Mein Raum im Raum
„Jeder Mensch braucht im Haus seiner Seele Räume des Schutzes und des schöpferischen Versunkenseins.“ (Anselm Grün)
Als ich vor sechs Jahren zum ersten Mal als Domfrau meinen Platz im Mariendom suchte, fand ich mich in der letzten Reihe der Kirchenbänke wieder - unschlüssig, ob dieser Platz zum Verweilen einlädt, ob die Qualität dieses Platzes der gute Überblick und die beeindruckende Perspektive ist oder ob dieser Platz, der Beste ist, um gleich wieder Reißaus zu nehmen.
Ein Kopf voller Zweifel, ein Herz voller Fragen - so war ich hin und her gerissen, angezogen und abgestoßen zugleich.
Ich fragte mich: „Bin ich hier angekommen, um zu bleiben, um meinen Überzeugungen und Hoffnungen Raum zu geben?“ Damals spürte ich schließlich ein zartes „Ja“, getragen von der Sehnsucht nach Veränderung.
Es war ein zartes „Ja“ voller Mut, denn mit diesem fangen meist die schönsten Geschichten an.
In diesen sechs Jahren hat sich viel verändert. Meine zwei Kinder sind mittlerweile gut in der Vorpubertät angekommen, aus meiner Berufung zur Polizistin wurde eine beseelte Bestatterin und Trauerbegleiterin im Familienunternehmen. Wenn sich der äußere Rahmen verändert, so findet auch der Innere oft andere Formen und Bedürfnisse.
So ging ich auch dieses Mal auf die Suche nach meinem Platz im Dom. Die letzte Reihe war mir bereits vom ersten Domfrauenabenteuer vertraut – sie ist mir zu einem vertrauten Lieblingsplatz geworden. Ich spürte, dass es an der Zeit war, einer anderen Sehnsucht Raum zu geben und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Schnurstracks ging ich auf einen kunstvoll gefertigten und imposanten Beichtstuhl zu. Magisch angezogen, erkundete ich dieses Objekt einer vergangenen Zeit - nicht etwa, weil ich von dem Konzept der Beichte, wie ich es als Kind erlebte, etwas halte oder weil mich damit negative oder mehr als bedeutungslose Erinnerungen verbinden würden.
Dieses Objekt faszinierte mich mit seinen kunstvoll geschnitzten Verzierungen, den bewachenden Drachen und seiner fast burgähnlichen Anmutung. Es erschloss einen Raum im Raum und war gerade dadurch Ausdruck und Symbol für die Sehnsucht nach einem geschützten und ungestörten Bereich - nur für mich, für meine Gedanken und meine Ideen.
Ganz nach dem Spruch von Anselm Grün, braucht das Haus meiner Seele besondere und geschützte Räume des schöpferischen Versunkenseins, für ungestörte innere Dialoge und für inspirierendes Gedankentanken.
Es braucht für mich Orte und Zeit der Selbstreflexion, der Einkehr, des Rückzugs und der Visionen.
Als Gegenpol zum geschäftigen und lauten Treiben der Innenstadt ist mir der Kirchenraum zu einem meiner Zufluchtsorte, zu einem geschützten Raum meiner Seele geworden.
Es fühlt sich wie das Eintauchen in eine andere Welt an. Den Umgebungslärm und die Hektik hinter mir lassend, eröffnet sich mir eine Weite, in der ich mich verbunden fühle und doch ganz für mich sein kann. Hier kann ich meinem Atem lauschen und zur Ruhe kommen, hier kann ich meine Gedanken und Ideen spazieren gehen lassen, schöpferisch, präsent und zugleich ganz versunken sein.
Von hier aus schöpfe ich Kraft, mich wieder ins außen zu stürzen.
Von hier aus sage ich oft „Ja“ zu neuen Abenteuern und Ideen.
Von hier aus fasse ich den Mut, die nächsten „schönsten Geschichten“ vertrauensvoll auf mich zukommen zu lassen.
Hier hin bin ich gekommen, um zu bleiben.