„Lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht?“
Beethoven und die Kirchenmusik
Ludwig van Beethoven (1770-1827) wandte sich erst spät der Kirchenmusik zu, obwohl er bereits in seiner Bonner Zeit als Organist an verschiedenen Kirchen tätig war und später als Organist am kurfürstlichen Hof seinen Dienst versah. In Wien studierte er ab 1794 Kontrapunkt bei dem Kirchenmusiker Johann Georg Albrechtsberger.
Beethovens kirchenmusikalisches Werk ist mit nur zwei Messen nicht besonders umfangreich. Bei beiden Messen – der Messe in C, op. 86 (1807), und der Missa solemnis in D, op. 123 (1819-1823) – handelt es sich zwar um Auftragswerke, die Werke entsprangen aber durchaus eigenen künstlerischen Interessen Beethovens. Skizzen zu Messkompositionen hatte Beethoven bereits 1803, vier Jahre vor der Entstehung der Messe in C, angefertigt. Religion besaß für Beethoven grundsätzlich große Bedeutung, darum können die beiden Messen auch als persönliche Glaubensbekenntnisse betrachtet werden.
Entstehung der Messe in C
Ludwig van Beethoven erhielt von dem musikliebenden Fürst Nikolaus II. von Esterházy (1765-1833) den Auftrag, für den Namenstag von dessen Frau Fürstin Maria Josepha Hermenegild von Liechtenstein am 8. September 1807 eine Festmesse zu komponieren.
Am Fürstenhof in Eisenstadt hatten Auftragskompositionen für Messen zum Namenstag der Fürstin zu Mariä Geburt bereits Tradition, so hatte Joseph Hadyn (1732-1809) von 1796 bis 1802 sechs Messen zu diesem Anlass (Missa in tempore belli, Paukenmesse, 1796/1797, Hob. XXII:9 / Missa Sancti Bernardi de Offida, Heiligmesse, 1796, Hob. XXII:10 / Missa in angustiis, Nelsonmesse, 1798, Hob. XXII:11 / Theresienmesse, 1799, Hob. XXII:12 / Schöpfungsmesse, 1801, Hob. XXII: 13 / Harmoniemesse,1802, Hob. XXI:14) komponiert. Inzwischen fühlte sich Haydn jedoch zu alt für so große Aufträge, sodass Fürst Esterházy mit der Komposition den jungen, aufstrebenden Beethoven beauftragte.
Wahrscheinlich begann Beethoven mit dem Credo der Messe in C im Winter 1806/1807. Nach einer längeren Pause setzte er seine Komposition in der richtigen Reihenfolge der Messteile bei einem Sommeraufenthalt in Baden im Juli 1807 fort. Ende August 1807 stellte er die Partitur fertig.
Ursprünglich hätte die Messe schon Ende Juli fertiggestellt sein sollen – in einem Brief aus Baden vom 26. Juli 1807 an den Fürsten Esterházy erklärte er, dass „eine Kopfkrankheit, welche mir anfangs gar nicht und später selbst jetzt noch mir wenig zu arbeiten erlaubte“[1] und einige andere Dinge „die Verfertigung der Messe [verzögerten]“[2]. Er bemerkte in diesem Brief auch: „darf ich noch sagen, daß ich ihnen mit viel Furcht die Messe übergeben werde, da sie D. F. gewohnt sind, die Unnachamlichen Meisterstücke des Großen Haiidns sich vortragen zu laßen“[3].
Ausführliche Entwürfe des Werks sind in einem handgefertigten Skizzenbuch überliefert. Dieses Buch zeigt auch, dass er während der Kreation seiner ersten Messe Kompositionen von Joseph Haydn studierte. Denn darin finden sich Skizzen zum Gloria seines Opus 86, in denen er zwei Passagen aus Haydns Schöpfungsmesse von 1801 zitiert, wie die beiden Musikwissenschaftler Jeremiah W. McGrann und Alan Tyson in den 1990er-Jahren unabhängig voneinander entdeckten.
