Tag der Arbeitslosen: Respekt für arbeitslose Menschen im Fokus
Traditionell wird am Vortag des 1. Mai der „Tag der Arbeitslosen“ begangen. Dabei machen Organisationen, die mit arbeitslosen Menschen und für sie arbeiten, auf deren Anliegen und Forderungen aufmerksam. Ziel dieses Aktionstags: für die Situation arbeitsloser Menschen zu sensibilisieren und so deren Diskriminierung und Stigmatisierung entgegenzuwirken.
Die Bischöfliche Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz, die 1987 von Bischof Maximilian Aichern gegründet wurde, will kräftige Zeichen des Teilens mit arbeitslosen Menschen setzen. In der Kirche ist sie Fachstelle zum Thema Arbeitslosigkeit und Anlaufstelle für Hilfesuchende. Am 30. April 2019 lud Geschäftsführer Christian Winkler zum Pressegespräch in den Linzer Ursulinenhof. Der geplante Aktionstag auf dem Martin-Luther-Platz und anderen öffentlichen Plätzen in Linz fiel aufgrund des schlechten Wetters im wahrsten Sinn des Wortes ins Wasser.
Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, der Direktor-Stellvertreter der Arbeiterkammer Oberösterreich Franz Molterer, MAS, Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer, MBA und Christian Winkler, Geschäftsführer der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung und Vertreter der Veranstaltungsgemeinschaft „Tag der Arbeitslosen“, forderten einen respektvollen Umgang mit arbeitslosen Menschen und zeigten mögliche Strategien auf, um beim Problem der Arbeitslosigkeit wirkungsvoll gegenzusteuern. Gemeinsamer Tenor: Hinter den Arbeitslosenzahlen stehen Menschen mit ihrer Würde, die Begleitung, Ermutigung und Zukunftsperspektiven benötigen.
V. l.: Franz Molterer, MAS (Direktor-Stv. AK OÖ), Birgit Gerstorfer, MBA (Soziallandesrätin), Dr. Manfred Scheuer (Diözesanbischof) und Christian Winkler (Geschäftsführer Bischöfliche Arbeitslosenstiftung). © Diözese Linz / Fürlinger
Zukunftsängste bei Betroffenen
Auch zwei Betroffene kamen zu Wort und schilderten ihre Situation. Brigitte Hofer ist langzeitarbeitslos und bezieht die Notstandshilfe. „Ich habe schlaflose Nächte, wenn ich an die ‚Sozialhilfe neu‘ denke – ich weiß, dass ich damit nicht leben kann und auf direktem Weg in die Altersarmut bin“, schildert Hofer ihre Ängste. Die Betroffene ist auch Vorsitzende des ÖGB OÖ Themenforums Arbeitslosigkeit. Diese Gruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, die Situation und die Probleme arbeitsloser Menschen sichtbar zu machen und konkrete Verbesserungen einzufordern. „Wir sehen uns als ‚Gewerkschaft‘ für arbeitslose Menschen – jeder und jede Betroffene kann sich gern an uns wenden“, so Hofer. – Alma Hamezic (18), die seit einiger Zeit am Projekt JU-CAN der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung teilnimmt. Das Projekt richtet sich an Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren aus dem Großraum Linz, Traun, Perg oder Eferding, die arbeitssuchend, lehrstellensuchend oder beim AMS aktuell nicht gemeldet sind. Die modische junge Frau interessiert sich für die Bereiche Dekoration, Kosmetik und Buchhaltung. „Ich habe mich bereits bei Einrichtungshäusern, Drogeriemärkten und Rechtsanwaltskanzleien beworben. Aber es sind immer nur Absagen gekommen – und sehr oft auch gar keine Rückmeldung. Das macht traurig.“ Hamezic weiß, dass der fehlende Hauptschulabschluss ein Grund für die Absagen ist. Aber sie gibt nicht auf: „Eine Bewerbung an eine Parfümerie ist noch offen. Dort mache ich demnächst Schnuppertage und vielleicht wird es was mit dieser Stelle“, hofft die 18-Jährige. Was sie in nächster Zeit vorhat? „Bewerbungen schreiben, in Betrieben schnuppern und dranbleiben.“
