Termine statt.
Termine statt.
Nach der coronabedingten Absage im Jahr 2020 konnte der Verein für Linzer Diözesangeschichte diesmal sein jährliches Symposium abhalten. Vereinsvorsitzender Bischofsvikar Dr. Johann Hintermaier konnte, nach zunächst durchgeführter Vereinsvollversammlung, rund 60 TeilnehmerInnen zu dieser Veranstaltung begrüßen, bei der in vier Referaten und einem Statement dem Verständnis, der Entwicklung und den Erscheinungsformen christlicher Caritas auf dem geschichtlichen Boden der Diözese Linz nachgegangen wurde.
Nach einer inhaltlichen Einleitung durch den Moderator Mag. Josef Wallner spannte Dr. Markus Lehner, Prof. an der FH OÖ und ehemaliger Direktor des Instituts für Caritaswissenschaften an der Kath. Privatuniversität Linz, mit kirchen- und theologiegeschichtlichen Überlegungen den Bogen vom frühchristlichen Almosen zur modernen Caritas. Das christliche Almosen fußt auf dem Erbe des Judentums; prägend war hier etwa das Buch Tobit, in dem sich zahlreiche Belege zum Almosen finden. Die christlichen Tugenden des "Betens, Fastens und Almosen-Gebens" schöpften daraus, wobei das Almosen nicht in der Beliebigkeit des Einzelnen, sondern vielmehr eine von Gott auferlegte Pflicht gewesen sei, der sich besonders die frühchristlichen Gemeindevorsteher zu widmen hatten. Lehner ging dem Begriff des Almosens in den neutestamentlichen Schriften (Matthäus, Lukas, Apostelgeschichte, Paulus) und beim Philosophen Justin dem Märtyrer (gest. 165 n. Chr.) nach. Die Armenfürsorge in den frühen Christengemeinden wies, getragen von regelmäßigen Spenden und einzelnen großzügigen Zuwendungn, bereits einen hohen Organsisationsgrad auf.
Einen Bruch im Verständnis des Almosengebens gab es mit Clemens von Alexandrien (gest. um 215 n. Chr.) und dessen Schrift "Quis dives salvetur" ("Welcher Reiche wird gerettet werden?"). Demnach war Reichtum für Christen nichts Verwerfliches mehr, vielmehr ein Werkzeug, das richtig verwendet werden müsse und so die Voraussetzung für Wohltätigkeit, aber durchaus verstanden als religiöse Pflicht der Reichen, bildete. Nach der Etablierung des Christentums als Staatsreligion im Röm. Reich im späten 4. Jh. n. Chr. wurde die christliche Wohltätigkeit unter der führenden Rolle der Bischöfe mit der staatlich-institutionellen Fürsorge verbunden. In diesem Zusammenhang nannte Lehner die sog. matricularii bzw. matriculariae, SpendenempfängerInnen, die im Gegenzug für ihre Versorgung bestimmte Dienste zu verrichten hatten. Daneben gab es als zweites Instrument die sog. Xenodochien bzw. Hospize, die zunächst für reisende Christen, bald aber für alle Hilfsbedürftigen und multifunktional tätig waren.
Für das Frühmittelalter wurde sodann die bedeutende Rolle der Klöster, besonders zunächst jener der Benediktiner, im Armenwesen hervorgehoben; im Zuge der Karolingischen Reform (7./8. Jh.) wurde die Versorgung Armer auch für die Kanonikerstifte zur Pflicht gemacht.
Das Hochmittelalter erlebte eine besondere Dynamik durch religiös motivierte Armutsbewegungen, so etwa durch den Franziskanerorden, Beginengemeinschaften in den Städten, Bruderschaften, Zünfte und Gilden. Für diese Zeit spricht man von einer "caritativen Revolution"; so hat Gerhoch von Reichersberg (gest. 1169) sogar gefordert, in jeder Pfarre solle ein Hospital betrieben werden.
