Geben wir arbeitssuchenden Menschen eine Stimme

Seit Jahren ist die Bischöfliche Arbeitslosenstiftung Teil einer Veranstaltergemeinschaft in Linz, die Informationsveranstaltungen und Aktionen rund um diesen Tag organisiert. Bereits am 20. und 21. April 2021 gab es Gespräche mit PolitikerInnen aller Parteien vor dem Linzer Landhaus, um auf die Anliegen arbeitsloser Menschen aufmerksam zu machen. Für 30. April wurde heuer eine maßnahmenkonforme Kundgebung und eine Lesung am Martin Luther-Platz in der Linzer Innenstadt geplant.
Arbeitslosigkeit bedeutet eine enorme psychische Belastung
Wie geht es Menschen in der Arbeitslosigkeit? Was müssen sie alles durchmachen? Was belastet sie am meisten? Geben wir den betroffenen Menschen eine Stimme, die mit Selbstzweifel, Entmutigung, Scham und ohne Zukunftsperspektive leben müssen.
Frau S., 54 Jahre alt, hat aufgrund eines Bandscheibenvorfalls ihre Arbeit als Hilfsschneiderin verloren. Sie lebt alleine. „Natürlich geh ich wieder zu den Leasingfirmen, anders kommst ja in keine Firma mehr rein. Du musst dich zuerst beweisen und dann wirst vielleicht übernommen. In meinem Alter und mit meiner Erkrankung muss ich froh sein, wenn sie mich nicht schon von vornherein aussortieren.“
Frau S., Köchin von Beruf, die sich am Arbeitsplatz oft ausgenutzt erlebte, wagte den Schritt in die Selbständigkeit. Im Herbst 2019 eröffnete sie ein Lokal. Mit den Corona-Maßnahmen verliert sie nicht nur ihr aktuelles Einkommen, sondern hat auch keinen Anspruch auf Umsatzentfall. Nun sucht sie wieder Arbeit in einem Angestelltenverhältnis und musste erleben: Die Armut ist sehr, sehr schnell da!
Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer betonte bei der Kundgebung am Martin Luther-Platz, dass die Politik den Auftrag hat, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Es ist jetzt notwendiger denn je, die richtigen Schritte zu setzen und zu handeln. Die Menschen suchen heute dreimal so lange eine neue Arbeitsstelle als vor Corona. Das Arbeitslosengeld beträgt 55 Prozent des vorigen Einkommens. Das geht sich vielleicht für einen Monat aus, aber nicht für eine längere Zeit. Deshalb muss das Arbeitslosengeld angehoben werden, damit die Menschen in Würde und selbstbestimmt leben können. Denn jeder Cent, den die Menschen mehr zur Verfügung haben, kommt 1:1 wieder zurück in die Wirtschaft. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit ist seit dem letzten Jahr dramatisch angestiegen. Jeder/jede dritte Arbeitslose sucht länger als ein Jahr einen neuen Job. Diese Situation zermürbt die Menschen. Arbeitslosigkeit ist kein Schicksal. Deshalb dürfen wir die Menschen aus Respekt und Solidarität nicht alleine ihrem Schicksal überlassen.
© Diözese Linz/Ursula Waselmayr
ÖGB-Vorsitzender Johann Kalliauer sprach in seinem Statement an, dass es neben den Verbesserungen in der Arbeitsmarktpolitik, einen großen Respekt für die arbeitssuchenden Menschen braucht. Wenn jemand sagt, wer arbeitslos ist, ist selber schuld, ist das eine Missachtung der Menschenwürde und eine äußerst ignorante Formulierung. Denn vor eineinhalb Jahren ist in Oberösterreich die Arbeitslosigkeit von 30.000 auf 60.000 gestiegen. Wir dürfen deshalb nicht wegschauen. Wir dürfen deshalb nicht weghören. Es braucht eine gerechtere Verteilung der Arbeit für alle. Die Arbeitszeiten müssen verkürzt werden, damit alle Menschen, die eine Arbeit suchen, auch eine bekommen. Das Thema Arbeitslosigkeit muss in den Mittelpunkt der Gesellschaft gestellt werden. Es darf nicht mehr ein Randthema sein, denn arbeitslose Menschen sind nicht selber schuld an ihrer Situation. Sie dürfen sich nicht als Bittsteller fühlen, wenn sie um ihre Rechte kämpfen.
© Diözese Linz/Ursula Waselmayr
Brigitte Hofer, ÖGB-Themenforum Arbeitslosigkeit, ist selbst eine Betroffene. Sie erzählte von ihrem Leidensweg in der Arbeitslosigkeit.
© Diözese Linz/Ursula Waselmayr
Der Linzer Kabarettist Günther Lainer las die Lebensgeschichte von Annemarie E., die lange Zeit in ihrer Lebensbiografie von Arbeitslosigkeit betroffen war.
© Diözese Linz/Ursula Waselmayr
Für eine andere Arbeitsmarktpolitik
“Diese Krise muss ein Anstoß für mutige Reformen sein, die mehr als die Folgen der Pandemie reparieren. Die Arbeitslosigkeit auf ein unvermeidbares Ausmaß (friktionell, saisonal) zu reduzieren, muss das Ziel sein. Es ist nötig, allen Menschen Perspektiven und einen Zugang zu einem passenden Arbeitsplatz zu bieten, damit sie eigenständig ihre Existenz sichern können”, fordert Christian Winkler von der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung.
