Ort mit Anziehungskraft
Ein herzliches Grüß Gott im Linzer Maria-Empfängnis-Dom, Österreichs größter Kirche, die aber noch ziemlich „jung“ ist, sie ist 1924 fertiggestellt worden.
Ich lade Sie jetzt ein, etwas zu tun, das in den ersten 30 Jahren undenkbar war: Kommen Sie näher, setzen Sie sich ins Chorgestühl.
Unsere Großeltern hätten niemals hier sein dürfen. Denn bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) durften ausschließlich die Mitglieder des Domkapitels hier Platz nehmen, das Beratungsgremium des Bischofs, das sich aus acht geistlichen Würdenträgern, den Kanonikern, zusammensetzt.
Das Volk durfte nie hierher kommen. Dabei hat auf mich persönlich jede Kirche immer den starken Reiz ausgeübt, weit nach vorne zu gehen. Dieser Bereich hat die stärkste Anziehungskraft – es hat wohl etwas mit dem Wunsch zu tun, näher zu Gott zu gelangen.
Auch auf Reisen besuche ich viele Kirchen, natürlich auch aus kulturellem Interesse an den grandiosen Bauten und ihrer Ausstattung, doch es zieht mich besonders stark zum Chorraum, zum Altar.
Besonders in sehr alten Kirchen stehen die Altäre auf intensiven Kraftplätzen; wer sich die Sensibilität dafür bewahrt hat, spürt es körperlich, da ist diese früher unerklärliche Energie, die mittlerweile zum Glück auch physikalisch nachgewiesen werden kann. Und gerade hier im Chorgestühl spüre ich diese besondere Energie, diese Kraft. Am liebsten sitze ich in der letzten Reihe, denn dort kann ich ganz für mich allein sein. Die hölzerne Rückwand gibt mir das Gefühl beschützt zu sein, umfangen und eingehüllt vom Geist Gottes. Dieser Platz ist für mich ein unglaublicher Kraftplatz, hier kann ich meine Bitten an Gott richten, Danke sagen und Energie tanken für mein tägliches Leben.
Ich stamme aus dem Hausruckviertel und lebte dann lange Zeit im westlichen Innviertel. Mit dem Linzer Mariendom schloss ich erst 1996 Bekanntschaft, als frischgebackene Obfrau einer Innviertler Goldhaubengruppe. Damals feierte die OÖ. Goldhauben-, Kopftuch- und Hutgemeinschaft das 20-jährige Bestehen. Zu diesem Anlass wurde die Pilgerfahne, die sich im hinteren Teil des Domes befindet, restauriert. Die Feier der Festmesse im Mariendom gemeinsam mit hunderten Goldhaubenfrauen war für mich ein sehr beeindruckendes und intensives Erlebnis. Dies wurde nur durch die Wallfahrt von 3000 Goldhaubenfrauen im Jahre 2010 und 2016 übertroffen.
Seit 2008 bin ich Obfrau in Linz und mit meinen Goldhaubenfrauen bei den kirchlichen Festen wie Fronleichnam und Erntedank im Mariendom mit Freude dabei. Wir Goldhaubenfrauen leben Gemeinschaft, pflegen Altes, wagen Neues und geben mit Liebe. Aus dem Erleben dieser Gemeinschaft und der Volkskultur schöpfe ich viel Kraft für mein Leben.
Kraft verleiht mir auch der Glaube an Gott, ein Gebet an diesem für mich besonderen Platz im Mariendom.
Das Chorgestühl aus Eichenholz wurde nach den Plänen von Dombaumeister Vinzenz Statz im Jahre 1901 von Ludwig Linzinger aus Linz gefertigt. Es steht jetzt wieder an seiner ursprünglichen Stelle. Zwei Reihen fehlen auf jeder Seite, diese befinden sich in der Votivkapelle. Die Lampen wurden früher mit Gas betrieben.
Jeden Freitagabend wird hier Vesper gefeiert und das Domkapitel hält jeden Samstag das Morgengebet im Chorgestühl. Mir bedeutet es sehr viel, dass auch ich hier Platz nehmen und somit Gott näher sein kann.
Nach meinem Weggang vom Innviertel und der Neuaufstellung meines beruflichen und privaten Lebens vor 17 Jahren fand ich in der Goldhaubengemeinschaft in Linz wieder einen Platz – eine Heimat - für meinen Glauben hier im Mariendom. Meine Familie, die Goldhaubengemeinschaft und der Glaube sind die tragenden Säulen meines Lebens.
Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie Pfeiler haben, die Ihnen im Leben Halt geben und vor allem, dass auch Sie Ihre Kraftplätze im Leben finden.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.