„Uns ist ein Kind geboren” (HoWV II.13)
Der Komponist: Gottfried August Homilius (1714-1785)
Gottfried August Homilius wurde 1714 im sächsischen Rosenthal als Sohn eines Pastors geboren. Kurz nach der Geburt zog die Familie nach Porschendorf bei Pima, wo Homilius seine ersten Lebensjahre verbrachte.
Nach dem Tod des Vaters wechselte er 1722 an die von seinem Onkel Christian August Freyberg (1684-1743) geleitete Annenschule in Dresden. Seine künstlerische Begabung zeigte sich früh, das beweist u.a. ein überliefertes Glückwunschgedicht des zehnjährigen Knaben, in dem dieser wichtige Hinweise zur Familiengeschichte gab. Spätestens ab 1734 vertrat er Johann Gottfried Stübner als Annenorganist. 1735 begann Homilius ein Jura-Studium an der Universität in Leipzig. In diese Zeit fallen auch seine ersten datierten Kompositionen.
In Leipzig war der Student musikalisch äußerst aktiv, so berichtet beispielsweise Christian Friedrich Schemelli, dass er seine „Fundamenta in der Music bey […] Bach in Leipzig und bey […] damaligem geschickten Musico in Leipzig Homilio gelegt“[1] habe. Außer zu Bach hatte Homilius wohl engeren Kontakt zum Nicolaiorganisten Johann Schneider (1702-1788), dessen Aufgaben Homilius vertretungsweise übernahm.
Nach einer erfolglosen Bewerbung auf die Organistenstelle in St. Petri in Bautzen erhielt er 1742 eine Anstellung als Organist an der Silbermann-Orgel in der Dresdner Frauenkirche – mit einem Fixum von etwa 50 Talern pro Jahr. 1753 bewarb er sich wieder vergeblich um eine Organistenstelle an St. Johannis in Zittau, durch seine musikalische und wissenschaftliche Qualifikation setzte er sich 1755 aber bei der Neubesetzung des Dresdner Kreuzkantorats als Nachfolger von Theodor Christlieb Reinhold (1682-1755) gegen mehrere Mitbewerber durch. Damit hatte er nicht nur als Musikdirektor die Aufsicht über die Musik an den drei Dresdner Hauptkirchen, sondern arbeitete auch als collega quintus im Schuldienst an der Kreuzschule. Das Amt war mit etwa 300 Talern pro Jahr dotiert – damit ähnelte die Stelle dem Leipziger Thomaskantorat. Seine Hauptwirkungsstätte war dabei allerdings nicht die Kreuzkirche, sondern die Frauenkirche – denn die Kreuzkirche wurde 1760 im Siebenjährigen Krieg durch die preußische Artillerie gänzlich zerstört und der Nachfolgebau erst nach Homilius‘ Tod eingeweiht.
Als Kreuzkantor stand Homilius mit den führenden Musikern Deutschlands in engem Kontakt. Organistendienste zählten dabei eigentlich nicht zu seinen Aufgaben, nichtsdestotrotz bezeichnete Johann Friedrich Reichardt ihn als den „größten Organisten“[2], den er je gehört habe und vielleicht je in seinem Leben hören werde. Unter Homilius‘ Schülern finden sich Christian Friedrich Schemelli (1676/78/80-1762), Johann Adam Hiller (1728-1804), Johann Friedrich Reichardt (1752-1814), Christian Gotthilf Tag (1735-1811) und Daniel Gottlob Türk (1750-1813).
Als Komponist und Musiker beschäftigte sich Gottfried August Homilius fast ausschließlich mit Kirchenmusik. Er hat ein umfangreiches Oeuvre hinterlassen: Nach derzeitigem Kenntnisstand sind über 60 Motetten, 180 Kirchenkantaten, ein Oster- und ein Weihnachtsoratorium, mindestens neun Passionsmusiken, vier unbegleitete Magnificat-Vertonungen, zwei umfangreiche Sammlungen mit Choralsätzen, zahlreiche Orgel-Choralvorspiele sowie eine Generalbassschule erhalten.
