Ein Minimum kann nicht gekürzt werden
Die Schuldnerberatungen berechnen detailliert ein Referenzbudget, das darstellt, was ein Mensch zum Leben braucht, ohne Luxus und Reserven, an einfachen Verhältnissen orientiert. Monatlich sind für eine Person in einer Mietwohnung und ohne Auto € 1.358,- als Richtwert erhoben worden. Die BMS müsste dafür schon um 50% erhöht werden.
Das Unterschreiten des Minimums der BMS, z. B. auf € 520,-, würde bedeuten, dass die betroffenen Menschen noch mehr von ihrer Substanz leben müssten. Da ihre Substanz kein materielles Vermögen darstellt, geht dies direkt zu Lasten der Gesundheit oder der psychosozialen Verfassung. Dies vor allem aufgrund schlechterer Ernährung, ungesünderer Wohnverhältnisse oder fehlender Erholungs- oder Regenerationsmöglichkeiten. Bei armen Menschen ist der Gesundheitszustand deutlich schlechter und die Lebenserwartung deutlich niedriger als in der Durchschnittsbevölkerung.
Armut verkürzt das Leben
Die Lebenserwartung im Vergleich von reichsten und ärmsten Viertel der Bevölkerung ist bei Frauen um 8 Jahre, bei Männern um 12 Jahre kürzer. Armut ist purer Stress und kann bis zum Burn Out führen. Depressionen treten 7mal häufiger auf als im Durchschnitt, die Selbstmordrate ist sogar 8mal höher. Die sogenannten Managerkrankheiten wie Herz-Kreislaufbeschwerden und Bluthochdruck treten 3mal häufiger auf als bei den Managern.
Wer arm ist muss ums Überleben kämpfen und hat keine Kraft mehr sich positiv zu präsentieren, in einem Casting für eine Arbeitsstelle zu bestehen oder gar eine belastende Arbeit ausüben zu können.
Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme von der ksoe beschreibt in den ksoe-Nachrichten (Nr 3/2016) bei der Frage nach dem Minimum die Lebensfähigkeit und die Selbsterhaltung:
Lebensfähigkeit bedeutet, „re-aktiv“ vorhandene Handlungsmöglichkeiten zu nutzen, den Lebenszustand nur aufrechtzuerhalten, es kann nichts eingespart werden, ohne von der eigenen Substanz zu zehren, weitere Einschränkungen verringern die Lebenserwartung.
Selbsterhaltung bedeutet, über die Lebensfähigkeit hinaus, „pro-aktiv“ neue Handlungsoptionen zu erschließen, sich an verändernde Umgebungsbedingungen anpassen und das eigene Leben ohne Angst um die Existenz gestalten zu können.
Diese etwas abstrakte Unterscheidung hilft, sozialpolitische Entscheidung einschätzen zu können: Wird der Sozialstaat reduziert, um bloß das Überleben i. S. „von der Hand in den Mund“ zu ermöglichen oder, wird den Menschen ein mündiges, selbstbestimmtes und von Existenzangst freies Leben zugestanden. Kürzungen sozialer Leistungen, die die Selbsterhaltung soweit einschränken, dass die Lebensfähigkeit beschnitten oder sogar bedroht ist, widersprechen der Menschenwürde.
Menschenwürde
Für ein menschenwürdiges Leben brauchen Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind und egal ob sie hier geboren oder zugewandert sind, eine angemessene Beihilfe, die ihre Selbsterhaltungsfähigkeit sichert und ihre Arbeitsfähigkeit erhält oder weiter ausbaut. Diese Hilfe brauchen die Menschen, weil wir keinen Arbeitsplatz für sie haben, der ihnen einen eigenständigen Lebensunterhalt ermöglicht.
Die BMS wurde bei ihrer Einführung als „Sprungbrett“ gepriesen und soll den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt ermöglichen. Dazu braucht es aber
physische und psychische Gesundheit, berufliche Orientierung und Perspektiven, Interesse, hinsichtlich Weiterbildung, persönliche Kontakte erhalten und neue aufbauen zu können, also kurzgefasst, teilhaben zu können statt ausgegrenzt zu werden oder von Sorgen und Ängsten blockiert zu sein.
Lediglich 0,08% der Sozialausgaben würden für die BMS für Asylberechtigte aufgewendet. Dem unsäglichen Argument von PolitikerInnen, eine Kürzung der BMS würde Arbeitsanreize erhöhen, kann nur entgegengehalten werden, wo sind denn die Arbeitsplätze bei 500.000 arbeitssuchenden Menschen und 30.000 gemeldeten offenen Stellen? Bis zu 100 BewerberInnen auf eine ausgeschriebene Stelle, hundert oder noch mehr Bewerbungen, die ein arbeitssuchender Mensch abschickt, das ist die Realität aus unserer Beratung. Menschliches Leid durch Schikanen zu verschärfen, schafft keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz.
Statt Neid, Hass und Polemik braucht es mehr Arbeitsplätze durch Wachstum, Investitionen, durch Verteilung der Arbeit oder durch eine Arbeitszeitverkürzung. Von Armut oder Arbeitslosigkeit betroffene Menschen dürfen nicht zu Schuldigen gemacht werden. Die Verantwortung für `gute Arbeit für alle´, damit ein `gutes Leben für alle´ möglich wird, liegt bei den Entscheidungsträgern in der Politik.
Da zum Thema Bedarfsorientierte Mindestsicherung viel Halb- und Unwahrheiten, teils auch in seriöseren Medien, kursieren, hat die Armutskonferenz mittlerweile drei ausführliche und fundiert recherchierte Faktenchecks veröffentlicht, sehr lesenswert!
Christian Winkler, Geschäftsführer Bischöfliche Arbeitslosenstiftung