Der Dom ist ein UND
Mein Platz ist hier in der Mitte, zwischen den Bänken. Ich nehme hier vieles wahr, habe freien Blick. Ich kann mich frei bewegen. Ich kann viele Blickwinkel einnehmen. Das mag ich.
Ich mag am Dom die Gegensätze. Und schätze, dass er sie verbindet.
Im dunklen, hohen Raum verliert sich das Licht – in den Mauern strahlen die bunten Glasfenster. Ich weiß um die Tiefe der Krypta und um die Höhe der Spitze, an der es stürmisch sein kann und die einen grandiosen Ausblick bietet.
Am Beginn des Doms stand eine Vision: Es sollte eine Kirche sein, die alle Gläubigen in Oberösterreich vereint. Man baute zuerst den Altarraum, dann den Turm hinten im Vertrauen, dass die Mitte auch noch finanziert werden würde, wenn die beiden Enden stünden. Dass also, auch wenn der Aufwand groß ist, die Verbindung geschaffen wird.
Ich erlebe Gegensätze in der Kirche. Da gibt es viel Altbewährtes. Da gibt es Traditionen, die ich selbst liebe und nicht missen möchte. Ein Beispiel ist das Hochamt hier im Dom. Ich mag es, wie klar der Gottesdienst hier gestaltet ist. Ich mag es, dass beide Lesungen gelesen werden. Ich mag es, dass die Kette des Weihrauchkessels genau dreimal an den Kessel schlägt, wenn er geschwungen wird. Ich kann mich drauf verlassen, es gibt Sicherheit und Klarheit.
Und ich merke Veränderung, in der Gesellschaft und bei mir selbst. Altbewährtes trägt mich nicht mehr so wie früher. Neues nimmt seinen Platz ein. Und mein Glaube nimmt neue Formen an.
Diese Veränderung hat sich auch in unserem Domfrauen-Projekt gezeigt. Beim Fotoshooting entstanden Fotos, die polarisiert haben, schmerzhaft. An der Frage „Was ist heilig und wie gehen wir mit Heiligem um?“ haben sich Gegensätze gezeigt.
Dazu fällt mir eine Geschichte aus meiner Familie ein: Das Goldrand-Blumengeschirr hatte meine Großmutter nur zu Festtagen aus dem Kasten genommen. So besonders war es ihr. Meine Schwester hat es übernommen und es als Alltagsgeschirr genutzt. Ich habe geschluckt. Aber sie hat Recht. Heute hat sie damit Recht. Sie wollte es nicht entwerten, sondern Teil ihres Alltags sein lassen. Gerade weil es ihr heilig und wichtig war. Sie wollte es nicht unberührt lassen, sie wollte es nutzen, lebendig sein lassen, dem Leben dienen lassen, auch wenn es dabei womöglich ramponiert wurde.
Ähnliches wünsche ich mir für die Kirche und die Gesellschaft. Dass wir in aller Achtsamkeit und Wertschätzung ausprobieren dürfen. Dass wir verschiedene Formen finden, mit uns Heiligem umzugehen, ohne einander die Wertschätzung abzusprechen. Und dass wir in der Auseinandersetzung darüber Verbindung finden, die uns eint.