© Diözese Linz/Ursula Waselmayr
1. Reihe von links: Brigitte Hofer (Vorsitzende ÖGB Themenforum Arbeitslosigkeit), Johann Kalliauer (Vorsitzender ÖGB-OÖ), Günther Lainer (Kabarettist), Christian Winkler (Bischöfliche Arbeitslosenstiftung), Birgit Gerstorfer (Soziallandesrätin)
2. Reihe von links: Boris Lechthaler (Solidarwerkstatt), Margit Heinzl (Bischöfliche Arbeitslosenstiftung), Barbara Mitterndorfer-Ehrenfellner (Bischöfliche Arbeitslosenstiftung), Rudolf Diensthuber (ÖGB Sekretär), Stefan Guggenberger (ÖGB Landessekretär), Stefan Robbrecht-Roller (KAB OÖ), Heinz Mittermayr (KAB OÖ)
Veranstaltergemeinschaft Tag der Arbeitslosen:
arbeitslos.selbstermächtigt, AUGE/UG - Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen, Bischöfliche Arbeitslosenstiftung, Katholische Jugend OÖ, KAB - Katholische ArbeiterInnenbewegung OÖ, migrare, ÖGB OÖ - Themenforum Arbeitslosigkeit, Solidarwerkstatt, Sozialplattform OÖ, VSG - Verein für Sozial- und Gemeinwesenprojekte
Ermutigende Botschaften
Für die regionalen Knotenpunkte der Betriebsseelsorge und der KAB OÖ ist der 30. April ebenfalls Anlass, um das Umfeld für die derzeit besonders herausfordernde Lage erwerbsarbeitsloser Menschen zu sensibilisieren, Faktenwissen zu vermitteln, mit manchen Vorurteilen aufzuräumen und vor allem, um auf Betroffene zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
So sammelte z. B. der Treffpunkt mensch & arbeit Wels im Vorfeld ermutigende Botschaften, um sie am 30. April an arbeitssuchende Menschen zu verteilen.
Drei Beispiele der gesammtelten Botschaften in Wels:
- Ich bin solidarisch mit allen, die die Arbeit verloren haben und trete dafür ein, dass das Arbeitslosen-Geld erhöht wird und Mieten leistbar bleiben.
- Verliere den Glauben an dich selber nicht!
- Hab Geduld und gib nicht auf!
An einer ähnlichen Aktion beteiligte sich der Treffpunkt mensch & arbeit Steyr. Die Steyrer Initiative stellte im Vorfeld an verschiedenen Orten in Steyr und Umgebung gut sichtbare und individuell gestaltete Sammelboxen für Mutmach-Botschaften auf. Aufmunternde Worte konnten auf Mutmach-Zettel notiert bzw. auch eigene Bilder samt Texte eingeworfen werden. Diese wurden am 30. April an Betroffene in Steyr verteilt.
Der Treffpunkt mensch & arbeit Nettingsdorf ist im Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit Linz-Land aktiv. Schwerpunktmäßig wird mit einer Schaufenster-Plakataktion in den Geschäften in Traun auf den Tag der Arbeitslosen hingewiesen. Am 30. April hängt im öffentlichen Raum ein großes Transparent zur Sensibilisierung und die Bündnis-TeilnehmerInnen suchen den Kontakt mit arbeitssuchenden Menschen und verteilen Lesezeichen mit mutmachenden Impulsen.
In verschiedenen Pfarrgemeinden (Wels-St. Josef, Wels-Herz Jesu, Linz-Marcel Callo, Gallneukirchen, Kirchdorf, Leonding-St. Johannes, Rohrbach ...) gestalten die Betriebsseelsorge und die KAB am Sonntag vor oder nach dem 30. April thematische Gottesdienste und verknüpfen in den jeweiligen Predigten die hoffnungsvolle Botschaft des Evangeliums mit dem Themenfeld Arbeitslosigkeit und nehmen betroffene Menschen in die Gebete herein. Einen besonderen Fokus auf Jugendliche setzt dabei der Treffpunkt mensch & arbeit Rohrbach. Er organisiert gemeinsam mit dem Regionsteam der kj eine outdoor-Jugendmesse in Schlägl am Abend des 1. Mai.
Die Gründe für Arbeitslosigkeit haben meist nichts mit der betroffenen Person zu tun. Gerade bei Konzernentscheidung, wie z. B. bei MAN oder die Geschäftsschließungen im letzten Jahr zeigen dies besonders deutlich. Diese äußeren Umstände sind genauso wenig beeinflussbar wie viele individuelle Faktoren, wie Alter, Geschlecht, Erkrankungen oder Betreuungspflichten. Es gibt schlichtweg zu wenige Jobs für alle arbeitssuchenden Menschen. Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Problem, sondern ein System-Problem. Die Menschen müssen wissen, dass das Arbeitslosengeld keine Sozialleistung ist, sondern eine Versicherungsleistung. Denn Arbeitslosigkeit kann jeden treffen.
Alle Aktivitäten werden begleitet von einer starken Präsenz auf Social Media.
www.facebook.com/tagderarbeitslosen
www.arbeitslosenstiftung.at
www.dioezese-linz.at/mensch-arbeit
www.sozialplattform.at
Hier sind sowohl Berichte über die vielfältigen Belastungen zu finden, denen betroffene Personen ausgesetzt sind, als auch fundiertes Faktenwissen zur enorm gestiegenen Arbeitslosigkeit seit Beginn der Pandemie.
Barbara Mitterndorfer-Ehrenfellner und Elisabeth Zarzer