Lerne genießen!
Das Fasten, also der Verzicht auf Nahrung, ist für Säugetiere ein ganz natürlicher Vorgang. Denn regelmäßig sind sie mit Nahrungsknappheit konfrontiert, oft sogar über längere Zeit. Das galt in der vorindustriellen Zeit auch für alle Menschen und gilt heute noch für den ärmeren Teil der Weltbevölkerung. Dass wir in den Industrieländern nicht mehr zum Fasten gezwungen sind, ist eine völlige Neuheit in der Menschheitsgeschichte. Umso mehr können wir freiwillig fasten – und sehr viele tun das.
Fastende werden körperlich freier, denn rund ein Drittel der Körperenergie wird für die Verdauung verwendet. Diese Energie wird während des Fastens eingespart. Fastende fühlen sich aber auch geistig freier, denn während des Fastens schüttet der Körper das „Glückshormon“ Serotonin aus. Außerdem schärft das Fasten die Sinne und macht wacher. Diese Effekte treten natürlich während eines sogenannten Vollfastens am intensivsten auf, können aber in reduziertem Ausmaß auch bei einem Fleischfasten wahrgenommen werden.
„Ich kann auch ohne!“ Fasten als Souveränität
„Der Mensch ist, was er isst,“ hat der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804 – 1872) gesagt. Was wir essen, mit wem wir essen, nach welchen Regeln und Ritualen wir essen, das sagt sehr viel darüber aus, wer wir sind und was unsere Persönlichkeit ausmacht. Menschen, die ganz auf Fleisch oder tierliche Produkte verzichten, sagen nicht: „Ich lebe vegetarisch“ oder: „Ich lebe vegan“, sondern: „Ich bin Vegetarier*in“ oder „Ich bin Veganer*in“. Die Ernährungsweise, für die sie sich entschieden haben, gehört zu ihrer Identität. Das gilt in abgestufter Form auch für Menschen, die zeitlich befristet auf Fleisch verzichten. Denn sie zeigen ihrer Umgebung damit sehr deutlich: Ich bin nicht vom Fleisch abhängig! Ich kann auch ohne!
Auf diese Weise demonstriert das vierzigtägige Fleischfasten innere Freiheit und Souveränität. Fastende eröffnen sich selber Alternativen, hängen nicht sklavisch an einer bestimmten Art und Weise, sich zu ernähren. Auf diese Weise lädt sie das Fleischfasten auch zum Nachdenken ein, wie sie nach den vierzig Tagen ihren Fleischkonsum gestalten wollen: Ob sie weniger Fleisch essen, ob sie Fleisch von hoher Qualität kaufen, ob sie es aus regionaler und aus besserer Tierhaltung einkaufen, das können sie vierzig Tage in aller Ruhe überlegen – und dann vom ersten Tag der Osterzeit an gezielt umsetzen.
„Is des guad!“ Fasten als Schule des Genusses
Fasten ist aber auch eine Gelegenheit, den Genuss beim Essen und Trinken zu steigern. Der befristete Verzicht auf ein Nahrungsmittel schärft die Sinne. Ein gutes Stück Fleisch schmeckt anders als ein Stück Fleisch aus einer Produktion, die nur auf Menge schaut. Was das Tier gefressen hat, ob es sich ausgiebig bewegen und gesund leben durfte, das alles kann man am Fleisch schmecken – wenn man seine Sinne entsprechend schärft und schult. Fastende erzählen oft, dass ihnen nach dem Fasten bestimmte Lebensmittel gar nicht mehr geschmeckt haben, weil sie von minderwertiger Qualität sind. Vor dem Fasten hatten sie dafür kein Gespür und haben das gar nicht bemerkt.
Ein gutes Lebensmittel genießen zu können ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Es braucht Aufmerksamkeit und Wissen, aber auch Zeit. Je langsamer wir essen, umso mehr Genuss kann uns der einzelne Bissen bescheren. Fast Food ist das Gegenteil von Genuss.
Mit allem verbunden. Fasten als Eintauchen in die Schöpfung
Und hier kommt die spirituelle Dimension des Fastens herein: (Fleisch-)Fastende werden sensibler für die Geschöpfe, denen sie ihre Nahrung verdanken, und für den Schöpfer, der ihre Nahrung wachsen und gedeihen lässt. Sie tauchen tiefer in den Zusammenhang alles Lebendigen ein. Lebewesen nähren sich gegenseitig. Die einen können nur gedeihen, wenn andere sterben und Platz machen. Dieses Grundgesetz des Lebens hat eine harte Seite, die unseren Widerspruch hervorruft. Dass Leben ohne Sterben unmöglich ist, provoziert unseren Protest. Und doch hat der Gedanke auch etwas sehr Tröstendes und Bergendes: Wir dürfen uns fallen lassen in den großen Zusammenhang des Lebens. Wir dürfen es genießen, wie wundervoll eine gut zubereitete Speise aus qualitätvollen Lebensmitteln schmeckt. Gerade weil das Leben endlich ist, ist es unendlich kostbar.
(F.d.I.v.Viola Haas, Katholische Jungschar/Kinderpastoral
Univ.-Prof. Dr. Michael Rosenberger, diözesaner Umweltsprecher)