Linz wird Kulturhauptstadt! Jetzt geht’s aufwärts. Jetzt kommen wir groß heraus. Endlich! – Mit dieser Erwartung war ich im Jahr 2004 nach der ersten Pressekonferenz für LINZ09 nicht alleine. Die freie KünstlerSzene hat auch gehofft bis heute hat sie sich nicht von dieser Enttäuschung erholt.
Nicht erfüllte Erwartungen bei den einen und ein zusätzliches Ärgernis für andere: Wo sind die Frauen? Eine Männerriege von Stadt, Land und Linz09 präsentierte 2006 das Programm. Der Verein Fiftitu – die Vernetzungsstelle für Frauen und Kunst – und die Medienfrauen des OÖ. Presseclubs machten ihrem Unmut Luft. Die Präsenz von Frauen sei kein Kriterium für die Auswahl der Projekte, hieß es da von Linz09.
Qualität statt Quote. Aha.
Linzer Luft.
Der Kulturmanager und Linz09-Intendant Martin Heller erschnupperte die Linzer Luft – die früher berüchtigte und heute lupenreine Linzer Luft! – ganz selbständig und unverkrampft und ließ sich von seinen Visionen nicht abbringen. Schlechte Stimmung, verbrannte Erde, enttäuschte Gesichter und aufgeregte Berichterstattung über nicht – stattfindende und abgeblasene Projekte füllen seither den Pressespiegel. Das tragen die Donauwellen bis nach Wien: Das Projekt „Montezuma. Fallender Adler“ mit dem Klangforum Wien wird nicht in Linz landen, Abrahams Zelt – ein interreligiöses Projekt von Christen, Juden und Muslimen – wird nicht aufgeschlagen. Die „Linzer Torte“ – ein Cafe als Treffpunkt für Österreicher und Migranten – wird trotz erfolgter ProgrammbuchAnsage nicht verspeist.
Abgesagt.
Linz ist mehr.
Kultur, Natur, Industrie waren die Knotenpunkte, die Heller anfangs in Linz interessant erschienen. „Soviel Grün gibt’s in der Stadt“, sagte Heller staunend in einem Pausengespräch. Linz ist mehr.
Dieser ewige Kampf vom Image der Industriestadt wegzukommen. Schrecklich. Erfolglos. Trotz Klangwolke und Ars Electronica Center blieb Linz für Fernstehende die VOEST oder das, was von ihr heute übrig ist.
Ist Linz schön, fragten die Linz09Macher die Einheimischen via Plakat und Medien. Wien ist schön. Salzburg ist schön. Die Berge sind schön. Will Linz schön sein? Die Antwort darauf gibt seit kurzem der umstrittene Linz09 – Werbespot im Fernsehen. GamsbartVerehrer/innen sind verärgert: mit dem Gamsbart wird der Aschenbecher ausgeputzt. Dazu die Stimme aus dem Off: Linz verändert. Na, bitte.
Kirche09
Ist Linz alt? – könnte die viel entscheidendere Frage lauten. Dass das alte Linz samt Urfahr einen historischen Stadtkern aufweist, der bis ins frühe Mittelalter zurückgeht und etliche Kirchen und Ordenshäuser aus der Barockzeit die Landstraße säumen, haben nicht nur die Linzer/innen lange ignoriert. Die Martinskirche am Römberg – verwurzelt mit Linz seit 1200 Jahren – ist eine der ältesten Kirchen Österrreichs. Dieses Faktum hat sich bereits herumgesprochen. Der neugotische Mariendom als größte Kirche Österreichs – mit einem Kirchturm von 134,8 m, der von Wien aus so die Legende – zurechtgestutzt wurde, rückt erst jetzt ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. (Für Wißbegierige: Der Stephansdom ist mit 136,8 m nur unbedeutdend höher).
