Meine liebste Vorhangstange
Wer kennt nicht die „Sixtinische Madonna“?
(Nein? Dann schnell einen Blick auf die Bilder unten werfen ...)
Liebt nicht jedermann die Putti am unteren Bildrand?
In den Jahren 1512 bis 1513 von Raffael gemalt, kaufte August III. (seines Zeichens Kurfürst von Sachsen und Sohn von August dem Starken) im Jahr 1754 das Gemälde um eine angeblich astronomische Summe. Schon damals war die „Sixtinische Madonna“ dermaßen berühmt, dass Menschen aus ganz Europa nach Dresden pilgerten, um das Bild zu betrachten. Ich selbst durfte es dort in der Gemäldegalerie Alte Meister erleben und zwar in Gesellschaft meines besten Freundes, eines sehr kunstsinnigen Menschen.
Die Impression des Gemäldes macht sprachlos – und das Sujet des Bildes könnte großartiger nicht sein: Durch die Himmelspforte betritt der Heiland auf Marias Arm die Welt – was ja sehr gut zu Weihnachten passt. Papst Sixtus II. und die heilige Barbara dürfen die Szene flankieren, wobei der Heilige Vater höflicherweise seine Tiara abgenommen hat.
Ich persönlich hätte allerdings bis heute nur halb so viel Freude an der „Sixtinischen Madonna“, wenn mich mein Freund damals nicht auf ein Detail hingewiesen hätte: „Schau dir einmal genau die Vorhangstange an. Passt die nicht eher in eine einfache Hütte als zur Himmelspforte?“ Tatsächlich, die wuchtigen Vorhänge sind mit Ringen an einen ärmlichen Zweig montiert, der ihr Gewicht kaum zu halten vermag und sich in der Mitte durchbiegt. Man denkt an ein Provisorium, das der Zimmermann möglichst bald ersetzen sollte. Diese sympathische Vorhangstange nimmt dem Bild ein Stück von seinem Pathos. Und sie führt uns in Gedanken weg von Päpsten und Kurfürsten zu den bescheidenen Anfängen einer großen Geschichte: in einen kleinen Stall in Bethlehem, mit Ochs und Esel.
Ich wünsche euch allen einen friedlichen, besinnlichen Advent – und stabile Vorhangstangen in den eigenen vier Wänden ...