Seit 2010 beschäftigt er sich mit Reiki, inzwischen arbeitet er auch als Reiki-Meister-Lehrer. Tesar lebt mit seiner Frau, der Künstlerin Maja S. Issing, der auch das Buch "Der gütige Meister. Weisheitsgeschichten" gewidmet ist, in Würzburg. Als Bezirksgruppenleiter des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes für Würzburg-Unterfranken engagiert sich Tesar für ein selbstbestimmtes Leben von blinden und sehbehinderten Menschen.
Der Buchtipp:
Zu Beginn des Jahres 2017 erschien im Vier-Türme-Verlag Volker Tesars neuestes Buch: "Der gütige Meister". Seine Weisheitsgeschichten zeugen von Tiefsinn und Liebe, von Weisheit und Klugheit, von Wahrheit und Klarheit, von Güte und Demut. Nicht umsonst erklärt Tesar: "Die Inspiration kommt aus dem Leben." Und genau das spüren die Leserinnen und Leser dieses Buches.
Tesars Buch erzählt von einem besonderen Verhältnis zwischen einem Meister und seinem Schüler. Der Schüler stellt dem Meister in 34 Geschichten die großen (und kleineren) Fragen des Lebens. Eine nie versiegende Quelle an Fragen scheint es zu sein, denn Antworten und Erkenntnisse führen zu neuen Fragen. Tesar lädt mit seinem Buch dazu ein, innezuhalten, uns zu öffnen und den Weg zu uns selbst einzuschlagen. Was für eine Reise in unser Innerstes! Denn wenn wir genau hinsehen, verbirgt sich tief in uns oft schon der Meister. Vielleicht ein Meister wie Tesars Großvater, den sich der Autor zum Vorbild als "Herzensmeister" genommen hat – mit diesen Geschichten kann man sich diese Parallele gut vorstellen: "Weise wie er wollte ich sein, gütig wie er wollte ich handeln, stark im Willen wie er wollte ich sein, konsequent in der Verbindung von Worten mit meinem Handeln." Und genau so präsentiert sich der Meister im Buch: einer, der erkennt, was nötig ist und dann achtsam und liebevoll handelt.
Dass Tesar selbst einst auch zum "gütigen Meister" werden würde, hat er als junger Mensch vermutlich noch nicht geahnt – und doch: in den Phasen seiner Erblindung hatte er zeitweise nur sich selbst als Spiegel, aus dem ihn hin und wieder ein gütiger Meister anblickte und ihn so mit dem, was ihm da "passierte", versöhnte. Tesars "Weisheitsgeschichten" – gespeist aus verschiedenen philosophischen, psychologischen, theologischen und weltanschaulichen Richtungen, mit denen sich Autor Volker Tesar im Laufe seines Lebens befasst hat – ermutigen zum Leben. Zum Leben in all seinen Facetten, in all seinen Farben, in all seinen Formen.
Tesars Geschichten laden zum Entschleunigen ein. Seine Texte sind nichts für zwischendurch. Denn die Gespräche zwischen Schüler und Meister wirken nach und öffnen immer wieder neue Türen zum Erfahren, zum Erkennen, zum Erleben. Wie sagt der Meister im Buch so schön: "Du bist ein Lernender. Ich bin nicht zuständig für deine Erleuchtung. Ich zeige Dir Wege dorthin. Die Schichten, die Deine innere Quelle bedecken, warten darauf, von Dir weggegraben zu werden." (S. 125) Und genau dabei unterstützt dieses Buch.
Achtsam und offen. Mutmachend und herausfordernd. Einfühlsam und umarmend. Ein philosophisch-tiefsinniges Buch für all jene, die auf der Suche nach sich selbst sind, für jene, die kluge Geschichten lieben, und natürlich für jene, die auf liebevolle Weise über den Sinn des Lebens nachdenken möchten... ein Buch für alle, die gerne den Blick weiten möchten und wie Volker Tesar sagen: "Gern wär ich der Meister, ein bisschen bin ich es schon!"
Wäre dieser wunderbar weise und wunderschön ästhetisch gestaltete Geschichtenband drum nicht ein schönes Geschenk für das Osternest?
Volker Tesar (2017): Der gütige Meister. Weisheitsgeschichten. Münsterschwarzach: Vier-Türme Verlag. 126 Seiten.ISBN: 978-3-73650-058-7.