Kirche als Kulturfaktor
Dass sich Kirche selbst als bedeutenden Kulturfaktor begreift, daran arbeiten kunstsinnige und gelehrte Menschen seit Jahrzehnten. Nicht vergeblich – wie Prof. DDr. Günter Rombold meint. Der Priester und Künstförderer, der das Institut für Kunst und Kirchenbau an der damaligen KatholischTheologischen Hochschule Linz aufgebaut hat (heute kath. Theol. Privatuni mit eigenem Institut für Kunst und Philosophie), meinte kürzlich in einem Interview mit der KirchenZeitung der Diözese Linz: „Die Menschen haben einen Entwicklungsprozess durchgemacht. Die Aufgeschlossenheit ist größer geworden. Im Großen und Ganzen gesehen würde ich sagen: Es gibt Fortschritte! Man darf sich aber nicht erwarten, dass sich alle für Kunst interessieren. Es gibt Menschen, die mehr Zugang zur Alten Kunst haben, andere wiederum zur Kunst der Gegenwart. Beides hat seinen Stellenwert. Ein Leben ohne Konflikte wird es nie geben und die moderne Kunst ist „aufregend“: Kunst spricht eben den ganzen Menschen an – auch sein Gefühlsleben und nicht nur den Intellekt.“
Die künstlerischen Neugestaltungen der Kirchen in der Diözese Linz sind – auch nach außen – ein stark wahrnehmbares Zeichen, dass sich die Katholische Kirche Oberösterreichs mit Kunst unserer Zeit intensiv auseinander setzt. Rombold über das Verhältnis von Kunst und Kirche heute befragt, meint: „Ich will, dass die Kirche in die Gesellschaft hineinwirkt, dass sie ein kultureller Faktor ist und sich nicht ständig mit sich selbst beschäftigt. Kirche als Kulturfaktor zu verstehen heißt aber auch, sich nicht damit zu begnügen, `schlechte´ Kunst hereinzulassen. Es geht um qualitätsvolle Kunst, die auf der Höhe der Zeit ist.“
Dass die Kirche kein „eigenbrötlerischer Club“ (Rombold) wird, ist auch das Anliegen von Kunstreferent und Diözesankonservator MMMag. Hubert Nitsch: „Das ist jetzt eine große Chance für uns als Kirche. Die Kirche ist der größte Kulturfaktor des Landes Oberösterreich. 70 Prozent der Kulturgüter dieses Landes sind im Eigentum der Kirche“, sagt Nitsch als Projektkoordinator für Linz09. Ihm geht es darum, die historischen Räume mit Leben zu füllen: „Denn Denkmalpflege gibt es nicht ohne Zeitgenössisches“. Die Auseinandersetzung mit Themen unserer Zeit ist daher wichtig. Die reicht vom Wert des freien Sonntags bis zur Auseinandersetzung mit der Stille in einer lauten, hektischen Zeit.
Linz am Dom.
Die Kunsthistorikerin Dr. Martina Gelsinger vom Kunstreferat der Diözese Linz hat eine eigene Kartenserie für die Kirche im Kulturhauptstadtjahr entwickelt. Die vier ausgewählten FotoMotive stammen von der Linzer Fotokünstlerin Gerlinde Miesenböck. „Linz am Dom“ heißt es da auf der Vorderseite einer Karte und rückseitig etwa: „Katholische Kirche in Oberösterreich: die größte Kunstsammlung des Landes – bei freiem Eintritt täglich geöffnet“.
Die Kirche Oberösterreichs mischt kräftig mit bei Linz09. Direkt verwunderlich, dass noch keine kritischen Stimmen laut geworden sind, die eine Vereinnahmung durch die katholische Kirche befürchten. Immerhin waren bei etlichen Pressekonferenzen in der jüngsten Zeit kirchliche Vertreter/inenn am Podium. Aufpassen sag´ ich nur. Man weiß nie!
Ohren spitzen.
Die Katholische Kirche ist zum Beispiel Projektpartnerin der „Kampagne gegen Zwangsbeschallung“ im Rahmen des Projekts Hörstadt. Gegen die Dauerberieselung durch Musik in öffentlichen Räumen wendet sich diese Initiative und will Aufmerksamkeit dafür schaffen, was täglich in die Ohren der Konsument/innen gestopft wird – oft geschieht dies unfreiwillig und ohne als Hörer/in die Lärmquelle orten bzw. verändern zu können.
Im Gegenzug dazu lädt Linz09 ein, Ruhezonen mitten in der Stadt zu schaffen. Wer will, kann Kleber anbringen mit dem Signet „Beschallungsfrei. Zone ohne Hintergrundmusik“ (www.beschallungsfrei.at).
Ein kleiner Seitenhieb sei erlaubt: Den Kleber möchte ich gerne manchen kirchlichen Häusern ans Herz legen, die ihre Besucher/innen nonstop mit Bach, Mozart oder ganz neu: mit Heiligenkreuzer Gesängen bedrängen.
Die Ohren frei bekommt man in beschallungsfreien Räumen und Orten, die von Linz09 als „Ruhepol“ definiert werden. Die neue Rudigierhalle im Mariendom beeindruckt mit 20 m Raumhöhe und dem Glasfenster „Musica Sacra“. Sie wird ab Mai ein offizieller Ruhepol, ein Ort der Stille sein.
395 Stufen in die Einsamkeit
Bereits im Advent 2008 öffnet die Türmerstube im Mariendom in 68 m Höhe für die wöchentlich wechselnden Eremiten ihr Türchen. Auf 8 m2 – mit dem vermutlich besten Ausblick über Linz – können Ruhehungrige neue Einblicke gewinnen. Die Eremit/innen werden dabei von geistlichen Begleitern betreut und erhalten vom Hotel Kolping täglich ein warmes Mittagessen. Mit dem neu entwickelten EremitenBrot können sich die Einsielder zusätzlich ihren Alltag versüßen. Die Projektidee „Turmeremit“ hat Kunstreferent und Diözesankonservator Hubert Nitsch entwickelt. Der Theologe, Kunsthistoriker und Bildhauer ist selbst ein in der Stille Erprobter und hat mit der Idee des Turmeremiten offensichtlich ein ungestilltes Verlangen unserer Zeit artikuliert – die Sehnsucht nach Entschleunigung und Stille. Kein Handy. Kein Laptop. Keine Ablenkung – 395 Stufen in die Einsamkeit.
