"Ich sing dir mein Lied" (GL 867)
Ich singe dir mein Lied – und alles, was ein Lied ausmacht, habe ich von dir, Gott – den Klang, den Schwung, die Tonart, den Rhythmus, die Melodie. Nur eines muss von mir selber kommen – der Resonanzraum, damit dieses von Gott geschenkte Lied überhaupt hörbar wird.
Was bringt in uns etwas zum Schwingen? Ereignisse, Personen, Gedanken, Gebete? Oder kann sich unsere Melodie besser im Schweigen vor Gott entwickeln?
Grundmetrum des Lebens: Ein- und Ausatmen
In unserem vorliegenden Lied ist in der ersten Strophe von „Wachsen und Werden” die Rede. Ganz gleich, auf welcher Wegstrecke meines Lebens ich mich befinde, Gott ist die „Quelle des Lebens”, die mich ermutigt, singend weiterzugehen.
In der zweiten Strophe, wo "von deiner Geschichte, in die du uns mitnimmst" die Rede ist, singen wir ein tröstliches Bekenntnis zur Heilsgeschichte, in die wir mit unserem kleinen Leben hineingestellt sind, ja von Gott – dem Hüter des Lebens – gleichsam an der Hand mitgenommen werden.
Die dritte Strophe spricht von Tonart und Takt, den konkreten Voraussetzungen, in die wir hineingestellt wurden. Das Metrum, der Grundschlag unseres ureigenen Lebensliedes mag sich im Lauf des Lebens verändern. Wir machen die Erfahrung, dass es gut tut, wenn das Metrum eines Liedes dem Herzschlag entspricht, denn dann kann es uns wieder in Einklang bringen mit uns selbst und mit den anderen, mit unseren Erfahrungen und mit Gott.
Auf dem Grundmetrum unseres Lebens steht dann der Rhythmus, der unser ganzes Leben durchzieht. – Im Ein- und im Ausatmen, im Wechsel von Tag und Nacht, im Wandel der Jahreszeiten, – aber auch im Wiederkehren der Festzeiten, der Arbeits- und Ruhephasen und der persönlichen Festtage.
"Nähe, die heil macht", ist uns gewiss...
Wie immer die Tonart oder der Takt sein mag, ob in Dur oder Moll, ob in einem schwingenden 6/8 Takt, im Marschtempo oder manchmal einem schwebenden 3/4-Walzertakt - seine "Nähe, die heil macht", ist uns gewiss.
In der vierten Strophe sind die "Höhen und Tiefen" angesprochen, die uns herausfordern, unsere Lebensgestaltung immer wieder zu überdenken. Vermutlich ist es kein Zufall, dass gerade im Zusammenhang mit Streit und Verletzungen, bei denen wir uns nach schützender liebevoller Zuwendung sehnen, Gott als die "Freundin des Lebens" in einem weiblichen Bild erscheint.
In der fünften Strophe ist nun erneut von Tönen und Klang die Rede. Das in der ersten Strophe genannte "Wachsen und Werden" steigert sich jedoch nun zu einem "Zeichen der Hoffnung auf steinigen Wegen". Weil in diesen steinigen Wegen nun unsere konkrete Lebensgeschichte, unsere Sehnsucht nach Nähe und unsere Verletzungen ihren Platz haben, sehen wir Gott als die "Zukunft des Lebens", nämlich unseres Lebens, an. Ihm singen wir zu Recht unser Lied.
Dynamik des Lebens
Wir müssen unser Leben nicht in einem beständigen Mezzoforte leben, sondern sind eingeladen, die Dynamik wahrzunehmen, die uns geschenkt wird, und die Phrasierungen nicht zu vergessen, die den Aufbau der Musik unterstreichen und uns Gelegenheit zum Atemholen schenken.
Töne allein machen noch keine gute Musik. Erst der Zusammenhang und die Gestaltung, die persönliche Interpretation, das "Leben" eines Textes, das Verinnerlichen der Melodie, das Einsetzen unseres Körpers als Instrument lassen uns im Singen bereits jetzt ansatzweise erfahren, was es bedeuten mag, wenn wir einmal mit unserem Lebenslied – wie es im Hochgebet heißt – "einstimmen in den Gesang der Engel".
Quellenangabe:
Kobale, Sr. Monika: „Ich sing dir mein Lied” (GL 867). In: Österreichische Kirchenmusikkommission: Monatslieder zum Kirchenjahr 2013/2014. URL: www.gotteslob.at/gotteslob/material/article/106554.html [Stand: 06/2014]