Uraufführung der Messe in C
Vermutlich hielt sich Beethoven von 10. bis 16. September 1807 in Eisenstadt auf. Sein Eisenstädter Aufenthalt wurde für ihn jedoch zu einer einzigen Katastrophe: zum einen war Beethoven dort nicht gerade standesgemäß untergebracht, zum anderen gestaltete sich die Probenarbeit durch fehlerhafte Aufführungsmaterialien äußerst mühsam. Und schließlich fiel Beethovens Komposition bei der Uraufführung am 13. September 1807 in der Bergkirche in Eisenstadt auch noch durch. Dort löste sie allgemeines Befremden unter den Zuhörern lokaler wie auswärtiger Herkunft aus. Beim Fürstenhaus, das großen Gefallen an den fröhlich-frommen, in sich ruhenden Messen Haydns gefunden hatte, stieß Beethovens Messe auf wenig Begeisterung: mit so revolutionären Ideen konnte der alteuropäische Hochadel wenig anfangen. Fürst Nikolaus soll angeblich zu ihm nach dem Gottesdienst gesagt haben: „Aber, lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht?“
Ob diese Begebenheit stimmt oder nicht – dass Fürst Esterházy in der Tat wenig von Beethovens Komposition hielt, zeigt sein Brief an Gräfin Henriette Zielinska: „La messe de Beethoven est insuportablement ridicule et detestable, je ne suis pas convaincu qu’elle puisse même paroitre honêtement: j’en suis colerè [sic] et honteux.“ (Übersetzung: „Beethovens Messe ist unerträglich lächerlich und hässlich, ich bin nicht davon überzeugt, dass man sie ernst nehmen kann. Ich bin verärgert und beschämt.“)[4]
Am 22. Dezember 1808 wurde die Messe in C dann erstmals konzertant im Theater an der Wien aufgeführt, wo ihr ebenfalls nur wenig Beifall beschieden war. Erst eine Aufführung in Grätz/Troppau bei der Fürstenfamilie Lichnowsky am 18. September 1811 sorgte für einen Erfolg der Messe. Darauf folgten mehrere Aufführungen der Messe, die nun Gefallen fanden. So konnte man 1815 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung lesen: „Auch in diesem Gebiete glänzt Beethoven als ein Stern erster Grösse.“[5] Nach einer Aufführung 1817 resümierte das Medium: „Giebt man auf, was Jahrhunderte hindurch als Kirchenstyl anerkannt wurde: so muss man mehre [sic!] Sätze dieses Werks, besonders vom Credo an, hoch preisen.“ [6]
Charakter der Messe in C
Das in der traditionellen Festtonart C-Dur komponierte Werk gliedert sich in sechs Teile: Kyrie – Gloria (Qui tollis – Quoniam) – Credo – Sanctus (Benedictus – Osanna) – Agnus Dei (Dona nobis pacem). Die sechs Sätze sind in sich geschlossen und verzichten auf Arien, selbst das Tenor-Arioso im Credo umfasst nur wenige Takte.
Beethovens Messe in C gilt mit ihrer subjektiv-bekenntnishaften Tonsprache als modernes und zukunftsweisendes Werk, das für die Weiterentwicklung der Messkompositionen im 19. Jahrhundert bedeutsame Impulse gegeben und neue Maßstäbe gesetzt hat. Die Messe in C steht für Bekenntnisfreude, entschiedene Stimmungswechsel, ein ausgeprägtes Wort-Ton-Verhältnis (diese musikalische Individualisierung intensiviert den Ausdrucksgehalt) sowie deutliche Inhaltsnuancen. Sie ist gekennzeichnet durch ausgeprägte Dynamik, Dramatik, Farbe und Kontrast.
Beethoven selbst war sich dieser Neu- und Andersartigkeit bewusst und schätzte seine Messkomposition sehr – er schrieb am 8. Juli 1808 an den Verlag Breitkopf & Härtel: „Von mir selbst sage ich nicht gerne etwas, jedoch glaube ich, daß ich den text behandelt habe, wie er noch wenig behandelt worden.“[7] Mit seiner Herangehensweise, jedes einzelne Wort des lateinischen Textes inhaltlich genau zu erfassen und durch Vertonung auszudeuten, erschloss er dem liturgischen Text neue Ausdruckswelten. Ihre Neuartigkeit schuf gleichzeitig einen neuen Zugang zum Glauben: frommes Lauschen wich aktivem Zuhören.
