„Stille Nacht, heilige Nacht”
Dass das Lied heute zahlreiche Superlative vom bekanntesten bis zum meistübersetzten Weihnachtslied für sich beanspruchen kann, war damals nicht absehbar.
Mohrs Gedicht als Sehnsucht nach Frieden
Der Text stammt von Joseph Mohr, der 1792 als drittes von vier unehelichen Kindern einer Strickerin und eines Deserteurs in Salzburg das Licht der Welt erblickte. Den Besuch des Gymnasiums ermöglichte ihm ein Vikar am Salzburger Dom, der seine Begabung erkannte. Und so wurde Mohr 1815 zum Priester geweiht. Seine erste Stelle als „Hilfsgeistlicher” führte ihn ins rund 130 Kilometer südöstlich von Salzburg gelegene Mariapfarr im Lungau.
Das Jahr 1816, das als das „Jahr ohne Sommer” in die Geschichte einging, war kein gutes: Ein Vulkanausbruch in Indonesien brachte ungewöhnliche Kälte nach Mitteleuropa, sodass vielerorts die Ernte ausfiel und so Millionen Hunger litten, Zehntausende starben. Die Auswirkungen der Napoleonischen Kriege waren ebenfalls noch deutlich spürbar. Der Wiener Kongress hatte Europa neu geordnet. Ein Teil Salzburgs kam 1816 zu Bayern, der größere Teil zu Österreich. Und so verwundert es nicht, dass in dieser Zeit der Sehnsucht nach Frieden und besseren Zeiten ein Gedicht entstand, das seine Kraft bis heute nicht verloren hat: „Stille Nacht” (ein Autograph verrät: „Text von Joseph Mohr mpia Coadjutor 1816”). In seiner Ursprungsfassung hatte das Lied sechs Strophen – heute werden meist nur noch Strophe 1 bis 3 sowie Strophe 6 aufgeführt.
1. Stille Nacht! Heilige Nacht!
Alles schläft; einsam wacht
Nur das traute heilige Paar.
Holder Knab im lockigten Haar,
Schlafe in himmlischer Ruh!
Schlafe in himmlischer Ruh!
2. Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gottes Sohn! O wie lacht
Lieb´ aus deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund`.
Jesus in deiner Geburt!
Jesus in deiner Geburt!
3. Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höhn
Uns der Gnaden Fülle läßt seh´n
Jesum in Menschengestalt,
Jesum in Menschengestalt
4. Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heut alle Macht
Väterlicher Liebe ergoß
Und als Bruder huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt,
Jesus die Völker der Welt.
5. Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreit,
In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhieß,
Aller Welt Schonung verhieß.
6. Stille Nacht! Heilige Nacht!
Hirten erst kundgemacht
Durch der Engel Alleluja,
Tönt es laut bei Ferne und Nah:
Jesus der Retter ist da!
Jesus der Retter ist da!
Mohrs kränkliche Konstitution ermöglichte ihm bereits 1817 eine Rückkehr in die Nähe seiner Heimat – nämlich nach Oberndorf an der Salzach, direkt an der deutschen Grenze.
Uraufführung mit zwei Solostimmen und Gitarrenbegleitung
Und im Schulhaus von Arnsdorf (Gemeinde Lamprechtshausen) vertonte der Dorflehrer, Kantor und Organist Franz Xaver Gruber im Advent 1818 Mohrs Gedicht – zunächst für „zwei Solostimmen sammt Chor und für eine guitarre-Begleitung”, wie Gruber 1854 in der „Authentischen Veranlassung” erklärte. Um die Motive, weshalb das Lied entstanden ist, ranken sich viele Legenden: von der nicht bespielbaren Orgel in der Kirche ist öfters die Rede. Aber eine gesicherte Erkenntnis existiert nicht.
Uraufgeführt wurde das Lied bei der Christmette am 24. Dezember 1818 in der Schifferkirche St. Nikolaus in Oberndorf. Mohr sang dabei Tenor und übernahm die Begleitung mit der Gitarre, Gruber sang Bass. Bei der Bevölkerung von Oberndorf – vornehmlich Salzachschiffer und Schiffsbauer – soll das Lied „allgemeinen Beifall” gefunden haben. Der Uraufführungsort in Oberndorf wurde von seinem Stadtzentrum in Laufen (heute: Bayern) getrennt und die Salzach wurde zur Staatsgrenze. Die Schifffahrt, die Schiffer, die Schiffbauer blickten unsicheren Zeiten entgegen, bildete doch der Salztransport über Jahrhunderte hinweg die Grundlage für den Wohlstand in Laufen und Oberndorf.
Bereits 1819 verließ Mohr Oberndorf wieder und die Wege der beiden Schöpfer des weltberühmten Liedes trennten sich. Franz Xaver Gruber, der 1787 in der Innviertler Gemeinde Hochburg-Ach als fünftes von sechs Kindern der Leinweber Josef und Maria Gruber geboren wurde, hatte seinem Lied jedoch auch keine besondere bedeutung beigemessen, er bezeichnete es nämlich als „einfache Komposition”.
Siegeszug des Liedes dank Tiroler Orgelbaumeister
Dass das Lied weit über das Salzburgische hinaus Berühmtheit erlangte, soll vor allem Karl Mauracher, einem Orgelbaumeister aus Fügen in Tirol, zu verdanken sein. Bei der Reparatur der Oberdorfer Orgel soll dieser einen Zettel mit Text und Noten gefunden und ihn mit ins Zillertal genommen haben. Tradiert wird weiters, dass das Lied bereits in der Christmette 1819 von den Ur-Rainer-Sängern in der Fügener Kirche gesungen worden sein soll. Dort stießen auch die Geschwister Strasser – von Beruf Handschuhmacher – aus Laimach darauf, die auf der Leipziger Messe nicht nur ihre Erzeugnisse vertrieben, sondern zur Aufbesserung ihrer Einnahmen 1832 auch ein Konzert mit Liedern aus ihrer Heimat gaben. „Stille Nacht” durfte da natürlich nicht fehlen. Das Leipziger Tagblatt erklärte in seinem Nachbericht: „Auch hatten die Sänger dem in diesem Blatte ausgesprochenen Wunsche, das schöne Weihnachtslied: 'Stille Nacht, heilige Nacht' vorzutragen, freundlich entsprochen.” Dass der Wunsch zur Aufführung bereits vorab in der Zeitung zu lesen war, deutet natürlich auf seine Bekanntheit in Leipzig hin.
So breitete sich das Lied langsam, aber sicher in alle Welt aus. Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts war das Lied in Übersee zu hören – dafür sorgten die Rainer-Sänger, die 1839 zu einer Amerikareise aufbrachen und vor der ausgebrannten Trinity Church in New York in Amerika am Weihnachtstag diesen Jahres „Stille Nacht” uraufführten. Zunächst also über Sängerfamilien, später dann über katholische und evangelische Missionare gelangte das Lied schließlich auf alle Kontinente. 2011 wurde das Lied zum nationalen immateriellen UNESCO-Kulturerbe Österreichs erklärt. Und jährlich singen das Lied geschätzte zwei Milliarden Menschen in rund 200 Sprachen zu Weihnachten.
(sp)