Wesentlich für die Ausformulierung der christlichen Almosenlehre war Thomas von Aquin (gest. 1274), dessen Ansichten (in seiner Summa theologica) von der mittelalterlichen Ständelehre als sozialem Kontext geprägt waren. Demnach gab es eine moralische Verpflichtung zum Almosengeben gemäß den Möglichkeiten des jeweiligen Standes.
In der frühen Neuzeit wurde das Almosen, verstanden als moralische Verpflichtung, mit dem Aufkommen des Kapitalismus immer weniger gesamtgesellschaftlich getragen. Das freiwillige Almosen wurde weitgehend von der verpflichtenden Steuerabgabe zu Fürsorgezwecken abgelöst.
Als tragende Säule der Armenversorgung fungierten seit 1779 die Pfarrarmeninstitute, in denen sich die obrigkeitliche Politik mit dem freiwilligen Almosen verband. Als Scharnier diente der verantwortliche Ortspfarrer; die Verwaltung oblag gewählten Armenvätern, die genaue Listen auf Basis von Fragebögen führten (Armenbeschreibungen). In den 1870er Jahren wurden diese Institute schließlich von Einrichtungen der weltlichen Ortsgemeinde abgelöst.
Im 19. Jh. gingen wichtige Impulse im Fürsorgewesen von jetzt zahlreich aufkommenden Vereinen wie den Vinzenz- und den Elisabethvereinen aus.
Im frühen 20. Jh. schließlich liegen mit der Abhaltung von Caritas-Kongressen und der Einführung von Caritas-Verbänden die Anfänge der Caritas als Institution. Das Almosen-Konzept hatte in dieser Zeit allerdings schon viel an Kraft verloren; sogar in kirchlichen Kreisen wurde dagegen polemisiert (z.B. in der ThPQ 1912). Von liberaler Seite ist ebefalls Kritik gekommen, insofern, dass Almosen die Motivation zur Arbeit einschränke, von sozialistischer Seite, dass die Arbeiterschaft statt Almosen viel eher verbriefter Rechte bedürfe. Die beiden Weltkriege haben infolge Inflation und letztlich wertloser Kriegsanleihen schwere Erschütterungen für die Caritas-Verbände gebracht; problematisch war in besonderem Maße die Auflösung wohltätiger kirchlicher Vereine durch das NS-Regime.
Nach dem 2. Weltkrieg, im Jahr 1946, wurde die Caritas der Diözese Linz gegründet. Als sozialwirtschaftliches Unternehmen wirkt sie heute in vielfältiger Weise und ist zu einem - durchaus bemerkenswerten - Teil immer noch von freiwilligen Leistungen und Spenden getragen.
Im zweiten Hauptvortrag des Tages sprach Dr. Roman Sandgruber, emeritierter Prof. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Linzer Kepleruniversität, über Fragen zur christlichen Caritas und "Mildtätigkeit in einer mitleidlosen Zeit" im 19. Jh. Dieses Jahrhundert kennzeichnete er angesichts von "Manchester-Kapitalismus", Ungleichheit in den Einkommens- und Vermögenverhältnissen und der immer drängender werdenden Sozialen Frage als ein äußerst "liebloses". So bezog in Oberösterreich im Jahr 1910 das oberste eine Prozent der Bevölkerung 16,6 Prozent der Einkommen. Durch die damalige Steuerpolitik war der Staat wenig leistungsfähig, um Probleme der Fürsorge anzugehen. Soziale Ungleichheit führte (und führt) letzlich hin zu sozialer Instabilität.
Auch im kirchlichen Umfeld, das bis etwa 1870 Jahre für das Armenwesen (und Schulwesen) zuständig war, verdiene das 19. Jahrhundert, so Sandgruber, eine Charakterisierung als lieblose Zeit. Durch die Aufklärung erlebte das christliche Spendenwesen eine schwere Krise durch den enormen Rückgang an Legaten, Spenden und Stiftungen; Ausgaben für Begräbnisse gingen zurück, Klöster wurden aufgehoben, Wallfahrten immer mehr abgelehnt ("Arbeit statt Askese"), die noch im Barock blühenden Bruderschaften wurden demontiert und deren Mittel unter Maria Theresia und besonders unter Joseph II. anderen Zwecken gewidmet, etwa den Pfarrarmeninstituten.
