Bauen am gemeinsamen Haus – Zwischenbilanz Strukturprozess
Am 18. Jänner 2019 wurde einer breiten diözesanen Öffentlichkeit im Rahmen des Zukunftsprozesses ein Strukturmodell als Diskussionsgrundlage präsentiert. Es geht um die Frage, welche territorialen Strukturen Kirche gegenwärtig und zukünftig braucht, um ihrem pastoralen Auftrag in der Gesellschaft gerecht zu werden. Ein halbes Jahr später wird eine Zwischenbilanz gezogen.
Das im Jänner präsentierte Modell soll dem Wandel in Kirche und Gesellschaft und den daraus resultierenden geänderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Ziel ist es, qualitätsvolle Seelsorge am Ort weiterhin zu gewährleisten und gleichzeitig haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen in ihren Fähigkeiten zu stärken und sie zu entlasten.
Der Kern des Modells
Die derzeitigen Pfarren bleiben auch künftig in Form von Pfarr-Gemeinden als selbstständige Einheiten weiter bestehen und verwirklichen die Grundfunktionen von Kirche (Verkündigung, Liturgie, Caritas, Gemeinschaft) in einer Weise, die den Gegebenheiten vor Ort entspricht. In der übergeordneten Verwaltungseinheit kommt es zu Änderungen. Ausgehend von den bisherigen 39 Dekanaten werden rund 35 Pfarren gebildet, von denen jede aus durchschnittlich 14 Pfarr-Gemeinden besteht.
Das bedeutet: Auch künftig verfügen die Pfarr-Gemeinden über eine eigenständige Vermögensverwaltung und Selbstständigkeit. Geleitet werden die Pfarr-Gemeinden von Seelsorgeteams, denen Priester, hauptamtliche SeelsorgerInnen und ehrenamtlich Engagierte in unterschiedlicher Verantwortung angehören können. Immer wird auch ein Priester zugeordnet sein. Die rund 35 Pfarren werden von einem Pfarrvorstand geleitet, der sich aus dem Pfarrer als Gesamtleiter und zwei weiteren Vorständen für pastorale und wirtschaftliche Angelegenheiten zusammensetzt.
Resonanzen
In einem Interview hat „informiert“ (Ausgabe Juni 2019 der diözesanen MitarbeiterInnen-Zeitschrift) den Themenpaten der „Option zeitgemäße Strukturen“ des diözesanen Zukunftsweges, Generaldechant Dr. Slawomir Dadas, darum gebeten, eine Zwischenbilanz zu ziehen und einen Überblick über den bisherigen Diskussionsprozess zu geben.
Er und die anderen Mitglieder dieser Themengruppe sowie der Diözesanleitung stellten das Modell seit Jänner in mehr als 90 Resonanztreffen in den Dekanaten, den Berufsgruppen, diözesanen Einrichtungen und Pfarren vor und luden zu Rückmeldungen ein.
Nach Dadas’ Wahrnehmung ist die Stimmung derzeit sehr österlich geprägt und schwankt zwischen Trauer und Hoffnung. Trauer, weil in vielen Pfarrgemeinden etwas gewachsen ist und die Menschen befürchten, dass sie sich jetzt davon verabschieden müssen. Hoffnung vor allem deswegen, weil die Menschen sehen, dass sich etwas tut, dass sich etwas bewegt und dass viele mitreden und mitdiskutieren können.
Bei den Resonanztreffen, die es bisher gegeben hat, hing die Stimmung davon ab, wie die Menschen die Situation wahrnehmen. Da gibt es diejenigen, die das Gefühl haben, dass ohnehin alles passen würde, und die sich vielleicht fragen, wozu die Veränderungen gut sein sollen. Auf der anderen Seite gibt es viele, die wissen, dass sich etwas tun muss und dass es gut ist, wenn etwas in Bewegung kommt. Bei den Treffen wurden sogenannte „Stimmungsbilder“ gemacht, wobei klar wurde, dass die Hoffnung gegenüber der totalen Skepsis überwog.
Sehr positiv ist zu bewerten, dass viele Menschen über die Kirche reden, dass ein Prozess in Gang gesetzt wurde, bei dem man merkt, dass sich die Menschen mit der Kirche auseinandersetzen. Und selbst die negativen oder ängstlichen Stimmen machen bewusst, dass es den Menschen wichtig ist, dass es die Kirche
(vor Ort) gibt und dass ihnen die Kirche nicht egal ist.
