Predigt des neuen Linzer Diözesanbischofs Dr. Manfred Scheuer
Wie alt bist du?
Wie alt bist du? So wurde ich oft von Kindern gefragt. Wie alt sehe ich aus? Die Antworten belaufen sich dann zwischen 19 und 90 Jahren. Wie alt sehe ich aus und wie alt möchte ich sein? Das ist auch eine Frage nach meiner körperlichen und seelischen Erscheinung, nach meinen Kräften und meiner Müdigkeit. Und wie alt sieht die Kirche in unserem Land aus? Ist sie so verbraucht und müde geworden, dass sie den Weg zu den Zeitgenossen und zu kommenden Zeiten nicht mehr findet? – "Sie haben keinen Wein mehr", d.h. die Freude ist verbraucht, das Fest ist aus. Die Quellen sind versiegt, das Feuer der Begeisterung ist verloschen, Vitalität, Lebenskraft, Phantasie und Kreativität gehen verloren. Eben: "Sie haben keinen Wein mehr…"
Wie alt bist? Als ich darauf einmal geantwortet habe, kam die Zusatzfrage: Hast du schon gelebt, als Jesus von den Toten auferstanden ist? Das könnte man als naive Kinderfrage abtun, doch ich habe das so gedeutet: Lebst du als Zeuge der Auferstehung Jesu? Die Botschaft der Hochzeit zu Kana ist eine österliche: Das Fest ist nicht aus, der Überfluss an Hoffnung ist unausschöpflich und zwar gerade dann, wenn unsere eigenen Möglichkeiten erschöpft sind. Lebst du aus einer Beziehung zu Jesus Christus heraus? Jeder kirchliche Dienst und auch das Bischofsamt braucht eine lebendige Beziehung zum gekreuzigten und auferstandenen Christus in der Gegenwart. - In Jesus Christus schaut uns Gott an. In Ihm sind wir von Gott her Angesehene. "Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und […] weil Du mich anblickst, deshalb bin ich" schrieb Nikolaus Cusanus.
Dank und Veränderung
Ich komme alt und neu in die Diözese Linz und nach Oberösterreich. Hier ist meine Herkunft und hier war auch meine Heimat und Zugehörigkeit. Freilich bin ich auch entwöhnt und ich habe anderswo meine Wurzeln geschlagen. Und so brauche ich Zeit, um hier wieder anzukommen. "'Sie haben sich gar nicht verändert!' Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: "'Sie haben sich gar nicht verändert.' 'Oh!', sagte Herr K. und erbleichte." (Bert Brecht) Gott sei Dank habt Ihr euch verändert und habe auch ich mich verändert.
"In Dankbarkeit gewinnen wir das rechte Verhältnis zu unserer Vergangenheit. In ihm wird das Vergangene fruchtbar für die Zukunft", resümiert Dietrich Bonhoeffer. Ich denke an meine Familie in Haibach, an Lehrer und Erzieher, an Freunde und an alle, die mir an den Wirkungsorten in Steyr, St. Georgen an der Gusen, Linz-Stadtpfarre und im Priesterseminar ihr Vertrauen geschenkt haben. Ich danke meinen Vorgängern, den Bischöfen Franz Zauner, Alois Wagner, Maximilian Aichern, Ludwig Schwarz, den Priestern und Diakonen, den Männer- und Frauenorden, den Pfarr- und PastoralassistentInnen, JugendleiterInnen und ReligionslehrerInnen für Ihren Dienst und für ihr Zeugnis, der Katholischen Aktion und den laienapostolischen Bewegungen, den Pfarrgemeinderäten und den Seelsorgeteams, den MitarbeiterInnen in diözesanen Ämtern und Einrichtungen sowie in der Caritas. Ihr stellt die Kirche in ihren Grundvollzügen der Martyria, Leiturgia und Diakonia, der Communio und Missio dar. Ihr lebt den Bildungsauftrag der Kirche.
Dankbar bin ich für die Freude, die ich bei vielen in diesen Tagen spüre. Ich bin nicht so naiv zu meinen, dass das die ganze Wirklichkeit ist. Das Spektrum von Wohlwollen, Sympathie, Interesse, Abwarten und Distanz, Gleichgültigkeit und Ab-lehnung ist recht groß. Und diese bunte Schar ist die Wir-Gestalt der Kirche in Oberösterreich, sicher keine Idealgestalt von Gemeinschaft und Kommunikation, sondern eine höchst gemischte und durchwachsene Gesellschaft. In der Ortskirche von Linz werden die von Gott geschenkten Charismen in einer echt bunten Vielfalt gelebt. Ich glaube, dass jeder Mensch in seinem Leben einen Auftrag, eine Sendung zu verwirklichen hat. Es gibt keinen unnützen oder gar nutzlosen Menschen. Selbst in einem Verständnis von Kirche als Communio dürfte der Umgang mit Unterschieden aber auch große Reibungsverluste, d.h. viele Enttäuschungen, Kränkungen und Ängste mit sich bringen. Es ist eine Frage der Zukunftsfähigkeit der Kirche, ob es gelingt, eine Sozialform des Glaubens zu finden, in der es ein entkrampfteres Verhältnis zwischen Klerikern und Laien gibt, gelöste Beziehungen zwischen Frauen und Männern, innerlich freier in der Offenheit und Gastfreundschaft für suchende Menschen, nicht zu sehr mit sich selbst und den eigenen Problemen beschäftigt.