In der Zeit des Vormärz (1830er/40er Jahre) ist mit einer neuen Blüte von Orden eine Gegenbewegung festzustellen, die sich mit den zahlreichen Niederlassungen neuer weiblicher Orden in der zweiten Jahrhunderthälfte noch verstärkte.
Durch das Modell des "ganzen Hauses" waren viele Bevölkerungsgruppen vom Fürsorgewesen per se ausgeschlossen, so etwa die Mobilen wie ausgemusterte Soldaten, Schausteller, Behinderte, Besitzlose und die in ganz großer Zahl vorhandenen Bettler. Diese liefen ständig Gefahr der Einweisung in Armen- oder Gefangenenhäuser. Wenig tragfähig war zudem das Festhalten am "Heimatprinzip". Dieses legte fest, dass man nur in der jeweiligen Heimat- bzw. Geburtsgemeindegemeinde Fürsorge-Ansprüche geltend machen konnte, was etwa für zugezogene Arbeiter, die ihre Arbeit verloren, zum Problem wurde, da sie noch nicht lange genug (es galt eine 10-Jahres-Frist) in der neuen Heimatgemeinde ansässig waren. Die Ablehnung der Heimatlosen, deren Mobilität ohne festen Wohnsitz dem modernen Staat zuwider war, manifestierte sich in unzähligen staatlichen Erlässen, häufig etwa gegen "Zigeuner". In diesem Zusammenhang tauchte erstmals der Begriff des "Konzentrationslagers" auf - den im Übrigen der junge Adolf Hitler in diesem Kontext kennengelernt hat. Die zentrale Frage der Sozialpolitik war mit der Heimatfrage eng verknüpft. Die Gemeinden selbst hatten generell kaum Mittel für das Fürsorgewesen zur Verfügung, da das Kapital der Armeninstitute durch Inflation bereits im frühen 19. Jahrhundert weitgehend entwertet war. Teilweise Abhilfe schufen zu einem Teil das Aufkommen von Vereinen (Elisabeth- und Vinzenzvereine), Stiftungen und nach wie vor einzelne Großspenden (z.B. Rothschild in Wien); für die Organisation von Fürsorge waren besonders die neuen Orden (etwa die Barmherzigen Schwestern) eine wesentliche Säule; die private Mildtätigkeit blieb weiterhin eine unentbehrliche Ergänzung. Hier spielte das Engagement von Christen und vor allem Christinnen eine wesentliche Rolle. In diesen Kreisen schrieb man die Lösung der Sozialen Frage dem christlichen Handeln und der Rückbesinnung auf Jesu gebotene Pflicht zur Armensorge zu. Die kirchliche Armenfürsorge wurde so in den Kontext der Erneuerung von Kirche gestellt, was immer wieder auch in bischöflichen Hirtenschreiben thematisiert wurde.
Durch die Übernahme des Fürsorgewesens durch die Kommunen schwand seit dem letzten Drittel des 19. Jh.s die Anziehungskraft der mildtätigen Vereine. Die Soziale Frage wurde nunmehr als Aufgabe gesetzlicher Regelungen gesehen; ihre Lösung wurde als von einer Gesinnungsfrage entkoppelt gedacht bzw. angestrebt. Die Sozialpolitik sollte, so die Ansicht immer weiterer - v.a. antiklerikaler - Kreise, dem Einfluss der Kirche entzogen werden.
Im Kulturkampf des späten 19. Jh.s, bei dem es um Abrgenzung von Staat und Kirche ging, entstand angesichts sozialer Spannungen im Zuge der industriellen Revolution und im Angesicht konkurrierender Ideologien des Liberalismus und Sozialismus die katholische Soziallehre. Einen tiefen Einschnitt bedeutete der Erste Weltkrieg, der die Vereinsvermögen schmelzen ließ. Nun begann das System der Sozialversicherungen; steuerliche Mittel wurden für den Sozialbereich herangezogen. Auf dieser Basis entstand der moderne Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen. Soziale Mildtätigkeit wurde zum Randphänomen, zur Ergänzung staatlicher Finanzierung.