© Diözese Linz / Fürlinger
Scheuer: „Nicht Zahlen und Statistiken sind arbeitslos, sondern konkrete Menschen“
Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer zitierte eingangs Sigmund Freud, der einmal danach gefragt wurde, was Grundcharakteristika eines halbwegs gesunden, nicht neurotischen Menschen seien. Freuds Antwort: „Ein solcher Mensch kann lieben und arbeiten.“ Scheuer bezeichnete die Arbeit als wesentlichen Faktor des Lebens und als Grundsäule für das Selbstwertgefühl. Trotz Belastungen und Anstrengungen seien viele Menschen stolz auf ihre Arbeit. Scheuer wörtlich: „Arbeit ist sinnstiftend, Arbeit ist wichtig für die eigene Identität und das Selbstbewusstsein und hat von daher einen unveräußerlichen Wert: Dahinter steht der Mensch mit seiner ganzen Würde. Die Erwerbsarbeit gehört neben Familie, Freundschaften, Wohnen, Bildung und Freizeit zu jenen Faktoren des Lebens, die die Stellung in der Gesellschaft maßgeblich bestimmen.“
Der Bischof betonte, die Arbeit habe sich in der heutigen Gesellschaft zur wichtigsten Instanz für die Identitätsbildung und Sinnfindung vieler Menschen entwickelt. Durch die Erwerbsarbeit und die Höhe des daraus resultierenden Einkommens würden Menschen bewertet – bzw. „wertlos“ gemacht, wenn sie keine Arbeit hätten bzw. ohne Erwerbsarbeit seien, kritisierte Scheuer. „Arbeitslosigkeit wird von
daher nicht selten als erhebliche Identitätskrise erlebt, die den Betroffenen häufig den Boden unter den Füßen wegzieht“, so der Bischof. Es sei wichtig, dass gerade junge Menschen und Menschen über 50 zu begleitet und ermutigt würden und dass sie Chancen erhielten, erstmals oder erneut ins Erwerbsleben einzutreten. Scheuer wies darauf hin, dass nach der Katholischen Soziallehre der Mensch im Mittelpunkt der Arbeit und der Wirtschaft stehe, der sich seine Würde nicht erst „verdienen“ müsse. „Die Kirche weiß sich von daher verpflichtet, in der Gesellschaft eine Kultur dieser unbedingten Wertschätzung einzufordern, die sich nicht am Status quo der Erwerbstätigkeit von Menschen orientiert“, betonte der Diözesanbischof.
Scheuer würdigte jene Menschen und Institutionen, die sich bemühen, Arbeits- und Lebensperspektiven zu vermitteln. Scheuers Forderung: „Es ist Aufgabe der Politik, aber auch der Öffentlichkeit und der Medien, diese unerlässlichen Beiträge für eine wertschätzende Arbeitskultur zu ermöglichen und wohlwollend zu fördern. Jeder und jede Arbeitslose hat seine und ihre eigene Biografie, Stärken und Fähigkeiten. Bei allem Verständnis für das Bestreben um eine möglichst rasche und effiziente Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dürfen die jeweiligen Potentiale und Zumutbarkeiten der zu vermittelnden Menschen nicht einfach über einen Kamm geschoren werden. Das wird der zu leistenden Arbeit und schon gar nicht den Menschen selbst gerecht. Denn: Nicht Zahlen und Statistiken sind arbeitslos, sondern konkrete Menschen mit ihren Gesichtern und mit ihrer Biografie.“ Scheuer nannte „eine qualifizierte, differenzierte und das Know-how von ExpertInnen nutzende Begleitung“ als unverzichtbaren Bestandteil für einen menschenwürdigen Umgang mit Arbeitslosigkeit.