Homilius‘ Kompositionen waren zu seiner Zeit sehr beliebt, weit verbreitet und äußerst geschätzt: Sowohl Johann Friedrich Reichardt als auch Lexikograph Ernst Ludwig Gerber bezeichneten ihn als „besten“ bzw. „größten Kirchenkomponisten“[3]. Selbst im 19. Jahrhundert konstatierte der Züricher Komponist und Musikgelehrte Hans Georg Nägeli: „Er aber, Homilius, war der erste, der dem deutschen Wort in seinen Chören die Kraft zu geben vermochte, die den Chor zu einem noch weit geistigerem Kunstprodukt erhebt, als selbst die J.S. Bach’sche Fugenkunst für sich allein vermag. Auch in seinen Fugen ist das Wort vorzüglich gut behandelt; in seinen nichtfugierten Chören aber tritt es noch bedeutender hervor.“[4]
1784 erlitt Homilius einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Seine Stelle als Kreuzkantor behielt er dennoch bis zu seinem Tod 1785 inne.
Das Werk: „Uns ist ein Kind geboren” (HoWV II.13, 1765)
Der Text der Kantate „Uns ist ein Kind geboren“ thematisiert die Erfüllung der Prophezeiung in der Geburt Christi. Die Chorsätze am Anfang und am Ende basieren dabei auf biblischen Texten: Der Eingangschor („Uns ist ein Kind geboren“) bezieht sich auf eine der bekanntesten alttestamentarischen Ankündigungen Christi aus dem Buch Jesaja (Jes 9,5), der abschließende Chorsatz („Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis“) folgt einem Abschnitt aus dem Timotheus-Brief über das Geheimnis des Glaubens (1 Tim 3,16). Der Textdichter der Binnensätze ist nicht bekannt. Im Tenor-Rezitativ „Nun ist die Zeit erfüllet“ wird erneut von den verschiedenen Prophezeiungen berichtet und auf deren Erfüllung verwiesen. Der Text der Sopran-Arie „Wie herrlich lenkt, o Herr der Zeiten“ richtet den Blick anschließend auf die Wundermacht Gottes, der sich alles unterordnet. Daraufhin fährt das zweite Rezitativ – interpretiert vom Bass – fort: „Ja, selbst die ewigen Gesetze der Natur sind deiner Weisheit untertan“.
Die Kantate folgt dabei einer symmetrischen Form: In die beiden Chöre als Ecksätze sowie die beiden Rezitative ist die zentrale Da-capo-Arie mit einem von virtuosen Passagen über das Wort „herrlich“ bestimmten A-Teil und einem ganz schlichten, lyrischen B-Teil eingebettet. Der Schlusschor beginnt als homophoner Chorsatz, bevor sich ab den Worten „Gott ist offenbaret im Fleisch“ ein Fugato mit eigenständigem instrumentalem Themeneinsatz anschließt, das in ein Finale mit prachtvollen Tutti-Akkorden mündet.
Die Kantate ist in den meisten Handschriften dem ersten Weihnachtsfeiertag zugewiesen, in manchen Quellen ist aber auch Weihnachten oder der zweite Weihnachtsfeiertag als Aufführungstag vermerkt. Von Homilius‘ Kantate zum Weihnachtsfest existieren in Summe dreizehn Abschriften, u.a. aus Augustusburg, Breslau, Gotha, Güstrow, Libau (Lettland), Kempten, Schmiedeberg (Polen), Walthershausen, Weißenfels und Zürich. Die Abschriften aus Libau und Weißenfels weisen sehr auffällige Gemeinsamkeiten auf. Auch wenn es sich um unterschiedliche Kopisten handelt, stimmen die Abschriften fast exakt überein – sie entsprechen sich sowohl in allen Zeilen- und Seitenwechseln als auch bei Korrekturen. Wahrscheinlich ist demnach, dass beide Kopisten aus dem leider verschollenen Autograph abgeschrieben haben und die Gemeinsamkeiten auf diese Vorlage zurückgehen. Es existieren sogar augenscheinliche Angleichungen der Schreiber an die Schrift des Komponisten (auffällig sind insbesondere die Viertelpause und die Notenschlüssel) – bei jener in Libau nur an wenigen Stellen, bei jener in Weißenfels deutlich ausgeprägt. Gemeinsam ist den beiden Abschriften auch, dass sie keinen Komponisten nennen, Homilius‘ Urheberschaft ist dafür aber durch alle anderen Handschriften belegt.
