Stille Leichtigkeit
Es ist 6:15 Uhr an einem Donnerstagmorgen. Ich stehe vor dem Linzer Mariendom und die Tore vom Turmportal öffnen sich. Meditationsleiter Alois Mayer empfängt die wartenden Frühaufsteher und reicht auch mir eine Kerze. Ich betrete langsam den Dom, tauche ein in das Raumerlebnis und höre die ersten Takte Musik von Jan Garbarek. Jedes Mal aufs Neue bekomme ich bei diesen Klängen Gänsehaut, denn vor Jahren war ich Gast bei einem Konzert dieses norwegischen Jazz-Saxophonisten hier im Dom und es war ein einzigartiges Erlebnis. Die berührende Musik hat sich damals perfekt in die historischen Mauern eingefügt und meine Erinnerung an diesen Abend wird so am Beginn der Morgenmeditation wieder wachgeküsst.
Ich nehme den Raum wahr. Es ist noch dunkel, dezenter Weihrauchgeruch steigt in meine Nase. Im Altarraum ist alles für die Meditation vorbereitet. Meine Kerze entzünde ich an der vorgesehenen Stelle und stecke sie fest in den Sand. Nach und nach werden sich die Lichter der weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazugesellen. Rechts vorne wartet mein Lieblingssessel auf mich. Es ist der Ort, den ich auch für meine Aufgabe als Domfrau gewählt habe. Hier fühle ich mich wohl. Mein Blick streift von der Rudigierorgel über das große Friedensfenster bis hin zu den neueren Kapellenkranzfenstern und dem goldenen Kreuz am Altar. Es ist ruhig, die Musik klingt langsam aus und die geführte Meditation beginnt. Ich lasse meine Gedanken los, tauche ein in die Stille, in die Zeit des Innehaltens und freue mich auf das erste Licht des Tages, das durch die bunten Fenster einfallen wird.
In diesen stillen Momenten, noch bevor der Tag erwacht, verbinde ich mich mit dem, was größer ist als ich selbst. Es ist eine Zeit, in der ich beobachte, ohne zu urteilen. Diese Momente der Reflexion bieten die Gelegenheit, mich von den Sorgen des Alltags zu lösen und eine tiefe Verbindung zum Hier und Jetzt zu finden. Es ist eine Zeit, in der ich lerne loszulassen. Hier, in der beeindruckenden Stille des Doms, umgeben von den Zeugnissen des Glaubens und der Geschichte, kann ich die Präsenz des Göttlichen im Leben spüren. Die Morgenmeditation im Mariendom ist mehr als eine spirituelle Übung, sie ist ein Geschenk der Ruhe, das ich mir selbst mache.
Bei einer Meditation geht es nicht um Äußerlichkeiten, man wendet sich dem Inneren zu. Dabei entdecke ich ein unerwartetes Geschenk: die Leichtigkeit. Diese Leichtigkeit wird auf meinem Domfrauen-Hut symbolisiert durch eine weiße Feder. Die Straußenfeder, die sanft durch die Lüfte gleitet, erinnert mich daran, dass es möglich ist, loszulassen und zu vertrauen. Loszulassen von den Sorgen, die meine Gedanken umklammern, von den Erwartungen, die mich niederdrücken, und von der Hektik, die meinen Geist umwirbelt.
Hier, im Schatten der Geschichte, umgeben von den vielen steinernen Zeitzeugen, lerne ich, dass Leichtigkeit nicht die Abwesenheit von Gewicht ist, sondern die Kunst, sich nicht von ihm erdrücken zu lassen. Ich erkenne, dass wahre Leichtigkeit aus dem Inneren kommt, aus meinem Herzen, das bereit ist, loszulassen und sich der Stille hinzugeben. So wie eine Feder, die sich dem Wind anvertraut, bin ich eingeladen, mich dem Moment anzuvertrauen, die Leichtigkeit zu spüren und mich von den Fesseln des Alltags zu befreien.
Ich, Roswitha Samhaber, bin Geschäftsführerin vom OÖ. Volksbildungswerk und täglich mit lebenslangem Lernen beschäftigt. Dieses findet in jeder Sekunde statt, auch wenn wir es nicht immer als solches wahrnehmen. Der Geist des lebenslangen Lernens durchdringt alles, was wir tun, und ermutigt uns, offen zu bleiben für die Lektionen, die uns das Leben lehrt. Traditionen spielen dabei eine wesentliche Rolle, denn Zukunft braucht Herkunft. Bewusst habe ich mich in der Rolle als Domfrau für das Tragen eines Dirndls entschieden, kombiniere es aber mit einem Zylinder. Es ist mein Versuch, die traditionellen Rollenbilder, die hier im Dom durch die Kleidung gezeigt werden, zu hinterfragen und die erfahrene Leichtigkeit zu präsentieren.
Bevor ich den Dom nach der geführten Meditation verlasse, gehe ich noch an den bunten Fenstern hinter dem Altarraum vorbei und lasse mich von der Lichtstimmung verzaubern. Ich starte mit dem Gefühl von Ruhe, Klarheit und Gelassenheit in den Tag. Mein Geist ist fokussiert, die Aufmerksamkeit geschärft, ich bin im Einklang mit mir selbst. Haben Sie mit einer Morgenmeditation auch positive Erfahrungen gemacht? Vielleicht sehen wir uns bei einem Termin im Mariendom. Ich freue mich darauf, die stille Leichtigkeit mit Ihnen zu teilen.