Anstiftung zum „Leichtbleibn und Bockigsein“
Ich habe einen Song im Ohr. Es ist das „Liad ibas Losziagn“ von Willi Resetarits. Er singt darin „ibas Leichtbleibn, ibas Bockigsein“. Und ich mag diese zwei Wörter. Ich mag sie sogar sehr. Ich bin überzeugt davon, dass es ein Quäntchen – wenn nicht gar eine große Portion – vom „Leichtbleibn“ und vom „Bockigsein“ braucht, um aufbrechen zu können.
Aufbrechen ist etwas, das jeden von uns immer wieder und unser ganzes Leben lang begleitet. Das Aufbrechen vom Kindsein zum Erwachsensein, das Aufbrechen an einen neuen Ort, das Aufbrechen in das Abenteuer Familie, das Aufbrechen, weil das Leben plötzlich die Richtung ändert und uns „anderswohin“ schickt, Aufbrechen, weil wir „weiter“ wollen, Aufbrechen in unser eigenes Inneres.
Der Ort im Dom, der „mich gefunden hat“, ist eigentlich ein Gang, ein Weg, ein Möglichkeitsraum, ein Spielraum. Mich hat dieser Ort magisch angezogen. Zu allererst hat er mich mit seiner Schönheit gefangen genommen: das Licht, das durch die bunten Fenster fällt und das vergänglich und fantasievoll Minute für Minute ein anderes Muster auf den Boden zeichnet; die Luster, die von der Decke hängen, die Licht und Schmuck zugleich sind; die Orgel, die mir das Gefühl von Musik gibt, auch wenn gerade kein Ton zu hören ist und die stark und unverrückbar einfach da ist.
Und dann war es auch die Bedeutung dieses Ganges, der mich irgendwohin führen wird, der Ort und mein Blick stehen gewissermaßen für den Aufbruch. Und noch später, beim vierten oder fünften Mal, als ich genau hier an dieser Stelle stand, merkte ich, dass das Aufbrechen und die Schönheit sehr viel gemeinsam haben.
Vor ein paar Monaten habe ich meinen Wohnort gewechselt, bin losgezogen, bin aufgebrochen. Ich hätte vieles ahnen können, was mich an Gefühlen und Herausforderungen seither begleitet. Manches wird allerdings erst im Gehen sichtbar. Das vor mir, das hinter mir und das am Wegrand. Mit jedem Schritt, mit jedem Tag ändert es sich – und ich mich.
Aufbrechen bedeutet für mich, dorthin zu schauen, wohin ich mich wünsche, den ersten Schritt zu tun und mich mit Überzeugung und mit Zuversicht auf den Weg zu machen. Dabei weiß ich natürlich gar nicht so genau, was mich am Ende des Weges erwartet. Was überhaupt „das Ende des Weges“ ist. Und ob nicht das große Abenteuer dabei der Weg selbst ist. Aufbrechen bedeutet für mich, eine Menge hinter mir zu lassen. Menschen, Dinge, Orte, Gewohnheiten, Sicherheiten, Vertrautes. Manches fällt dabei leichter als gedacht. Manches gibt es dabei zu betrauern. Aufbrechen ist für mich auch die Entscheidung, mich in diese Ambivalenz hineinzubegeben – im vollsten Vertrauen darauf, dass das Gehen mich vieles rund um mich herum und nicht zuletzt mich selbst entdecken und neu entdecken lässt. Und im festen Wissen, dass mich das Schöne stets umgibt und dass ich es – sollte ich es einmal nicht entdecken können – jederzeit meine Sinne dafür schärfen kann.
Die Schönheit eines Augenblicks, eines liebenswürdigen Menschen, des Waldes, dieser Kathedrale. Ich bin der Schönheit der Musik verfallen und jener in den Buchstaben und Worten. Ich wusste bis vor ein paar Wochen nicht, dass Japaner:innen und Japaner ein Wort haben für jenen Moment, in dem eine Kirschblüte vom Baum zu Boden fällt. Etwas derart Vergängliches in Worte zu fassen, macht es noch kostbarer – und ist schlicht und ergreifend schön. Und mit diesem Sinn und Blick für Schönes – vor mir, hinter mir und am Wegrand – möcht ich auch aufbrechen. Immer wieder. Tag für Tag.
„Leichtbleibn“, wann immer es mir möglich ist, und „Bockigsein“, wo immer es erforderlich ist, sind mir dabei hilfreicher als der vielzitierte „Mut“ oder die sicherste „Strategie“.