In den letzten Jahrzehnten konnte die kath. Soziallehre immer weniger ihre Wirkmächtigkeit entfalten, da das früher noch vorhandene geschlossene katholische Milieu immer mehr wegbrach. Die jüngste Vergangenheit brachte zudem neue Formen von Not, so etwa die Probleme, welche durch Migration verursacht werden. Dies bringt nicht nur für den Staat, sondern auch für die nicht-staatlichen Institutionen auf dem Feld der Sozialpoltik und im Fürsorgewesen enorme Herausforderungen mit sich.
Im dritten Vortrag des Nachmittags ging Mag. Wilhelm Remes (Aloisianum Linz) der Geschichte der Marianischen Kongregationen (MK) am Alten Dom in Linz und deren vielfältigem caritativen Wirken nach. Die MK im Umfeld der Jesuiten hatten eine lange Tradition, die ihren Ausgangspunkt im 16. Jahrhundert am Römischen Kolleg nahm. Im 17./18. Jh. wurden alle MK unter das Dach der Römischen Mutterkongregation gestellt.
Als die Jesuiten 1837 auf dem Linzer Freinberg mit einer Schule, die 1851 zum bischöflichen Knabenseminar wurde, zu wirken begannen, entstand bald auch eine Marianische Studentenkongretation. Im Jahr 1909, als der Mariendom Kathedralfunktion erlangte, erhielten die Jesuiten den Alten Dom als Wirkungsstätte zurück. Ein Standbein dieses Wirkens dort waren neben Beichtseelsorge und Volksmissionen auch die MK im Sinne von Standesseelsorge. Dafür gab es ein Statut, das Ämter und Sektionen festlegte; darunter auch solche mit sozialen Anliegen.
Im Jahr 1853 erfolgte die Gründung der Congregatio minor auf dem Freinberg, 1864 die erste Frauen-MK (ausgehend vom Freinberg, bald aber in die Stadt verlegt); bald folgte eine Arbeiter-MK. Bis 1932 enstanden im Umkreis des Alten Domes 15 Kongregationen, die von drei Jesuitenpatres betreut wurden. Zum Vergleich: In Oberösterreich gab es um diese Zeit 211 MK, in ganz Österreich etwa 1.200.
Finanzielle Mittel lukrierten die MK u.a. durch Theatervorstellungen, bei denen Stücke von Jesuitenpatres aufgeführt wurden, oder auch solche von Enrica-Handel-Mazzetti. Ein Betätigungsfeld der MK war die Unterhaltung von Studenten als sog. "Nährschützlinge" im Freinberger Seminar, ferner etwa die Stellenvermittlung für Mädchen in christlichen Haushalten; kurios ist die Unterstützung für die Sanierung wilder Ehen (durch Bezahlung der Hochzeitskosten).
Eine besondere, bislang wenig bekannte Abteilung, die auch in Österreich Fuß fasste und von den MK unterstützt wurde, war die 1897 eingeführte "Patronage-Sektion", die auf das Werk des Hl. Philipp Neri zurückging. Das Ziel dieses Instituts war die Jugendhilfe, v.a. die Nachmittagsbetreuung von ArbeiterInnenkindern (1905 Eröffnung einer Kinderpatronage bei den Oblatinnen in Urfahr). Mit dieser Sektion ist besonders der Name der Baronin Maria von Gagern (gest. 1960), eine Sodalin der Fräulein-MK am Alten Dom, verknüpft, die später als "Jugendapostelin" bezeichnet wurde. 1914 waren bereits 14 Sodalinen in den Patronagen tätig; 1938 wurde die Patronage von den Nationalsozialisten aber aufgelöst.
