Erwerbsarbeit hat keine Würde, Würde hat allein der Mensch
Dr. Walter Ötsch, erster Referent der Tagung, Kulturhistoriker und Ökonom hat sich mit der Triade Mensch-Arbeit-Würde im Wandel der Zeit beschäftigt. Er legte seine Erkenntnisse von der Antike bis zur Gegenwart ausführlich dar. So galt in der Antike die mit Händen verrichtete Arbeit als verachtete Arbeit, sie wurde nur von Sklaven und unfreien Menschen verrichtet. Die Würde hingegen lag beim reichen, freien Bürger, der nicht darauf angewiesen war für seinen Lebensunterhalt zielgerichtet zu arbeiten.
Aufwertung der Arbeit
Mit dem Aufkommen des Christentums veränderte sich diese Vorstellung. Arbeit erfuhr eine enorme Aufwertung in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt, da Jesus selbst in der Schicht der Handwerker gelebt hatte. Mit der benediktinischen Regel „Ora et labora“ wurde Beten und Arbeiten sogar gleichgestellt. Seit Augustinus gibt es im christlichen Denken auch keine Hierarchisierung der Arbeit – alle verrichtete Arbeit ist gleich vor Gott. Papst Franziskus spricht, wenn er Arbeit meint, „… nicht nur von der manuellen Arbeit oder der Arbeit mit der Erde, sondern über jede Tätigkeit, die irgendeine Veränderung des Vorhandenen mit sich bringt“ (Laudato Si´ 125). In der heutigen christlichen Auffassung ist Würde keine äußere Eigenschaft, die man sich durch Arbeit erringen könnte, sondern eine innere Eigenschaft, die der Mensch durch seine Gottebenbildlichkeit vom Schöpfer erhalten hat.
Erwerbsarbeitsgesellschaft
Die Erwerbsarbeit, in der Form, wie wir sie heute haben, ist losgelöst vom Individuum. Es gibt Stellenprofile und Ausschreibungen, und in vielen Fällen auch gewisse Mitgestaltungsmöglichkeiten durch die Ausführenden – doch grundsätzlich ist jede/r ArbeitnehmerIn ersetzbar. Die moderne Erwerbsarbeitsgesellschaft ist nach Friedhelm Hengsbach das Resultat der Bauernbefreiung mit ihrem egalitären Anspruch, dass jeder Mensch die Freiheit haben soll, den Wohnort und den Arbeitgeber selbst wählen zu können und nicht in Leibeigenschaft verharren zu müssen. Jeder Mensch soll als gleichrangiger und
souveräner Tauschpartner auf dem Markt seine Arbeitskraft anbieten können – und zwar unter den Bedingungen, denen der/die ArbeitnehmerIn zustimmt. Als Gegenleistung dafür bekommt er/sie ein Einkommen, das den Lebensunterhalt sichert. So die Theorie. Doch mit der Abschaffung der Leibeigenschaft war für den Großteil der Menschen der Verlust der Existenzgrundlage verbunden. Mit der Entlassung in die so genannte Freiheit verfügten die meisten Menschen über nichts anderes als über das persönliche Arbeitsvermögen. Im Gegensatz zu jenen, die das Eigentum über Grund und Boden behielten, waren sie nun gezwungen, ihr einziges Vermögen - ihre Arbeitskraft - auch unter Bedingungen zu verkaufen, die sie unter anderen Umständen nicht akzeptiert hätten.
Grundsätzliche Ungerechtigkeit
Dieses Ungleichgewicht in der gesellschaftlichen Vermögensverteilung ist heute trotz sozialer Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft im Grunde gegeben wie damals. Auch heutzutage ist der Großteil der Menschen in ihrer Existenzsicherung auf nichts anderes als ihr Arbeitsvermögen angewiesen. „Im so genannten freien Arbeitsvertrag wird bis heute unterstellt, dass beide Parteien dem Vertragsabschluss zwanglos zustimmen. Aber wenn ein Vertrag unter extrem ungleichen Ausgangs- und Verhandlungspositionen zustande kommt, ist zwar die Freiheit der Zustimmung gewährleistet, nicht jedoch die Gerechtigkeit des Vertragsergebnisses.“ schreibt Hengsbach („Das Kreuz mit der Arbeit“, Kohlhammer, Stuttgart 2012.) Dies hat Hengsbach wohl im Hinterkopf, wenn er sagt, dass die Erwerbsarbeit selbst keine Würde hat. Sie hat aus sich selbst heraus keine Würde. Doch die Bedingungen, unter denen Erwerbsarbeit zustande kommt und ausgeführt wird, könnten fair und gerecht sein – und somit der Würde des einzelnen Menschen angemessen. Durch den demokratischen Rechts- und Sozialstaat ist die grundsätzliche Schieflage wirtschaftlicher Macht schon etwas entschärft worden, jedoch noch lange nicht ausgeglichen. Abhängige Erwerbsarbeit wird, lt. Hengsbach, der Würde der Menschen nur dann gerecht, wenn ArbeitnehmerInnen nicht als Produktionsfaktor, also als Gegenstand und Mittel, die einen Preis haben, sondern als Zweck in sich selbst in ihrer Würde anerkannt werden. Dies wäre dann gegeben, wenn sie gleichwertig und gleichberechtigt an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen eines Unternehmens beteiligt sind.
Arbeitswelt 2035
Wie die Entwicklung der Arbeitswelt in Zukunft vorangetrieben werden könnte, darüber machten sich auch die TeilnehmerInnen der Tagung, und die anwesenden PoltikerInnen von SPÖ - Reinhold Entholzer, ÖVP – Alfred Frauscher und Grüne– Ulrike Schwarz, Gedanken. Die Erwerbsarbeitswelt in 20 Jahren, im Jahr 2035, in der der Mensch und seine Würde im Mittelpunkt stehen – wie könnte sie aussehen und welche Schritte braucht es, um sie zu verwirklichen? Welche Veränderungen sind notwendig, damit alle Menschen teilhaben können?
Primat der Politik
Arbeitszeitverkürzung in Form einer 25-Stunden-Woche, Bildungs – und Steuerreformen, neue Regelwerke, sowie die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens waren einige von den TeilnehmerInnen formulierten Forderungen. Vielem konnten sich die LandespolitikerInnen anschließen, vor allem die Wiederherstellung des Primates der Politik über die Wirtschaft war ein Punkt, in dem sich alle einig waren. Im Gegensatz zur „marktkonformen Demokratie“ (Angela Merkel) braucht es PolitikerInnen, die sich ihrer Funktion als FormgeberInnen für die wirtschaftliche Entwicklung und die Finanzmärkte bewusst sind. Davon zeigte sich auch Dr. Walter Ötsch überzeugt, denn „die Macht liegt bei der Politik.“ so der Ökonom. Politische Entscheidungen müssen immer die Prämisse haben, die Würde aller Menschen zu bewahren.
Einen ausführlichen Bericht zur Tagung finden Sie unter Themen - Veranstaltungen.