… hinter die Dinge schauen …
Im Linzer Mariendom habe ich ausgiebig hinter die Kulissen geblickt. Als Kunsthistorikerin habe ich im Dom inventarisiert und kenne dort jeden verborgenen Winkel – von der Kryptakapelle bis zur Türmerstube. Alles wurde fotografiert, vermessen und dokumentiert: vom kleinsten Kelchlöffelchen im Tresor bis hin zum monumentalen Altarbaldachin.
Bei dieser Arbeit betrachtet man immer auch die Rückseiten der Stücke, um nach eventuellen Spuren eines Künstlers oder nach Hinweisen für eine Datierung zu suchen. Man muss neugierig sein und den Dingen auf den Grund gehen. Man möchte ja dahinterkommen. Nicht nur die repräsentative Schauseite birgt also Informationen. Manchmal ist auch die Rückseite für Überraschungen gut.
Der Hochaltar schirmt sich durch seine „entrückte“ Lage und die umgebenden Gitter gegen Besucher ab; trotzdem ist seine Rückseite keineswegs unscheinbar. Da steckt allerhand dahinter!
An der Vorderseite erzählen uns die bunten Mosaiken die Passionsgeschichte Jesu: Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung. Darüber steht das große Kruzifix. Auch wenn der Gekreuzigte hier golden glänzt und erhaben wirkt, sehen wir letztendlich doch einen geschundenen Körper. Vorne dominieren also die schmerzvollen Tatsachen. Begibt man sich aber auf die Rückseite des Hochaltars, dann wird hier die Geschichte fertig erzählt. Und die endet nicht mit dem Tod und der Grablegung. Hier ist das zentrale Motiv der auferstandene Christus. Es ist das Bild der Zuversicht, dass wir dereinst das Leiden, das uns im Hier und Jetzt aufgebürdet wird, hinter uns lassen werden! Eigentlich finde ich es etwas schade, dass sich diese zentrale Botschaft unseres Glaubens, dieses österliche Wunder, an einer so wenig beachteten Stelle versteckt. Also, liebe Leute, die ihr den Dom besucht, pilgert auch einmal rund um den Hochaltar, um Hoffnung zu schöpfen!
Was künstlerisch so schön gestaltet wurde, ist wesentlich mehr als nur ansprechender Dekor in Marmor, Glas und Gold. All die Ausstattungsstücke – finanziert durch unzählige Spenden der Landsleute, denen der Dom etwas wert war – sind keineswegs lediglich ein Fall für die Kunstgeschichte: Es sind Glaubenszeugnisse. Vor allem möchten sie uns eine lebendige Botschaft vermitteln. Die vielen scheinbar stummen Bildwerke halten diese Botschaft rund um die Uhr für uns bereit. Wir müssen sie nur abholen und selbst mit gegenwärtigem Leben füllen.
Vom erhöhten Platz hinter dem Hochaltar aus bekommt man auch einen guten Blick auf das Grabdenkmal für Bischof Rudigier mit dessen kunstvollem Porträt. Er war jener Bischof, der die große Vision für diesen „neuen“ Linzer Dom erdacht und seine Verwirklichung in Gang gesetzt hat. Ihm war es aber nicht vergönnt, die Fertigstellung des Baus und diesen großartigen Sakralraum zu erleben. Die Rückseite „seines“ Hochaltars hat er nie gesehen. Er hat uns aber trotzdem etwas voraus, denn er hat bereits viel weiter in das Dahinter, in das Danach geschaut, in eine Unabsehbarkeit, die uns allen noch bevorsteht. Das Auferstehungsbild hinten am Hochaltar könnte uns die Angst davor nehmen.
Der Dom ist die größte Kirche Österreichs. Der Dom ist ein spannender Arbeitsplatz. Der Dom ist ein stimmungsvoller Ort zum Pausieren. Aber der Dom ist noch viel mehr: Er bietet uns die Möglichkeit, einen befreienden Blick hinter die Dinge zu wagen.