Generell ging die Fürsorgetätigkeit der MK nicht selten anlassbezogen vor, so 1932/33 die Winterhilfe, was aber bereits über die Kräfte der Gruppe hinausging. Die Freinberger Studentenkongregation veranstaltete Kleider- und Lebensmittelsammlungen, ein weiteres Beispiel ist die 1935 durchgeführte Unterstützung alter Menschen, die sonst keine Versorgung hatten.
Mit dem Aufkommen der Katholischen Aktion in den 1930er Jahren wurde das Verhältnis der MK zu dieser diskutiert, etwa derart, ob die MK nicht als Unterabteilung der KA in den Pfarren mitarbeiten sollten. Diese Parallelitäten waren allerdings schwer unter einen Hut zu bringen.
Der Nationalsozialismus brachte schließlich einen Kahlschlag bei den MK; sie wurden zunächst auf ein Zehntel reduziert und bald ganz aufgelöst. Am Alten Dom wirkten sie allerdings im Untergrund zum Teil weiter.
Nach dem Krieg konnten die MK ihre früheren Kräfte, v.a. die soziale Komponente, nicht mehr recht entfalten; man beschränkte sich vorwiegend auf die Marienverehrung. Es gab noch Versuche, neue Formen für die MK zu finden, so etwa unter dem Dach des Studentenwerks (STUWE) am Alten Dom, die allerdings kaum mehr Früchte zu tragen vermochten.
Im vierten Vortrag stellte Magdalena Egger MA MA, Archivarin und Historikerin am Linzer Diözesanarchiv und Universitätsassistentin an der JKU Linz, einen Aspekt ihres Dissertationsprojektes zur kath. Kinder- und Jugendarbeit in der Diözese Linz zwischen 1868 und 1938 vor: "Kinderseelen retten": Das Seraphische Liebeswerk mit Sitz in Linz - ein Vorgänger der Caritas für Kinder und Jugendliche?
Beim Liebeswerk handelt es sich um ein 1889 in Ehrenbreitstein am Rhein gegründetes Hilfswerk des III. Ordens vom hl. Franziskus unter der Leitung des Kapuzinerordens. Das Werk, das bald als das "seraphische", also das "engelsgleiche", genannt wurde, verfolgte das Ziel "armen und verwahrlosten Kindern" Unterkunft, Versorgung und Ausbildung zukommen zu lassen. Die finanzielle Basis sollten Spenden und Mitgliedsbeiträge bilden.
Das Liebeswerk verbreitete sich in der Folge rasch in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika, nicht zuletzt aufgrund der Publikation "Seraphischer Kinderfreund", dessen Abonnement als Mitgliedschaft zählte.
Als der Linzer Bischof Franz Maria Doppelbauer 1903 vom Liebeswerk im bayerischen Altötting um P. Cyprian Fröhlich, das zahlreiche Mitglieder aus Österreich hatte, erfuhr, strebte er eine Einführung auch in Österreich bzw. seiner Diözese an. Hintergrund seines Bemühens waren Sorgen um die drohende Entkatholisierung der Schuljugend, um die Hinwendung zahlreicher KatholikInnen zu anderen Religionen, um die Soziale Frage (Armut in den Städten), schließlich um den Priestermangel (Vereinsbeiträge für Priesterstudenten). Schon 1904 wurde das Liebeswerk für die deutschprachigen Länder Österreichs eingeführt und von Linz aus verwaltet. Die Ziele des Werkes, das sich besonders um die Errichtung von Kinderheimen bemühte, lässt sich mit dem zeitgenössischen Spruch "Kinderseelen retten" zusammenfassen, waren mitunter stark missionarisch geprägt.
Die caritative Tätigkeit des Liebeswerkes (das für Tirol und Vorarlberg 1908 eine Abspaltung unter der Leitung des Kapuzinerordens erfuhr) mit der Gründung von Kinderheimen hatte einen ganz deutlichen Schwerpunkt in der Diözese Linz, wo auch die meisten Mitglieder (als Abonnenten des "Kinderfreundes") ansässig waren.