Das mit der Tempoangabe „Andante con moto assai vivace quasi Allegretto ma non troppo“ überschriebene Kyrie beginnt lyrisch-verinnerlicht. Die Chorbässe heben a cappella mit dem flehentlichen Bittgesang um Erbarmen an. Formal gesehen wird ein Bogen gespannt vom Kyrie bis zu den Schlusstakten im Agnus Dei, die die Anfangsmusik des Kyrie wiederaufnehmen.
Scharfe dynamische Kontraste und dramatische Steigerungen auf engstem Raum prägen das Werk. Von besonders erfinderischer Charakteristik ist die Tonartenstruktur bzw. die Tonleiternreichweite (Qui tollis in f-Moll, Benedictus in F-Dur, Hosanna in A-Dur, Agnus Dei in c-moll).
Gewagte harmonische Verläufe auf engstem Raum unterstützen Beethovens Textausdeutung und steigern den Ausdruck. So bewegen sich die Harmonien im Amen des Gloria von C-Dur den Quintenzirkel abwärts bis hin zu Ges-Dur, bevor ein G-Dur-Sekundakkord zurück nach C-Dur führt. Dem gegenüber steht die innig-lyrische Klangwelt des Benedictus, die fast an Haydn erinnert.
Publikation der Messe in C
Etwa ein Jahr nach der Uraufführung (Juni/Juli 1808) nahm Beethoven Verhandlungen über eine Veröffentlichung der Messe auf. Mit verschiedenen Instrumentalwerken bot er sie dem Verlag Breitkopf & Härtel an, der zunächst erklärte, dass das Publikum derzeit nicht nach „Kirchen-Sachen“[8] frage. Knapp ein Jahr später (April 1809) versuchte es Beethoven erneut mit der Messe in C, der Oper „Fidelio“ und dem Oratorium „Christus am Ölberge“ – diesmal erfolgreich. Die Stichvorlagen wurden im September 1809 an den Verlag gesandt – die Publikation der Messe verzögerte sich jedoch um drei Jahre. Dies hatte unter anderem auch mit Beethovens Wunsch, die Orgelstimme „auf eine andere Art als bisher bey der Messe erscheinen [zu] lassen“[9] – diese voll ausgesetzte Orgelstimme fertigte er jedoch nie an.
Erst kurz vor der Erstausgabe 1812 bestimmte Beethoven den Widmungsempfänger. Die ursprünglich vorgesehene Zueignung an Fürst Esterházy oder seine Frau zog Beethoven zurück. Nach der missglückten Uraufführung waren die Beziehungen zwischen Beethoven und dem Haus Esterházy verständlicherweise stark abgekühlt, sodass Beethoven einen neuen Widmungsträger suchte, den er im Mai 1812 in seinem finanziellen Gönner Ferdinand Johann Nepomuk Fürst Kinsky von Wchinitz und Tettau fand.
Im Herbst 1812 wurde die Partitur mit dem lateinischen und einem zusätzlichen deutschen Text des Theologen Christian Schreiber, der die sechs Messteile zu drei Hymnen (Hymnus 1: Kyrie, Gloria / Hymnus 2: Credo / Hymnus 3: Sanctus, Benedictus, Agnus Dei) zusammenfasste, veröffentlicht. Obwohl Beethoven die deutsche Fassung selbst angeregt hatte, nahm er dazu in einem Brief kritisch Stellung – denn für ihn war die entsprechende musikalische Ausgestaltung des liturgischen Textes von besonderer Bedeutung und diese ging teilweise durch die Übertragung ins Deutsche verloren.
Anmerkungen:
[1] Beethoven, Ludwig van (1807): Nr. 291: Brief vom 26. Juli. In: Brandenburg, Sieghard (BGA, im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn) (Hrsg.) (1996-1998): Ludwig van Beethoven: Briefwechsel. München: G. Henle Verlag. Band 1/7. S. 321-322.
