„Frau-Sein“
2022 wurde ich von Zoe Goldstein eingeladen, bei ihrem Projekt „Die Darstellerin“ mitzuwirken. Sie hat sich in diesem Projekt mit der Sichtbarkeit von Frauen in der katholischen Kirche und der Integration von, in unserer Gesellschaft, benachteiligten Individuen auseinandergesetzt.
Das Glasfensterbildes „Pilgerfahrt II“ wurde einer Metamorphose unterzogen und lädt zu einem Wandel der Betrachtungsweise und einem Hinterfragen der Geschlechterrollen ein. Das Projekt setzt sich auch damit auseinander, wie unsere Gesellschaft aussehen würde, wenn sie nicht von einer männlichen Dominanz geprägt wäre. Das Geschlechterverhältnis vom Glasfenster wurde umgedreht und bietet so auch neue Perspektiven.
Im Zuge dieses Projekts habe ich mich verstärkt mit meinem Blick auf „Frau-Sein“, mit meinem Leben in der Gesellschaft auseinandergesetzt. Ich habe im Anschluss daran viele Bücher zu diesem Thema gelesen, mich darin wiedergefunden, Neues entdeckt und mich gestärkt gefühlt. Gleichzeitig war ich teilweise zutiefst verstört, wütend, entsetzt und gelähmt. Wie kann es sein, dass noch immer ein so starkes Ungleichgewicht vorherrscht und sich nur so wenig bewegt oder verändern lässt? Wie kann es sein, dass Frauen aus Selbstschutz die Straßenseite wechseln, manche Orte in der Nacht meiden, oft im Vorfeld schon mitbedenken, welche Konsequenz ein bestimmtes Verhalten haben könnte? Wieso wird jungen Männern am Abend ein „Hab einen schönen Abend!“ und jungen Frauen ein „Pass gut auf dich auf!“ mitgegeben? Welche Botschaften und Erwartungen werden hier immer mittransportiert?
Tagtäglich werden so viele ausgesprochene und unausgesprochene Erwartungen an uns Frauen – an mich – gestellt. Freundin, Ehefrau, Partnerin, Tochter, Mutter, Schwester, Seelentrösterin, Liebhaberin, Mutmacherin, Managerin, Kümmerin, Schwiegertochter, Pflegerin, Hausfrau, Oma, …
…
Doch was passiert, wenn ich diesen Erwartungen nicht entsprechen will? Wenn ich nicht die Harmoniebewahrerin und Kümmerin sein möchte?
Nicht anschmiegsam, pflegeleicht, leise und zurückhaltend sein will?
Wenn ich womöglich nicht heiraten und Kinder bekommen möchte?
Wenn ich nicht schlank und sportlich bin und mich nicht über mein Aussehen definieren will und lasse?
Wenn ich mich nicht Männern und deren Vorstellungen von Frauen unterordnen will, sondern meine Meinung selbstbewusst vertrete?
Wenn ich meine Bedürfnisse klar artikuliere, die Erfüllung dieser einfordere und lautstark für eine Gleichstellung der Geschlechter eintrete?
Wenn ich nicht die perfekte Frau sein will?
Bin ich dann eine Emanze oder verkappte Feministin?
Bin ich dann noch eine Frau und darf ich mich noch weiblich fühlen?
Doch wo ist der Maßstab für die Beantwortung dieser Fragen und wer legt diesen eigentlich fest? Und mit welcher Brille betrachte ich mich selbst - betrachte ich andere Frauen - und welche Frau möchte ich sein?
Fragen über Fragen und wie gerne hätte ich manchmal schon fertige Antworten darauf! In der Begegnung mit anderen Frauen wird deutlich, dass diese Fragen viele von uns beschäftigen. Frau-Sein geht für mich einher mit Selbstbestimmung, Authentizität, Selbstbewusstsein, Selbstfürsorge, Achtsamkeit, Weiterentwicklung und einem Blick auf das Ganze. Im Austausch und Miteinander entstehen neue Blickwinkel und manchmal auch Möglichkeiten der Antwort.
Ich wünsche mir für mich öfter den Mut, unperfekt zu sein.
Denn: „Alles, was wir hören ist eine Meinung, keine Tatsache. Alles, was wir sehen ist eine Perspektive, keine Wahrheit." (Marcus Aurelius)
Was bedeutet „Frau-Sein“ für dich?