Der Andrang war enorm: über 230 Rückzugswillige meldeten sich bei der Diözese, 58 Auserwählte haben es in die Türmerstube geschafft.
Auszeit in der Mittagszeit
Wer mit dem Eremiten Beten und Schweigen will, hat täglich um 12.15 Uhr dazu Gelegenheit. Die Krypta des Mariendoms wird mit Beginn des Kirchenjahres dafür geöffnet und lädt zur Auszeit mit Gebeten, Liedern und gemeinsamen Schweigen ein. Das Innehalten in der Mitte des Tages wird den Linz09Besucher/innen in einem Begleitheft näher gebracht: „Beten ist Pause vom Alltag. Nicht um aus der Welt zu fliehen, sondern um sie mit ein wenig Abstand zu betrachten, um einen klaren Kopf zu bekommen und ein ruhiges Herz. Beten ist Besinnung auf das Wesentliche“.
Apropos Beten, Schweigen, Stufen steigen. Die neu zugängliche GlasfensterGalerie im Dom erzählt die Geschichte Oberösterreichs und des Dombaus und kann nun innen in 15 m Höhe rundum begangen werden. Die Diözese Linz wird dafür im Kulturhauptstadtjahr eigene DomFührungen mit speziell geschultem Personal anbieten.
Keine Eventkultur
Auffallend bei diesen Linz09Projekten ist, dass die Kirche nicht neue Events erfindet, sondern den Schatz heben will, der bereits da ist und seit Jahrhunderten gelebt wird. Beim Lin09Projekt „SonntagMorgen“ geht es darum, den Wert des Sonntag ins Blickfeld zu rücken. An zwölf Sonntagen – verteilt über das ganze Jahr – werden interessierte Gäste am Linzer Hauptplatz von Pfarrmitarbeitern abgeholt und eingeladen mit der Pfarre den Gottesdienst zu feiern, danach werden Hunger und Durst gestillt. Anschließend stehen – je nach Pfarre – Ausstellungen, Konzerte, Diskussionsveranstaltungen und Stadtrundgänge auf dem Programm.
Ebenfalls mit starker pfarrlicher Beteiligung findet das Projekt „Kulturhauptstadtteil des Monats“ statt. Zwölf Stadtteile von LinzAuhof bis Ebelsberg und Solarcity präsentieren sich während des Kulturhauptstadtjahres mit ihren eigenen Ideen vor Ort. Mit dabei sind fünf Linzer Pfarren. Ausstellungen, Filme, interreligiöse Begegnungen stehen u.a. auf dem Programm. Beginn ist am 28. Februar im „öffentlichen Wohnzimmer“ in Auwiesen. Es geht darum, interessierten Gästen Herberge zu geben und am Leben in Auwiesen teilhaben zu lassen. Im April folgt die interreligiöse Begegnung mit Kunst in DornachAuhof. Pfarrangehörige der Katholischen und Evangelischen Kirche werden einander abwechselnd besuchen und internationale Künstler/innen zum Austausch einladen. Mit dabei ist auch die Katholische Hochschulgemeinde Linz, die mit ihrem „Raum der Stille“ für interreligiöse Begegnungen offen ist. Die Dornacher/innen sind zudem aufgerufen, ihre „Lieblingskleidungsstücke“ abzugeben – diese werden in der Ausstellung „Dornach gibt sein letztes Hemd“ zu sehen sein. Studierende der KunstUni werden dieses Projekt begleiten.
Nach dem „Schaurausch“ in der Linzer Landstraße und Ursulinenkirche und dem „Tiefenrausch“ (u.a. mit der Öffnung und Besichtung von vier Linzer Krypten) folgt im nächsten Jahr der „Höhenrausch“: Schon einmal den Blick vom Kirchturm ins eigene Wohnzimmer gewagt? Was sich hinter dem Projekt in luftiger Höhe verbirgt, wird noch nicht verraten.
Das Kulturhauptstadtjahr kündigt sich zunächst mit sanften Tönen an. Mit dem Beginn des Advents wird täglich um 18.15 Uhr vom Turm der Stadtpfarrkirche geblasen. Ja, und dann kommt noch das „Te Deum der 1000“ im Mariendom, die Orgelstationen und und und ... – die Linz 09-Projekte stehen Schlange. Und ich in der Warteschleife. Halleluja!
P.S. Wer das Eremitenbrot kosten will, sollte dem Hotel Kolping einen Besuch abstatten: dort gibt es neben dem Brot auch das tägliche EremitenMenü zu verspeisen. Motto: Was dem Eremiten schmeckt, wird auch für uns gut genug sein.