Joker
Ich habe diesen Platz gewählt, weil er mich “aus dem Bauch heraus” angesprochen hat. Als Kind war der Dom mein “Spielplatz”. Ich habe hier oft nach der Schule meine Freizeit verbracht. Als Jungscharkind und als Minsitrantin, aber auch ohne speziellen Anlass. Ich habe mir manchmal vom Mesner den Schüssel zum Turm geholt und bin zwischen den Glocken herumgeturnt oder hab in den Kirchenbänken ein Buch gelesen. Damals wollte ich immer mal in diese Beichtstühle klettern, aber ich hab mich nie getraut. Und jetzt hab ich es einfach gemacht und siehe da: es geht was auf!
Nun hatte ich also meine Platz im Dom gefunden. Aber was will ich hier erzählen? Als ich mit dieser Frage zuhause saß, fielen mit die sechs demokratischen Führungsjokern ein, die ich in der Ausbildung zur Sexualpädagogin kennen gelernt habe. Die Joker helfen in einem Setting, das zwischen Lernenden und Lehrenden ein Machtgefälle entstehen lässt, dieses auszugleichen und geben den Lernenden die Möglichkeit, entsprechend ihren Bedürfnissen Einfluss auf den Gestaltungsprozess und das Lern-Lehr-Setting zu nehmen.
Die Joker sind Schlagwörter. Es sind einfache und doch so fundamentale Worte, die man sooft vergisst, die manchmal so schwer fallen sie auszusprechen, die anfangs Mut erfordern. Es ist ungewohnt, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse wichtig und ernst zu nehmen, sich was herauszunehmen und zu sich selbst zu stehen - etwas, das man will, einfach zu machen.
Darum werden die Joker oft mittels eines Plakats im Raum präsent gehalten. Damit man sie immer vor Augen hat und daran erinnert wird, dass alle zu jeder Zeit einen der Joker entweder aussprechen und der Lehrperson rückmelden können oder auch nonverbal einfach danach handeln dürfen.
Veto steht für Einspruch beim Überschreiten von Grenzen. Ich will nicht! Ich kann das (jetzt) nicht! Ich verweigere den Auftrag! Ich brauche keine Angst zu haben, dass ich dann nicht mehr "dazu gehöre", etwas "falsch mache"!
Störgefühl steht für: Mich irritiert da etwas. Ich kann es vielleicht nicht einmal genau benennen, was es ist. Aber hier passt etwas nicht und Konflikte, auch die inneren, haben Vorrang. Es braucht ein klärendes Gespräch, bevor wir weitermachen können. Ich kann ansprechen was mich stört, ohne Angst zu haben, dass "ich dann wieder die Komplizierte" bin.
Klarheit meint: Hier ist etwas widersprüchlich, etwas unklar. Hier gehört etwas nochmal oder genauer erklärt. Hier gehört nachgebessert und korrigiert - ich habe ein Recht darauf nachzufragen und bin nicht "die, die es mal wieder als einzige nicht versteht".
Tempo kann sowohl ein “zu schnell” - "Stop! So schnell gehen wir da nun nicht weiter! Hier bedarf es einer Ausführung!" - als auch ein “zu langsam” - "Ich glaube wir haben dieses Tagesordnungspunkt nun erfüllend diskutiert und ich würde vorschlagen, dass wir nun zum nächsten Punkt der Tagesordnung übergehen" - bedeuten.
Verantwortung kann ich rückmelden, wenn ich merke, dass etwas über die Grenzen anderer gehen könnte. Ich übernehme damit Verantwortung für andere.
Der sechste Joker heißt “Freispiel” und gibt mir die Möglichkeit aus dem Gruppenprozess auszusteigen und mir Raum und Zeit für mich zu nehmen. Den Raum verlassen, Pause machen, aufhören. Zum Beispiel kann das heißen, einen Kurs für den ich bezahlt habe abzubrechen wenn er mir nicht gut tut.
Ich kann mir diese Dinge einfach herausnehmen. Ich darf mich einfach herausnehmen. Mich wichtig und ernst nehmen. Zu jeder Zeit. Und ich darf das rückmelden und habe das Recht, gehört zu werden. Auch und gerade als Frau in der Kirche. Das Setting der Domfrauen bietet mir die Bühne um als Personifikation der Joker zu fungieren. Hier vor diesem Beichtstuhl, der nur Männern den Platz in der Mitte, den Platz des Priesters offen lässt, kann ich zum sichtbaren Veto gegen das kirchliche Patriarchat werden und ein Zeichen dafür setzen, dass hier Grenzen überschritten werden, dass ich das nicht mehr mittrage. Ich werde zum personifizierten Störgefühl, das man nicht einfach ignorieren kann.
Es wurde jahrhundertelang versucht, theologisch zu erklären, warum nur Männer zu Priestern geweiht werden können. Aber die einzige Erklärung dafür ist das Patriarchat. Die ersten Zeuginnen der Auferstehung waren Frauen! Hier zu stehen, ist mein Schrei nach Klarheit. Es gehört nachgebessert und korrigiert, was die Amtskirche in den letzten Jahrhunderten an den Glaubensschätzen der Urkirche verkümmern ließ. Und es ist ein lauter Schrei nach Tempo! Mir geht das zu langsam mit der Veränderung! Es sind genug Jahrzehnte vergangen. Denn ich möchte Verantwortung übernehmen für die Welt, in der ich lebe. Sie mitgestalten. Als Teil der Kirche. Als Frau in der Kirche. Ich möchte, dass wir alle unabhängig von Geschlecht und Orientierung ernst genommen werden und gleichwertig und gemeinsam Kirche gestalten, leben, zelebrieren, feiern, weihen und geweiht werden. Denn ich bin noch nicht bereit, den sechsten Joker zu wählen und aus dem innerkirchlichen Gruppenprozess auszusteigen.
Und darum lautet meine Devise: auftreten statt austreten!