Gedanken von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer. © Diözese Linz / Fürlinger
Gerstorfer: „Unterstützung besonders für Langzeitarbeitslose und junge Menschen“
Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer, MBA betonte, das Thema Arbeitslosigkeit begleite sie seit vielen Jahrzehnten, nämlich seit ihrer Tätigkeit beim AMS. In einem Kalenderjahr seien rund 120.000 OberösterreicherInnen von Arbeitslosigkeit betroffen – rund ein Fünftel aller Beschäftigten in Oberösterreich würden irgendwann einmal die Erfahrung von Arbeitslosigkeit machen. Gerstorfer forderte vor allem die volle Unterstützung von langzeitarbeitslosen Menschen, um diesen „wieder zu einem würdigen Leben als Teil der arbeitenden Gesellschaft zu verhelfen“. Die Landessozialrätin wörtlich: „Es ist auch Aufgabe der Politik, diesen Menschen Würde, Anerkennung und das Gefühl, gebraucht zu werden, wiederzugeben.“
Besonders bedrohlich sei der Anstieg der Arbeitslosen bei den über 55-Jährigen. Gerstorfer: „Leider wurde die ‚Aktion 20.000‘ wieder abgeschafft, die im Sommer 2017 initiiert wurde und ein Beschäftigungsangebot im gemeinnützigen Bereich ermöglicht hat. Trotz mehrmaliger Aufforderung hält die zuständige Ministerin die Evaluierung dieser Initiative zurück. Ein Schlag ins Gesicht für ältere Arbeitslose, die dank dieser Initiative wieder Hoffnung auf eine neue Beschäftigung hatten.“ Gerstorfer wies darauf hin, dass auch in Zeiten von guter Konjunktur und rückläufiger Arbeitslosigkeit die Zahl jener steige, die langzeitarbeitslos seien. „Seit Jänner dieses Jahres verzeichnen wir einen Zuwachs an arbeitslosen Über-55-Jährigen. Das ist ein Indiz dafür, dass die Aktion 20.000 gut und wichtig war“, so die Soziallandesrätin.
Gerstorfer sprach sich auch gegen die geplanten Einsparungen bei der Überbetrieblichen Lehrlingsausbildung (ÜBA) aus und kritisierte die fehlende Bereitschaft der Regierung, AsylwerberInnen in der Lehre auch bei negativem Asylbescheid eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen.
Gerstorfer forderte abschließend „eine Beschäftigungsgarantie für Über-55-Jährige mit langer Suchdauer und mehr Unterstützung für junge Menschen, die sich schwer tun, in den Arbeitsmarkt einzusteigen“.
Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer, MBA. © Diözese Linz / Fürlinger
Molterer: „Die Arbeitslosigkeit bekämpfen, nicht die Arbeitslosen“
Der Direktor-Stellvertreter der Arbeiterkammer Oberösterreich Franz Molterer, MAS zeigte sich dankbar für „das Bündnis, mit dem wir gemeinsam einmal im Jahr konzentriert auftreten, um Betroffenen eine Stimme zu geben“. Molterer betonte, dass trotz der derzeit guten Wirtschaftslage die Zahl der Arbeitslosen immer noch höher sei als auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise. „Der Handlungsbedarf für die Arbeitsmarktpolitik bleibt also groß. Wenn nun die Konjunktur an Schwung verliert, wird sich die Arbeitsmarktsituation wieder verschärfen. Der Großteil der Arbeitsuchenden braucht gezielte Unterstützung, um einen Arbeitsplatz zu bekommen“, stellte Molterer klar. In den AK-Beratungen sei immer wieder zu erleben, wie drängend das Thema sei: „Wir erleben Jugendliche, die knapp davor sind zu resignieren, weil sie das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Und wir erleben Über-50-Jährige, die mit ihrem Kündigungsschreiben zu uns kommen und bei denen die Tränen fließen, weil sie eine realistische Einschätzung zu ihren Perspektiven haben und wissen, wie groß die Hürden sind, um beruflich wieder Fuß zu fassen.“