Überraschungen und Fragezeichen
Kleinere Überraschungen gab es in die eine und in die andere Richtung. Einerseits gibt es Priester, die eher versuchen, ihre Ängste zu beschreiben als das Modell. Slawomir Dadas ortet hier entweder ein Informationsdefizit oder die Angst vor etwas Neuem, das möglicherweise nicht funktioniert. Positiv stimmt ihn vor allem der Gestaltungswille der Ehrenamtlichen.
Ganz neutral kann man feststellen, dass es noch viele größere und kleinere Fragezeichen gibt. Die wohl größte Herausforderung sind die zukünftigen Rollenprofile.
Dadas: „Es wird für die Hauptamtlichen die größte Herausforderung, sich da auf etwas Neues umzustellen, immer in zwei Blickrichtungen zu denken und zu schauen: einerseits auf eine kleine Gemeinde, andererseits auf den größeren Raum; darin soll dann eine eigene Rolle gefunden werden.“
Die Diskussion ist emotionsbehaftet und mit persönlichen Unsicherheiten verbunden. Manche haben das Gefühl, dass ihnen möglicherweise etwas weggenommen wird, was sie sich erarbeitet haben. In der Frage der Verwaltung und der Finanzen, wo man auch die Selbstverantwortung der Gemeinden leben will, gibt es noch mehr größere als kleinere Brocken. Und hier braucht es auch noch Schärfungen im Detail. Beispielsweise tauchte die Frage auf, zu welcher Verwaltungseinheit die Friedhöfe künftig gehören sollten. Oder die Frage der Pfarrgrenzen. Hier reichten die Reaktionen bisher von sehr positiv bis sehr negativ. „Das wird sicher eine der schwierigsten Sachen. Aber wir sind jetzt zwei Schritte weiter, als wir am Anfang waren, und ich hoffe, dass am Ende wirklich ein Entwurf steht, mit dem sich 90 bis 95 % gut identifizieren können“, fasst der Themenpate zusammen.
Die Sorgen der Pfarren
Die jetzigen Pfarren, die dann Pfarr-Gemeinden werden sollen, machen sich vor allem Sorgen um ihre Selbstständigkeit: „Müssen wir etwas machen, was sich die Leute ,dort oben‘ ausdenken?“ Hier kann Dadas beruhigen: „Das ist ja genau das Fundament dieses Modells, dass die Pfarr-Gemeinden selbstständig bleiben sollen. Das wird unterschiedlich zum Ausdruck gebracht.“
Ein Bild zur Verdeutlichung
Slawomir Dadas spricht vom Modell in einem Bild: dem vom gemeinsamen Bauen an einem Haus. Es geht nicht darum, dass jemand ein Zimmer im Auge behält, sondern das ganze Haus soll im Blick sein – in dem Wissen, dass dieses Haus auch in 15 Jahren noch gut dastehen soll, dass es nicht in zehn Jahren zur Bruchbude mutiert, weil alle aus Angst nur zugeschaut haben. Dadas: „Es geht um den mutigen Blick nach vorne in dem Geist ,Kirche weit denken‘. Aber die Strukturen sollte man nur als Rahmen für die Inhalte sehen. Es gibt ja mehrere Themenfelder des Zukunftsweges, damit sollte man sich auseinandersetzen. Den Rahmen, das Haus, muss man erst mit Leben füllen. Und dabei ist es nicht so wichtig, ob es dann zwei Zimmer mehr oder weniger gibt und wer den Schlüssel für welches Zimmer hat. Es sollten alle darin Platz haben, und das Haus sollte so attraktiv sein, dass sich alle daran erfreuen können.“
Vorentscheidung im Herbst
Im Herbst wird eine große Vorentscheidung getroffen. Nachdem alle Resonanzen gesammelt und ausgewertet worden sind (damit ist das Institut für Forschung und Entwicklung der Pädagogischen Hochschule der Diözese betraut), kann ein schon sehr detaillierter Rohentwurf in den Gremien vorgestellt werden. Dort wird man sich noch einmal sehr intensiv damit auseinandersetzen. Nach dem Diözesanforum im November werden dann die letzten Rückmeldungen eingearbeitet. „Dann kann man entscheiden, ob man es mit diesem Modell versuchen will oder etwas anderes entwirft“, so Dadas, der weiß, dass es noch viele
offene Fragen gibt.
Der Artikel von Andreas Fürlinger erschien in der diözesanen MitarbeiterInnen-Zeitschrift "informiert" in der Ausgabe Juni 2019. Bild CC0_1.0 Pixabay.com / PixelAnarchy