Mit den Liebeswerkheimen schloss die Kirche um die Jahrhundertwende eine Lücke, die durch fehlende staatliche Fürsorgeeinreichtungen im Kinderbereich klaffte. Das staatliche Kinderfürsorgewesen setzte aber nun vermehrt eigene Initiativen, wobei die Kinderschutzkongresse 1907 und 1913 in Wien und Salzburg, die auf eine Einbindung der Kirche weitgehend verzichteten, richtungsweisend waren.
Die Gründungswelle an Liebeswerkheimen setzte in der Diözese Linz im Jahr 1911 ein, davor hatte man sich vorwiegend der Unterbringung von Kindern in bestehenden diözesaner Einrichtungen und Pflegefamilien bedient. 1916 wurde mitten im Krieg das Kriegswaisenhaus St. Josef am Linzer Freinberg vom Liebeswerk errichtet, 1919 eröffnete man ein Heim für körperlich beeinträchtigte Buben in Gallneukirchen. Gerade auf dem Gebiet der Förderung Beeinträchtigter leistete das Liebeswerk durch das Angebot von Berufsausbildungen für die Schützlinge, Innovatives in Oberösterreich.
In der Zwischenkriegszeit taten sich finanzielle Schwierigkeiten auf, welche die Produktion der Vereinszeitschrift, die Höhe der Mitgliedsbeiträge und die Versorgungsqualität in den Heimen beeinträchtigten.
Im Jahr 1938 wurde der Verein von den Nationalsozialisten liquidiert und die Heime an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt übergeben. 1946 übernahm die neu gegründete Caritas die Verwaltung der Linzer Heime am Freinberg und in der Hafnerstraße, in Gallneukirchen und in Gleink, doch waren die finanziellen Mittel des rechtlich noch einige Jahrzehnte (bis 1987) bestehenden Liebeswerkes zu gering für die Erhaltung und Revitalisierung dieser Einrichtungen. Zur Frage, ob das Liebeswerk als Vorgänger der Caritas für Kinder und Jugendliche angesehen werden könne, äußerte sich Egger vorsichtig kritisch. Zu unterschiedlich wären nämlich die äußeren Umstände der Gründungen und die Zielsetzungen der Organisationen gewesen.
Mit diesem Referat gelang inhaltlich die Überleitung zum letzten Vortrag des Tages von Caritasdirektor Franz Kehrer, MAS. In einem bilderreichen Statement stellte er die Caritas als Institution vor, das seit seiner Gründung 1946 seinem Grundauftrag treu geblieben ist. Caritas, gelebte Nächstenliebe, als kirchlicher Grundauftrag ist nach wie vor eine unverzichtbare Aufgabe, die ihre Kraft für eine solidarische Gesellschaft im Inland und darüber hinaus entfalten muss. Kehrer zitierte aus dem Leitbild der Caritas und hob daraus besonders den Einsatz für Benachteiligte unabhängig von deren Religion, ethnischer Zugehörigkeit, politischer Überzeugung und persönlichem Verschulden hervor.
Die Wirksamkeit des Helfens vor Ort wird organisatorisch von der RegionalCaritas getragen, die Angebote vor Ort vernetzt, Pfarren in deren sozialem Engagement unterstützt, Aus- und Weiterbildung fördert und Ehrenamtliche begleitet. Als weiteres Erfolgsprojekt nannte er die YoungCaritas mit ihrem vielfältigen Angebot für junge Menschen.
Als große Herausforderung benannte Kehrer das ständige Ringen um ein zeitgemäßes Verständnis des diakonischen Grundauftrages. So gilt es einige Dilemmata sorgsam abzuwägen, etwa: "Caritas als Aufgabe aller ChristInnen vs. Caritas als professionelle Aufgabe", oder: "Steigende Bedarfe vs. begrenzte Ressourcen", oder: "Caritas mit christlichem Profil vs. Anschlussfähigkeit für interkulturelle Vielfalt" u.a.m.