Vollendet wurde die Kantate vermutlich am 16. November 1765, wie die Abschrift aus dem Besitz der Kantorei Weißenfels zeigt, denn diese enthält neben dem Kopierdatum („descr[iptum = abgeschrieben]. 1778“) auch noch dieses Datum am Ende der Handschrift. Und da Homilius am Ende eines Autographs immer ein Datum vermerkte, ist dieses Kompositionsdatum wohl glaubwürdig.
1. Coro |
Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter. Und er heißet: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, ewig Vater, Friedefürst. |
2. Recitativo (Tenore) |
Nun ist die Zeit erfüllet, die Gottes weiser Rat zum Heil der Welt bestimmt hat. Nun ist der Vaterwunsch gestillet, was fehlet noch, dass ich an diesem Wunderkinde nicht alles finde, was von des höchsten Gnad und Wahrheit deutlich zeugt? Verwegne Spötter, schweigt! Zeit, Ort und alles traf hier ein, das Zepter ist von Juda längst entwandt, das ganze Land horcht jetzt römischen Gesetzen, man kommt und lässt sich willig schätzen, und diese Schätzung zeuget klar, dass dieses Kind ein Zweig aus Davids Stamme war. Ist Bethlehem gering und klein, so ist sie doch die Stadt, die Micha längst zuvor benennet hat. |
3. Aria (Soprano) |
Wie herrlich lenkt, o Herr der Zeiten, dein Ratschluss die Begebenheiten, zur Absicht deiner Wundermacht! Zeit, Ort und alles muss uns dienen, wenn deines Volkes Heil soll grünen, du schaffest, was kein Mensch gedacht. |
4. Recitativo (Basso) |
Ja, selbst die ewigen Gesetze der Natur sind deiner Weisheit untertan. Du sprichst, du winkest nur, so trifft man wirklich an, was alle Einsicht übersteiget. Durch deiner Gottheit Kraft muss eine Jungfrau schwanger werden, und sie gebiert das Heil der Erden, und sie gebieret deinen Sohn, das wesentliche Wort, das alles trägt und schafft, den Sohn, den du im Anfang schon aus deinem Wesen selbst gezeuget. |
5. Coro |
Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist offenbaret im Fleisch. |
Anmerkungen:
[1] Schulze, Hans-Joachim (1984): Bach-Dokumente, Band III: Dokumente zum Nachwirken Johann Sebastian Bachs 1750-1800. Leipzig / Kassel: Bärenreiter. S. 115 (Dokument 686).
[2] Reichardt, Johann Friedrich (1776): Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend. An seine Freunde geschrieben vin Johann Friedrich Reichardt. 2. Theil. Frankfurt an der Oder und Breslau: o.A. S. 109f.
Reichardt, Johann Friedrich (1776): Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend. An seine Freunde geschrieben vin Johann Friedrich Reichardt. 2. Theil. Frankfurt an der Oder und Breslau: o.A. S. 109f.
Gerber, Ernst Ludwig Gerber (1790): Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler, welches Nachrichten von dem Leben und Werken musikalischer Schriftsteller, berühmter Componisten, Sänger, Meister auf Instrumenten, Dilettanten, Orgel- und Instrumentenmacher, enthält. Erster Theil: A-M, Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Sp. 665.
[4] Nägeli, Hans Georg (1826): Vorlesungen über Musik, mit Berücksichtigung der Dilettanten. Stuttgart / Tübingen: J.G. Cotta. S. 232.
Quellenangabe:
Leisinger, Ulrich / Wolf, Uwe: Homilius, Gottfried August. In: Finscher, Ludwig (Hrsg.) (2000): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Personenteil Him-Kel, Band 9. Kassel / Stuttgart: Bärenreiter / Metzler. Spalte 290-299.
Wolf, Uwe: Vorwort. In: Wolf, Uwe (2011) (Hrsg.): Gottfried August Homilius: Uns ist ein Kind geboren, HoWV II.13. Leinfelden-Echterdingen: Carus Verlag. S. 3-4.
Bild:
Gottfried August Homilius, Portrait von Christian Ludwig Seehas (Link zum Bild: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8421041v / Gallica Digital Library: ID btv1b8421041v). © Gallica Digital Library