Recht auf einen Arbeitsplatz - Was bringt's den Menschen und der Gesellschaft?

Arbeit ist mehr als die materielle Absicherung
Arbeit deckt den Lebensunterhalt und die Grundbedürfnisse finanziell ab. Das ist eine der zentralen Funktionen von Arbeit – aber nur die materielle Perspektive, jedoch müssen auch die sozialen und psychologischen Bedürfnisse abgedeckt werden, um ein gutes und befriedigendes Leben führen zu können.
Maria Jahoda arbeitete dies in ihrer Auseinandersetzung mit dem Schicksal arbeitsloser Menschen gut heraus. Arbeit ermöglicht auch die soziale Integration in die Gesellschaft. Dabei hat sie fünf latente Funktionen dargestellt, die auch Arbeit definieren:
• Tagesstruktur
• Sozialkontakte
• Gemeinsam etwas schaffen
• Identität
• Regelmäßige Aktivität
Das regelmäßige und intensive Erleben dieser fünf Funktionen ist notwendig, um die psychische Gesundheit aufrecht zu erhalten. Dagegen führt Arbeitslosigkeit zum Verlust der fünf Erfahrungskategorien und ist die eigentliche Ursache des schlechten Befindens arbeitsloser Menschen.
Arbeit hat einen sehr großen Stellenwert, wenn man die Arbeit humanisiert. Es hat keinen Sinn schlechte oder prekäre Arbeitsverhältnisse zu schaffen, nur damit diese fünf Punkte erfüllt sind. D. h., wenn Arbeit so eine große Belastung ist, dass sie einen kaputt macht, dann wäre das kontraproduktiv. Weiters braucht es die entsprechende Entlohnung, da materielle Sorgen die positiven psychologischen Effekte wieder zunichtemachen.
Was ist Arbeit eigentlich?
Ist es nur das, was unter Erwerbstätigkeit verstanden wird, oder gibt es noch andere, für die Gesellschaft notwendige Aktivitäten, die im Sinne von Arbeit die fünf Funktionen erfüllen? Ehrenamtliche Tätigkeiten können ebenso eine Identitätsstiftung geben, den sozialen Kontakt zu anderen Menschen ermöglichen, Struktur in den Alltag bringen etc. So gelingt es Menschen, die keinen sinnstiftenden Arbeitsplatz haben, dies durch ehrenamtliche Arbeit zu kompensieren.
Wie wirkt sich eine Jobgarantie auf Menschen und Umfeld aus?
Ein garantierter sinnstiftender Arbeitsplatz mit guten Bedingungen wirkt sich positiv auf den Menschen aus und auch auf das Umfeld. Das Einkommen sichert etwa die Bildungschancen der Kinder und dadurch deren berufliche Zukunft und die Teilhabe an der Gesellschaft. Das sind entscheidende Faktoren für die soziale Gerechtigkeit. Es profitieren die Gesellschaft und der Staat durch eine hohe Beschäftigungsquote mit guten Einkommen und Arbeitsbedingungen. Es fallen weniger Sozialausgaben an und die Steuereinnahmen sind höher, der Gesamtwohlstand steigt.
Viele (langzeit)arbeitslose Menschen sind „Bittsteller:innen“ und müssen um Sozialleistungen ansuchen. Aus diesen belastenden Situationen würden sie befreit, wenn gut bezahlte Arbeitsverhältnisse im Rahmen einer Jobgarantie geschaffen werden. Das bewirkt, dass sich Menschen zu gleichberechtigten und eigenständigen Individuen in der Gesellschaft entwickeln können. Menschen, deren materielle, soziale und psychologische Bedürfnisse abgedeckt sind, fühlen sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, leisten dadurch ihren Beitrag und beteiligen sich am Gesamten. Das ist gelebte Demokratie.
Welche Wirkungen hat eine Jobgarantie für unsere Gesellschaft?
Im Modellprojekt des AMS Niederösterreich in Gramatneusiedl, dem Ort der historischen Marienthalstudie, wird die konkrete Umsetzung einer Jobgarantie getestet und wissenschaftlich begleitet. Das Thema Jobgarantie wird im wissenschaftlichen Kontext der Arbeitsforschung positiv gesehen, weil es weggeht von der Individualisierung des Arbeitsmarkts als ein persönliches Problem, wie „Bin ich ausreichend qualifiziert? Verkaufe ich mich gut genug?“ hin zur Verwirklichung des Rechts auf Arbeit.
Arbeitslosigkeit als strukturelles, gesellschaftliches Problem zu sehen, bedeutet auch, dass auf politischer Ebene Lösungen gefordert sind.
Im Gespräch mit Georg Hubmann,
Geschäftsführung Maria Jahoda - Otto Bauer Institut
Download info 139 | September 2023