Ein Pfad zur inneren Einkehr
Labyrinthe sind mehr als kunstvolle Wege – sie sind Symbole für den spirituellen Weg des Lebens. Seit Jahrtausenden faszinieren sie die Menschheit, von den antiken Kulturen des Mittelmeerraumes bis hin zu modernen spirituellen Zentren. Die uralten Muster bieten nicht nur eine Möglichkeit zur Meditation und Selbstreflexion, sondern dienen auch als Metapher für den komplexen Pfad der persönlichen und spirituellen Entwicklung. Wir haben mit Labyrinth-Bauer Gernot Candolini über das ‚Werkzeug‘ der inneren Einkehr und Erneuerung gesprochen.
Gernot, du bist ein sehr vielseitiger Mensch: Du baust Labyrinthe, bist Seminarleiter, Autor und Schulleiter der Montessori-Schule in Innsbruck. Woher kommt deine Leidenschaft und dein innerer Antrieb?
Ich hatte das Privileg, meinen Träumen und Ideen immer folgen zu können und habe das mit großer Freude gemacht. Labyrinthbauen bedeutet, einen schönen Platz gestalten, etwas Schönes machen. Genauso gerne schreibe ich und versuche Worte zu finden, die inspirieren und anregen. In meinem Herzen bin ich Lehrer, und zum Wichtigsten in meinem Leben gehört dabei, daran mitzuarbeiten, für Kinder eine gute Schulzeit zu gestalten.
Das Symbol des Labyrinths ist für dich ein besonderes Herzensthema. Wo aber kommt es her, dieses Ursymbol? Und was ist die Botschaft des Labyrinths an uns Menschen in der Jetzt-Zeit?
Das Labyrinth ist ein sehr altes Symbol, das in einfacher, aber auch sehr treffender Weise, den Weg des Menschen durch das Leben symbolisiert. Man weiß, dass es im Mittelmeerraum entstanden sein muss, möglicherweise in der minoischen Kultur. Das älteste, nach heutigen Methoden einwandfrei datierbare Labyrinth ist eine Ritzzeichnung auf einer Tontafel, die 2200 vor Christus gebrannt wurde. Also spricht man von 5000 Jahren Gegenwart des Labyrinths. Denn es wurde in all der Zeit nie vergessen, sondern immer wieder neu aktuell verwendet. Menschen sind immer auf der Suche nach der Bedeutung des eigenen Lebens, aber auch generell nach dem, was ‚Mensch sein‘ ausmacht. Das Labyrinth kann hier unterstützend und inspirierend sein. Es ist ein sehr offenes Zeichen, das nichts und niemand festlegt, sondern einen Weg symbolisiert - und den muss bekanntlich jeder für sich selbst gehen.
Labyrinth oder Irrgarten – was ist der Unterschied?
Interessant ist, dass der Irrgarten eine Sonderform des Labyrinths ist, die erst im 16. Jahrhundert entsteht. In den alten Labyrinthen kann man sich nicht verirren, denn sie haben nur einen Weg - ohne Abzweigung und Sackgasse - zur Mitte. Deswegen haben die alten Labyrinthe auch keine Mauern oder Hecken, sondern sind flach.
Ist jedes Labyrinth individuell in seiner Art? Oder gibt es eine gleiche Grundform? Aus welchen Materialien besteht es?
Im Grunde gibt es vier Labyrinthformen: Das klassische, das römische, das gotische und den Irrgarten. In unserer Zeit ist ein neues Interesse an den ursprünglichen Labyrinthformen erwacht. Deswegen werden auch deutlich mehr klassische oder gotische Labyrinthe gebaut - die Irrgärten sind aus der Mode gekommen. Bauen kann man die klassischen Labyrinthe aus allen möglichen Materialien, es muss nur ein deutlicher Unterschied zwischen dem Weg und seiner Begrenzung hergestellt werden. Die grundsätzlichen Formen können immer wieder variiert werden. Wenn ich ein Labyrinth für einen Platz baue, versuche ich deshalb auch immer ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen.
Wann fand die Spiritualität in das Labyrinth? Oder führt uns das Labyrinth erst dorthin?
Es gibt ja den alten griechischen Mythos von Theseus und dem Minotaurus, der im Labyrinth spielt. In dieser Urgeschichte werden schon wesentliche spirituelle Themen abgehandelt. Da geht es darum, was es an Ungeheuerlichem im Leben gibt und wann Heldentum gefragt ist, und wozu man im Leben einen Faden braucht. In der Geschichte werden auch spannende Mann/Frau Themen angesprochen und ich mag es, solche Geschichten zu deuten und ihren spirituellen Aussagen auf die Spur zu kommen. Jede Interpretation ist natürlich auch individuell anders, aber es kann sehr inspirierend sein, sich darüber auszutauschen.
„Das Labyrinth ist ein sehr offenes Zeichen, das nichts und niemand festlegt, sondern einen Weg symbolisiert - und den muss bekanntlich jeder selbst gehen.“ Gernot Candolini
Wann und wo ist dein erstes Labyrinth entstanden? Und wie viele hast du seitdem bauen dürfen?
Im Zuge einer Parkgestaltung in Bad Tatzmannsdorf, an der ich beteiligt war, bin ich auf das Thema gekommen. Mein erstes Labyrinth wurde dort 1994 gebaut und es existiert immer noch. Inzwischen habe ich fast 50 Labyrinthe in ganz Europa und eines in Israel gebaut.
Wie kann man das Labyrinth für sich selbst spirituell nutzen?
Das Labyrinth scheint an die innere Struktur der Seele zu erinnern. Wir suchen nach einem Ziel, einer Mitte, und der Weg dorthin ist sehr verschlungen, mit vielen Wendungen, es dauert alles sehr lange, und es braucht eine gewisse Intensität des Sich-Einlassens. Dies wird im Labyrinth abgebildet, und deswegen sagen auch viele, die durch ein Labyrinth gehen, »Ah, das ist genauso wie das Leben«. Dadurch kann das Labyrinth Mut machen und Zuversicht gegeben. Für manche kann ein Labyrinthgang auch zu einem sehr persönlichen erhellenden Erlebnis werden.
Gemeinsam mit Folk(s)-Blut-Musiker Bohdan Hanushevsky von Kohelet 3 bietest du im Bildungshaus Greisinghof das Seminar ‚Labyrinth und Tanz‘ an. Was erwartet die Teilnehmer:innen in diesem Seminar?
Labyrinth und Tanz haben seit Urzeiten eine Verbindung. So steht im Theseusmythos, dass Theseus und Ariadne ihre Hochzeit feierten, indem sie die Linien des Labyrinths nachtanzten. Musik, Tanz, Symbole - das passt zusammen und macht Spaß und Freude. Die Erzählungen und Interpretation der verschiedenen labyrinthischen Geschichten bringen uns auf neue Ideen und Gedanken. Durch das Tanzen der einfachen Kreistänze gelingt dazu ein schöner Ausgleich von Geist und Körper.
SEMINARTIPP - „Labyrinth & Tanz“ Den Weg des Lebens erfahren.
Referenten: Gernot Candolini & Bohdan Hanushevsky
Termin: 26. – 28. September 2025
Anmeldung: +43 (0)7263 86011
bildungshaus@greisinghof.at