Die Herausforderungen sind enorm, einige Schlagworte in diesem Kontext sind: Soziale Innovation und Digitalisierung, Personalmangel (nicht nur in der Pflege), neue Kooperationen, globale Verantwortung (Armut und Entwicklung), Klimawandel.
Um hier bestehen zu können, sind klare strategische Ausrichtungen druch Maßnahmen, Prozesse und Projekte notwendig, welche die Qualität für die Menschen sichern, dem Grundauftrag gerecht werden, Solidarität stiften, ein attraktives Arbeitsumfeld der Caritas-MitarbeiterInnen schaffen und die wirtschaftliche Stabilität der Institution nachhaltig sicherstellen.
Kehrer schloss mit einem persönlichen Blick in die Zukunft. Wichtig sind ihm v.a. den guten Ruf der Caritas weiterhin zu pflegen, glaubwürdig zu handeln, soziale Innovationen voranzutreiben und letztlich den Grundauftrag zu leben.
Musikalisch umrahmt wurde das Symposium von MMag. Andreas Peterl vom diözesanen Kirchenmusikreferat und seiner Frau MMag.a Rita Peterl.
Wie bei den vorangegangen Symposien wurden die Stücke inhaltlich passend zum Veranstaltungsthema ausgewählt und wunderbar vorgetragen:
Seyd barmherzig, Menschen!
aus: Katholisches Gesangbuch zum allgemeinen Gebrauche bei öffentlichen Gottesverehrungen (München 1811)
(Melodie: „Jesus, du bist hier zugegen“, 1768)
Im von spätaufklärerischem Geist erfüllten „Katholischen Gesangbuch“ von 1811 findet sich unter der Rubrik „Bei öffentlichen Opfern zum Besten der Armen“ mit „Seyd barmherzig, Menschen“ ein Lied, welches die Kerninhalte der späteren Caritas-Bewegung thematisiert.
Agnus Dei
aus: Jean Langlais (1907–1991), Missa in simplicitate (1953)
Der Organist Jean Langlais erblindete im zweiten Lebensjahr und wurde am Institut National des Jeunes Aveugles (INJA) in Paris ausgebildet. Die Geschichte der Schule reicht bis in die vorrevolutionäre Zeit zurück und trug wesentlich zur Entwicklung einer an die Bedürfnisse von blinden Menschen angepasste Pädagogik. Eine Besonderheit der Schule ist die musikalische Ausbildung, bereits seit 1826 wurde eine eigene Orgelklasse eingerichtet, in der viele französische Organistenkarrieren ihren Ausgang nahmen.
„Caritaspatronin“
aus: Caritas-Gebetbuch. Gebete und Lieder im Geiste christlicher Nächstenliebe (Freiburg/Br. 1933)
(Melodie: „Meerstern, ich dich grüße“, 1850/1894/1909)
Das Caritas-Gebetbuch entsteht offensichtlich unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und will die haupt- und ehrenamtlichen Caritas-Mitarbeitenden geistlich stärken:
Wie die bewundernswerte Liebesgemeinschaft der ersten Christen nur dadurch grundgelegt und erreichbar war, daß die lebensweckende Aussendung des Gottesgeistes, des ewigen Feuers der Liebe, in den lodernden Flammen des ersten Pfingstfestes vorausging, so können wir auch für unsere Zeit der Not und Heimsuchung nur dann einen neuen Caritasfrühling erhoffen, wenn wir Gottes Güte um das Gnadengeschenk jener Liebe anrufen, die aus Gott entspringt, Gott in dem Nächsten dient und zu Gott hinführt. (Vorort, S. XIV)
Bemerkenswert sind die Elemente des christlichen Widerstands angesichts der sich bereits andeutenden politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die in der „Litanei von der Nächstenliebe“ ihren Niederschlag finden:
Erlöse uns, o Herr! […]
Von aller christlichen Geringschätzung der Mitmenschen,
Von aller übertriebenen und einseitigen Liebe zu den Stammesgenossen,
Von aller wegwerfenden Beurteilung und Behandlung anderer Völker und Nationen,
[…]
(Litanei von der Nächstenliebe, S. 115ff.)