Eine bessere Qualifikation erhöhe die Jobaussichten; besonders für Jugendliche sei eine solide Berufsausbildung wichtig, betonte Molterer. Er unterstrich die Bedeutung der überbetrieblichen Lehrausbildung (ÜBA) als Kompensation für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze. Molterer kritisierte scharf die Regierung, die die Schuld den Arbeitslosen zuschiebe, anstatt die Arbeitslosigkeit und deren Ursachen zu bekämpfen. Ein Irrweg mit schädlichen Folgen, wie der stv. Direktor der AK OÖ meint: „Durch massive Kürzungen und Streichungen wird vielen Jugendlichen die Chance auf eine Ausbildung, vielen älteren Arbeitslosen und Asylberechtigten die Chance auf eine Beschäftigung genommen.“ Die von der Regierung geplante Umgestaltung der Existenzsicherung für Arbeitslose nach dem Vorbild des deutschen Hartz-IV-Modells werde zur Folge haben, dass Langzeitarbeitslose schmerzhafte Einbußen befürchten müssten und somit künftig auf die Sozialhilfe angewiesen seien, kritisierte Molterer. Sein Urteil: „Die Arbeitsmarktpolitik der Regierung kommt einer Bankrotterklärung gleich.“
Molterer wies auch auf eine „durchaus übliche Praxis bei manchen Unternehmen“ hin: das systematische „Zwischenparken“ von MitarbeiternInnen beim AMS. Molterer: „Sie melden sie ab, um sie dann nach einiger Zeit wieder einzustellen. Dieses Aussetzen von Beschäftigungsverhältnissen kostete das AMS nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstitutes im Jahr 2017 insgesamt 432 Millionen Euro an Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Inklusive der vom AMS während dieser Zeit zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge ergibt sich ein jährlicher Betrag von annähernd 600 Millionen Euro, den die Betriebe auf die Allgemeinheit und die Versichertengemeinschaft abwälzen.“
Die Arbeiterkammer fordert daher eine gezielte intensive Unterstützung und Hilfestellung durch das AMS besonders für Langzeitarbeitslose, den Ausbau der bestehenden Instrumente wie Fachkräftestipendium, Weiterbildungsgeld und Teilzeitbildungskarenz zu einem umfassenden Modell eines „Qualifizierungsgeldes“, die Fortführung der überbetrieblichen Lehrausbildung (ÜBA), die Verbesserung der finanziellen Absicherung von Arbeitslosen und den Erhalt der Notstandshilfe bei der angekündigten Reform des Arbeitslosengeldes und einen Anreiz in der Arbeitslosenversicherung, um Kündigungen zu vermeiden. Molterer wörtlich: „Es braucht ein umfassendes Bekenntnis, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und nicht die Arbeitslosen.“ Die Mittel seien vorhanden, es gehe um Verteilungsgerechtigkeit. Die Menschenwürde dürfe nicht aufgrund von wirtschaftlichen Interessen unter die Räder kommen“, so der stv. AK-Direktor.
Der Direktor-Stellvertreter der Arbeiterkammer Oberösterreich Franz Molterer, MAS. © Diözese Linz / Fürlinger
Tag der Arbeitslosen am 30. April
Am Tag der Arbeitslosen (30. April) ist die Forderung nach respektvollem und wertschätzendem Umgang, im persönlichen Kontakt, in Medienberichten sowie in politischen oder sozialpartnerschaftlichen Diskussionen zentrales Thema. Die VeranstalterInnen machen sich in zahlreichen Aktionen zum Sprachrohr für die Betroffenen. Sie setzen sich dafür ein, die Arbeitswelt gerechter und menschenfreundlicher zu gestalten durch Arbeitszeitverkürzung, durch faire Entlohnung und durch bessere Arbeitsbedingungen.
Mitglieder der Veranstaltergemeinschaft zum Tag der Arbeitslosen:
- AUGE – Alternative und Grüne GewerkschafterInnen: http://auge-ooe.at
- Bischöfliche Arbeitslosenstiftung: www.arbeitslosenstiftung.at/
- Caritas für Menschen in Not OÖ: www.caritas-linz.at
- Katholische ArbeitnehmerInnen Bewegung (KAB) OÖ: www.dioezese-linz.at/mensch-arbeit
- Katholische Jugend OÖ: http://ooe.kjweb.at
- migrare – Zentrum für MigrantInnen OÖ: https://migrare.at
- obds – Österreichischer Berufsverband der sozialen Arbeit: https://www.obds.at/
- Österreichischer Gewerkschaftsbund OÖ und Themenforum Arbeitslosigkeit: www.oegb.at/ooe
- Sozialplattform Oberösterreich: www.sozialplattform.at/
- Verein Arbeitslos.Selbstermächtigt: www.facebook.com/Arbeitslos.selbstermaechtigt/
- Verein Arbeiten und Leben (B7): www.arbeit-b7.at/
- Verein für Sozial- und Gemeinwesenprojekte (VGS): www.vsg.or.at
- Volkshilfe Oberösterreich: www.volkshilfe-ooe.at/