Ich bekenne mich zum ökumenischen Miteinander der christlichen Kirchen. Ökumene, das ist gemeinsames Zeugnis. Ökumene, Christus-Gedächtnis im Geist hat eine zutiefst diakonische, karitative Dimension. Das Antlitz Jesu erscheint wieder in all den geschundenen Lebewesen, die unter Formen der Leben vernichtenden Gewalt leiden. Die schöpfungstheologisch begründete Ethik, der Schrei nach Gerechtigkeit, die Sorge um den Erhalt der Lebensmöglichkeiten, der Widerstand gegen Gewalt gehören zum innersten Auftrag der Ökumene. Dazu zählt ein menschlicher Umgang mit Flüchtlingen. Asyl ist ein Menschenrecht. Unsere Gedanken dürfen sich daher nicht auf Abschottung und Dichtmachen richten, sondern auf die Problemlösung. Ich glaube, dass es unsere humane Aufgabe und christliche Pflicht ist, diese Menschen innerhalb des internationalen Rechts und der rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen aufzunehmen. Zum anderen sind zugleich die Fragen nach den Ursachen anzugehen, nach den wirtschaftlichen und ideologischen Hintergründen, die dazu führen, dass Menschen flüchten. Das lässt sich gewiss nicht von einer Seite alleine angehen. Entscheidend ist aber, dass wir nicht resignieren und uns in Ohnmacht vergraben, sondern – ermutigt von zahlreichen helfenden Händen – versuchen, mit Solidarität ans Werk zu gehen.
Ein großes Anliegen war und ist mir eine positive Beziehung zur israelitischen Kultusgemeinde. Heute am 17. Jänner begehen die Kirchen in Österreich den "Tag des Judentums". An diesem Tag wollen wir uns als Christen in besonderer Weise unserer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden und zugleich des von Christen an jüdischen Menschen und ihrem Glauben begangenen Unrechts in der Geschichte gedenken. Keine Religion ist eine Insel (Abraham Joschua Heschel): Nur durch tragfähige Kontakte im interreligiösen Dialog, z.B. mit den Muslimen, und durch gelebte Toleranz kann gemeinsames Leben gelingen und ein friedliches Miteinander möglich werden.
Mein Gruß und mein Dank gelten allen Verantwortlichen des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und sozialen Lebens, den Medien. In den letzten Jahrzehnten hat sich sehr viel im Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit verändert. Das betrifft die Beziehung zu Politik, Wirtschaft, Medien und Kultur. Der Versuch einer bloß strukturellen und institutionellen Absicherung des bisherigen (Besitz-)Standes führt nicht in die Zukunft, weil die inhaltlichen, spirituellen und personellen Herausforderungen damit noch nicht einmal berührt sind. Die Kirche wird in Zukunft ärmer sein: materiell und personell, ärmer auch an Bedeutung, Macht und Einfluss, vielleicht aber näher am Evangelium.
Bitte um ein hörendes Herz
Worum bitte ich am heutigen Tag? Ich erbitte für mich und für euch ein hörendes Herz. Bei Exerzitien ist mir ein Wort aus dem ersten Buch der Könige wichtig geworden: "Gib deinem Knecht ein hörendes Herz." (1 Kön 3,9) König Salomo bittet hier Gott zu seinem Amtsantritt nicht um Reichtum und Macht, nicht um Gesundheit, nicht um ein langes Leben, nicht um den Tod der Feinde, sondern um ein hörendes Herz, damit er die rechten Entscheidungen treffen könne. Mit der Bitte um ein hörendes Herz ist jedenfalls auch der Respekt im Umgang miteinander, vor allem bei verschiedenen inhaltlichen Akzenten und Glaubensgestalten verbunden.
Option für die Jugend
Die Kirche vertraut der Jugend, sie ist die "Hoffnung der Kirche", wie schon das Konzil formulierte. Doch was schuldet die Gesellschaft der Jugend? Die Gesellschaft schuldet der Jugend ein gutes Lebensfundament. Sie schuldet den jungen Menschen die Möglichkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und an einer Existenz zu bauen. Junge brauchen zu einem erfüllten Leben eine Lebensrichtung, eine Lebenstiefe, Lebenskraft, ein "Warum" im Leben. Und sie brauchen einen "Lebensplatz". Analog zum "Arbeitsplatz" ist dieser mehr als nur "Leben", so wie ein Arbeitsplatz mehr als nur Arbeit ist. Man muss deshalb fragen: Was hinterlässt die gegenwärtige Generation der zukünftigen: einen Schuldenberg, verbrannte Erde, einen Scherbenhaufen? Oder können wir tatsächlich ein Wort von Hilde Domin anwenden: "Fürchte dich nicht / es blüht / hinter uns her."?
Option für die Barmherzigkeit
Heilung und Vergebung sind die beiden Brennpunkte des Jahres der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus am 8. Dezember 2015 eröffnet hat. Möge das "Jahr der Barmherzigkeit" eine Zeit der Umkehr und Versöhnung, der Heilung von Wunden und der Erfahrung von neuen Lebensmöglichkeiten werden. Barmherzigkeit wird deshalb realisiert in leiblichen und geistigen Werken. Bischof Joachim Wanke hat diese Werke der Barmherzigkeit für die Gegenwart übersetzt. Es sind Worte und Haltungen, die Brücken bauen, Freiräume eröffnen, aufatmen lassen, Menschen zueinander führen, Abgründe der Angst und der Fremdheit überwinden: Einander sagen: Du gehörst dazu. Ich höre dir zu. Ich rede gut über dich. Ich brauche dich Ich gehe mir dir. Ich teile mit dir. Ich besuche dich. Ich bete für dich.
Manfred Scheuer, Bischof von Linz
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Predigt (doc)
Sperrfrist: 17. Januar 2016, 17.00 Uhr
[Es gilt das gesprochene Wort.]