[4] Esterházy, Fürst Nikolaus (1807): Brief an Gräfin Henriette Zielinska. Zit. nach: Harich, Johann: „Beethoven in Eisenstadt“. In: Burgenländische Heimatblätter 21 (1959). S. 179.
[5] Allgemeine musikalische Zeitung Nr. 46 (15. November 1815). S. 776.
[6] Allgemeine musikalische Zeitung Nr. 21 (21. Mai 1817). S. 355.
[7] Beethoven, Ludwig van (1808): Nr. 327: Brief vom 8. Juli 1808. In: Brandenburg, Sieghard (BGA, im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn) (Hrsg.) (1996-1998): Ludwig van Beethoven: Briefwechsel. München: G. Henle Verlag. Band 2/7. S. 14-15.
[8] Beethoven, Ludwig van (1808): Nr. 329: Brief vom 10. Juli 1808. In: Brandenburg, Sieghard (BGA, im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn) (Hrsg.) (1996-1998): Ludwig van Beethoven: Briefwechsel. München: G. Henle Verlag. Band 2/7. S. 16-17.
[9] Beethoven, Ludwig van (1810): Nr. 423: Brief vom 4. Februar 1810. In: Brandenburg, Sieghard (BGA, im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn) (Hrsg.) (1996-1998): Ludwig van Beethoven: Briefwechsel. München: G. Henle Verlag. Band 2/7. S. 105-107.
Quellenangabe:
Herttrich, Ernst: Vorwort. In: Herttrich, Ernst (Hrsg.) (2010): Ludwig van Beethoven: Messe in C, op. 86. Urtext. Leinfelden-Echterdingen: Carus. S. 4-5. (Bestellmöglichkeit)
Hrncirik, Peter (o.A.): Werkbesprechungen: Ludwig van Beethoven (1770-1827): C-Dur Messe. URL: http://www.cappella-ars-musica.at/infos/c-dur-messe.php [Stand: 04/2018]
McGrann, Jeremiah W.: Vorwort. In: McGrann, Jeremiah W. (Hrsg.) (2004): Ludwig van Beethoven: Messe in C, op. 86. Urtext nach der neuen Beethoven-Gesamtausgabe (G. Henle Verlag). Wiesbaden: Breitkopf & Härtel. (Bestellmöglichkeit)
R., J. (o.A.): Ludwig van Beethoven: Messe in C-Dur für vier Solostimmen, Chor und Orchester op. 86 (Digitales Archiv des Beethoven-Hauses Bonn). URL: https://www.beethoven.de/sixcms/detail.php?id=15115&template=werkseite_digitales_archiv_de&_eid=1502&_ug=Messen&_werkid=87&_mid=Werke%20Ludwig%20van%20Beethovens&suchparameter=&_seite=1 [Stand: 04/2018]
Bilder:
Willibrord Joseph Mähler (1778-1860): Porträt des Ludwig van Beethoven, zwischen 1804 und 1805 (Link zum Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Beethoven18045JosephMähler.jpg). © Willibrord Joseph Mähler/wikimedia.commons.org/PD
Albert Christoph Dies (1755-1822): Leopoldinentempel mit Teich, 1807 (Link zum Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Leopoldinentempel_mit_Teich_Albert_Christoph_Dies.jpg). © Albert Christoph Dies/wikimedia.commons.org/PD
Kalvarienberganlage Eisenstadt mit Mariensäule (Link zum Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kalvarienberg_Eisenstadt_Bergkirche.jpg). © Martin Geisler/wikimedia.commons.org/CC BY-SA 4.0 (Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0).
Carl Schloesser: Ludwig van Beethoven beim Arbeiten, etwa 1811 (Link zum Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Beethovenhome.JPG?uselang=de). © Carl Schloesser/wikimedia.commons.org/PD
Josef Kriehuber (1800-1876): Ferdinand Fürst Kinsky (1781-1812) Offizier, Ritter des Maria-Theresien-Ordens (Link zum Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ferdinand_Fürst_Kinsky_Litho.jpg). © Josef Kriehuber/wikimedia.commons.org/PD
Stefanie Petelin